Zweimal hin, zweimal her
Über seinem Erasmus-Alltag in Lodz erlebt Johannson doch noch einiges. Zuerst triff eine Exkursion aus Deutschland ein und dann gibt es die ein oder andere Weihnachtsfeier - zuerst opulent, dann studentisch und zuletzt ganz traditionell.
Ich habe einige Zeit nicht geschrieben, da nach Lublin erstmal Pause mit Reisen war. Erstens gehen langsam die Ziele aus, und zweitens ist frustrierend viel Alltag. Ich staune immer wieder, wie man sogar auf Erasmus ohne viele Kurse nur Terminen hinterher rennt. Darum liegen auch alle Briefe bis auf weiteres auf Eis.
Lodz I
Letzten Donnerstag bis Sonntag kam ein Exkursion der Magdeburger Uni, die gleiche Aktion mit der ich im Mai in Wroclaw war. Ich sollte sie vom Bahnhof abholen und etwas Lodz zeigen. Da mein Rad zur Reparatur war, war ich auf dem Weg den Öffentlichen ausgeliefert... ich bin die Hälfte des Weges gelaufen, sogar das ist schneller und weniger nervtötend. Mit der Gruppe konnte ich nur wenig Zeit verbringen, da ich Freitag schon nach Warschau aufbrach. Sie erinnerte mich zwar unangenehm daran, dass es noch so etwas wie Magdeburg gibt, aber dafür habe ich durch sie endlich die kleine, versteckte Synagoge von innen gesehen. Ein Vertreter der jüdischen Gemeinde hat einen super Vortrag zum Antisemitismus im und nach dem Krieg gehalten.
Warschau I
Dann musste ich mich aber schon wieder verabschieden, da mich die große Monika ja auf die Weihnachtsfeier ihrer Firma eingeladen hatte. In einem piekfeinen Restaurant direkt im Warschauer Zentrum. Die Anzugpflicht machte mir etwas Sorgen, vor allem als ich sah, wie sich Monika in Schale geschmissen hatte. Aber so kam mein altes Sakko vom Praktikum noch einmal zum Einsatz, und da sich die Chefs ziemlich schnell betranken, war es mit der Formalität ohnehin bald vorbei. Jeder hatte Geschenke gekauft, die dann per Los verteilt wurden. Ich: eine Tasse.
Und das Essen! Polnische Salate mit Feigencreme, Entenbeine, Kuchen und ein gött-lich-es Bigos. Kochen mal ohne Kompromisse... schon was anderes als die Mensa. Nur die Reihenfolge des Bestecks musste etwas gelernt werden. Der Wein: am Anfang wurde man gefragt, ob rot oder weiß, ab dann wurde ohne Fragen nachgegossen. Später wurde die Bar geöffnet... und alles auf Firmenkosten. Monika hat versucht, mir ein bisschen tanzen beizubringen, ohne Erfolg.
Am nächsten Tag bin ich ins Museum des Warschauer Aufstandes gegangen, was eines der beeindruckendsten im Lande ist, wenn vielleicht auch ein bisschen zu effektbeladen. Fast vier Stunden und gerade mal die Hälfte des ganzen Elends gesehen.
Abends sind wir die Straßen im Zentrum entlang gelaufen, Neue Welt und den Königsweg zur Altstadt. Die Stadt hat Unmengen in Weihnachtsdekoration gesteckt, aber die geraden Straßen sehen unter den langen Reihen weißer Lichter in der Nacht auch wirklich schön aus. Wir sind zum ersten Adventsgottesdienst in eine Kirche gleich beim Schloss gegangen und haben eine außergewöhnlich gute Predigt gehört.
Lodz II
Am 11.12. wurde für die Erasmusler ein polnisches Weihnachtsessen organisiert, im Hotelkomplex der Uni. Da wurde viel und gut serviert, was am 24. traditionell auf den Tisch kommt. Dann musste jede Nation in ihrer Sprache frohe Weihnachten wünschen, um ein Geschenk zu bekommen. Eine Tasse. Alles sehr nett, aber zu viele Leute für mich. Ich hab unnötig viel gegessen und bin dann lieber auf ein ruhiges Sprachtreffen gefahren, die funktionieren endlich mit neuen Partnern.
Die Frau Direktorin erlaubt mir nicht mehr, mein Fahrrad im Wohnheim abzustellen. Ständer gibt es nirgends in diesem Land, weil niemand Rad fährt. Aber die Frauen an der Rezeption haben mir gezeigt, wo ich es ungesehen lassen kann, weil ich ihnen die Kochanweisungen auf deutschen Tütensoßen erkläre.
Warschau II
Auch letztes Wochenende war ich in Warschau. Ich war nach Jahren wieder Schlittschuhlaufen und hab noch nicht alles verlernt. Wir waren auf einem städtischen Weihnachtsfest im Viertel. Eine Band auf der Bühne, gratis Tee und Sauerkraut mit Brötchen und am Ende Pfannkuchen. Ein Mann in schwarzem Mantel und Flaggen-Anstecknadel verteilte Oblaten (man bricht ein Stück für jemanden ab und wünscht ihm was), später konnten Freiwillige auf der Bühne Weihnachtslieder singen. Vor allem alte Menschen, die auch ungeniert mitsangen. Das hat mir irgendwie sehr gefallen.
Abends haben wir an der Haltestelle einen alten Mann getroffen, er sagte er ist 94. Die große Monika hat gerechnet, Mensch dann haben Sie ja beide Kriege erlebt. Ja, und ich war in Deutschland, nach dem Aufstand, im KZ.