Zufall
Wäre die Sonne nur 5 Prozent näher an der Erde, würde alles Wasser verdampfen. Wäre sie ein bisschen größer, gäbe es tausende Vulkane. Leben wäre nicht möglich. Anstatt einer bewohnbaren Erde mit unzähligen Pflanzen, Tiere und uns Menschen gäbe es einen unbewohnbaren, kalten und kahlen Planeten. Manchmal ist es offensichtlich schlichtweg reiner Zufall, der die Zukunft langfristig verändert.
So war es auch bei mir. Aufgewachsen in einer ganz normalen Familie ohne wirkliche Sorgen und eingebettet durch die Institution Schule. Während der Oberstufe wusste ich natürlich nicht was ich studieren wollte, war zugegebenermaßen ziemlich orientierungslos. Doch dann erfuhr ich durch Zufall vom europäischen Freiwilligendienst.
Mir war sofort klar, das möchte ich machen! Bewerbungen wurde geschrieben, Zusagen sowie Absagen trudelten ein. Kurz vorm Abi hatte ich drei Projekte zur Auswahl: in Jordanien, auf einer Insel in Griechenland und in einer kleinen Stadt in Lettland. Oft werde ich gefragt, wieso ich mich dann gerade für Lettland entschieden habe, da die anderen Länder um einiges attraktiver sind. Ganz ehrlich: Hatte ich nicht. Die Finanzierung klappte in Griechenland sowie Jordanien nicht. Wieder war es Zufall, der meine Zukunft determinierte.
Bis heute bin ich dankbar dafür.
Am 28.August 2015 war es soweit: aufgeregt und nervös stieg ich in meinem Flieger ins Unbekannte. Vor kurzem las ich E-Mails, die ich an die ehemaligen Freiwilligen geschrieben hatte. Eine Frage lautet, ob wir denn die Suppe, die wir in der Schule bekommen werden, auch wirklich satt macht. Ich musste über mich selbst lachen welche naiven Sorgen ich mir damals gemacht habe. Ich kam mit fünf Kilo mehr auf den Hüften zurück nach Deutschland.
Doch das war nicht das einzige, was ich aus meinem Auslandsjahr mitgebracht habe. Neben den obligatorischen interkulturellen Erfahrungen, einer neuen Sprache und unzähligen Kontakten in ganz Europa, auch ein zerfetztes Kreuzband und wie sich nach kurzer Zeit zeigte, eine heftige Rückkehrdepression und Liebeskummer. Man wurde zwar als Freiwilliger vor der Depression gewarnt, so ganz begreifen kann man es erst, sobald man mittendrin steckt. Es fühlte plötzlich sich alles falsch an. Falsch, in Deutschland zu sein. Falsch, Volkswirtschaftslehre in Mannheim zu studieren. Falsch, auch irgendwas anders zu studieren. Ich stellte alles in Frage. Zweifel zermürbten mich jeden Tag. Plötzlich war ich nicht mehr der deutsche Freiwillige, der als ein Hilfslehrer an einer kleinen, freien Schule arbeitete, sondern einer unter vielen, in der Masse verschwindend. Nach außen hin war alles gut, in mir drin herrschte ein ständiger Kampf gegen negative Gedanken. Ich vermisste die beinahe komplett sorgenfreie Zeit, ohne Leistungsdruck und mit neuen Erfahrungen. Deutschland kam mir langweilig vor. Alles war so eintönig. Sport konnte ich nicht mal noch als Ventil benutzen. Alles in allem ging es mir emotional schlecht. Doch die Zeit heilt fast alle Wunden. Mit der Zeit und dem Zufall kamen neue Möglichkeiten. Neue Herausforderungen. Neuer Diskomfort. Neues Vertrauen in mich selbst und in die Zukunft. Und der Wunsch in das Land meines Freiwilligendienstes zurückzukehren,den ich mir hoffentlich bald erfüllen werde.
Wenn ich eins gelernt habe durch mein Jahr im Ausland und die Zeit danach, dass es wichtig ist, nicht zu schnell aufzugeben. Sich durchzubeißen auch, wenn es manchmal schwierig erscheint, durchzuhalten. Seinen Prinzipien treu zu bleiben, sich selbst zu vertrauen und unbeeinflussbare Zufälle als Chancen zu betrachten.