Zu viel Schnee
Ahhh, gottverdammte Winter Blues. Ich brauche Sonnenlicht!
Ugh.
Ich habe nichtmal Energie, diesen Artikel zu schreiben, ich gucke nur seit etwa 15 Minuten meine Stichpunkte an.
Ich bin zurück in Cluj, nach den Ferien. Eigentlich sollte man nach zwei Wochen Nichtstun doch mit Koffern voll Energie zurückkehren, oder? Falsch, in meinem Fall, natürlich. Falsch insofern dass mein Wecker für die Spätschicht um zehn klingelt und ich trotzdem nur schlafen möchte, falsch insofern dass ich meine Freunde nicht sehen möchte und gleichzeitig doch, dass mich die kleinsten Dinge zum stundenlangen Verzweifeln bringen, dass ich nichtmal Energie für meine Hobbys habe, dass ich wütend auf alle bin und mich nicht dazu bringen kann, positiv zu denken.
Aaaaaalle Jahre wiiiieder...
Jedes Jahr holt mich die Winterdepression wieder ein, und jedes Jahr trifft es mich irgendwie unerwartet. Es hilft nicht, dass hier bis zu -20 Grad Celsius und im Schnitt eine halbe Sonnenstunde am Tag sind… und ich versuche, mich zusammenzureißen, schon allein, damit meine Artikel nicht so armselig klingen. Aber auch, weil in der Realität wahrscheinlich alles nur halb so schlimm ist. Nicht wahrscheinlich, sondern definitiv. Ich weiß das ja auf rationaler Ebene. Also kann mein Gehirn mal bitte die Klappe halten?! Serotonin, wo bist du, mach mal was!
Aber, to be fair, meine lieben Mitbewohner hatten alle coolere Ferien als ich! Ich bin ganz neidisch. Als ich Samstag ankam, war nur Juliana von mir, und sie erzählte mir von Sofia und Craiova und Baia Mare. Ist das nicht aufregend? Sonntagnacht kam Alkie, die natürlich mal wieder nur Abenteuer erlebt hat, und Johanna war im Skiurlaub. (Darauf bin ich nicht ganz so neidisch. Skifahren, hui. Wagrain 2011… wir sprechen nicht über die dunklen Tage.)
Zu jung (für Rock'n'ro-o-oll)
Aber ich kann wieder fotografieren! Auch wenn ich es außerhalb der Arbeit die ganze Woche machen wollte, aber nicht getan habe, denn - nein, halt, ich möchte positiv sein. Ich kann wieder fotografieren und es fühlt sich gut an. Und Floris hatte natürlich wieder einen halben Herzinfakt vor Freude, als er die Kamera sah. :D
Die Arbeit geht also weiter, und… es ist anstrengend. Manchmal denke ich, ich habe mir zu viel zugemutet, als ich knapp nach der Vollendung meines sechzehnten Lebensjahres einen Vollzeitjob als Erzieherin in Rumänien annahm. Andere gehen in dem Alter auf ihre erste Abivor und wählen ihre Leistungskurse in der Schule, and yet, here I am. Aber ich kann nichts dafür, dass ich mit knapp siebzehn schon aus der Schule in die Welt geworfen wurde!
Stressige Woche
Beinahe alle Kinder hatten nach zwei Wochen mit ihren Eltern natürlich riesiges Heimweh. Besonders Dora! Drei Tage lang weinte sie den ganzen Tag über. “Nem, nem! Hol van mama? Mamiiii!” Es war fast wie im September, mit dem Unterschied dass die Kleinen mich mittlerweile kennen. Und das machte es so viel einfacher. Viele haben sich sogar gefreut, mich zu sehen - Petru natürlich ganz weit vorne. :)
Nur eins hat mich in den Wahnsinn getrieben. Alex. Oh, Alex. Ich liebe dich, szeretlek, aber bitte tu mir doch einen Gefallen und versuch, beim Mittagsschlaf auch zu schlafen. Oder zumindest still zu sein, damit die anderen Kinder schlafen können. Nicht einmal hat der Junge diese Woche geschlafen, und Juliana und ich haben alles versucht. Er schreit wie am Spieß wenn man ihn hinlegen möchte, gerne auch mal eine halbe Stunde am Stück wenn es sein muss. Und falls er sich beruhigt (wenn er es denn tut!), liegt er da und übt sprechen. Ah! Den ganzen Tag ist der Junge still, nur zur Schlafenszeit hört er nicht auf zu brabbeln, oder vorzugsweise zu kreischen! Jeden Tag versuchen wir etwa eine Stunde, ihn zum einschlafen zu bringen, bis wir aufgeben. Das zerrt. Und ein Ende ist nicht in Sicht.
Viel Programm habe ich in dieser Woche nicht gemacht, wenn die Arbeit erst um elf beginnt und meine Gitarre immer noch kaputt ist. Rausgehen können wir in so einer Kälte auch nicht. Also hatte ich schonmal bessere Tage. Aber hey - mein Ungarisch entwickelt sich. Die letzten Tage habe ich ganz viel auf ungarisch mit einem Freund geschrieben. Ja, mit Google Translate auf Dauerbelastung und voller Fehler, aber trotzdem bin ich stolz. Und so wie er mich tausendmal am Tag “Unde mami? Unde tati?” fragt, ruft Floris zuhause scheinbar nach mir. Bzw. Variationen davon. “Lena? Lina? Malina? Malena? Nina?” “Igen?” “... apă”, so sieht unser Dialog in der Kita etwa zehnmal täglich aus. Te iubesc, Floris! Und Bogdan hat mir einen Kuss auf die Wange gegeben. Das ist meine Wochenbilanz! Es ist nichts Schlechtes passiert, und Bogdan hat mir einen Kuss auf die Wange gegeben!
Put a ring on it!
Außerdem habe ich mich nicht zu einhundert Prozent isoliert, zumindest einmal bin ich ausgegangen. Donnerstag habe ich Gagyi getroffen und ihr mit einiger Verspätung ihr Weihnachtsgeschenk gegeben. Und sie hat mir auch was geholt! Sie ist so lieb! Es ist ein handgemachter Ring aus ihrer Heimatstadt Târgu Mureș, und ich bin so gerührt, ich werde ihn für immer behalten. Wir wollten eigentlich zu einer Kunstausstellung mit sehr vager Beschreibung, doch wir kamen beide zu spät, ha. Also bedienten wir uns einfach am kostenlosen Tetrapack-Wein und gingen dann noch einen Tee trinken. Ich mag es, mit ihr zu reden - irgendwie finde ich dabei immer etwas über mich selbst heraus.
Eigentlich seltsam. Zu Hause war es damals ganz normal für mich, am Wochenende heimzubleiben - und hier fühle ich mich regelrecht schuldig, wenn ich es tue. Gut, die Situation war anders - mein Freundeskreis war anders, alle Clubs verlangten Ausweise und in meiner Heimatstadt gab es sowieso keine… wer weiß.
Nostalgie und so
In letzter Zeit schaue ich ganz oft an meiner Fotowand über meinem Bett herauf. Rechts hängen Erinnerungen von meiner Zeit hier. Das Plakat vom SFG, AIVI Sticker, die Kinokarte für Fantastic Beasts, eine leere Salzpackung von der Raststätte auf dem Weg nach Debrecen, abgestempelte Bustickets, mein Schild von der Menschenrechtsdemo, mein Kanji-Pergament, die Paralympics-Medaille und vieles mehr… links hängen Fotos von meinem alten Leben. Da sind wir mit dem großen Bescheuat-Banner, vor der “Grenze” nach Recklinghausen, ich in New York, auf dem Japantag, vor einem Truck voller Regenbögen auf dem CSD in Frankfurt, verkleidet als betrunkene Pilotin für das Literaturstück, auf dem Meet&Greet mit meiner Lieblingsband, mit billigem Lippenstift auf der Wange während der Abistürmung, in Berlin und Venedig mit meiner Mutter. Und diese blöde Stimmung macht mich auch noch nostalgisch.
Nostalgisch nach einem Leben, das eigentlich gar nicht so toll war wie die rosarote Brille mir diktiert - und das sowieso nicht mehr existiert. Meine Schulzeit ist vorbei (danke Gott), beinahe all meine Freunde sind weggezogen oder seltsam geworden. Und ich bin hier und wünsche mir nur, dass ich endlich wieder wertschätzen kann, wie unfassbar und wunderbar diese Erfahrung ist. Es geht weiter, und ich weiß, dass es nicht besser hätte weitergehen können.
Ja, also, Logik an Emotionen, habt ihr überhaupt gelernt? Was soll das! Macht mal was Sinvolles anstatt mich so runterzuziehen!
Weiter geht's
Nächste Woche, genauer gesagt morgen, werde ich zum französischen ConvoClub gehen, um meine Kenntnisse ein bisschen am Laufen zu halten, und mich mit meiner Koordinatorin treffen. Sie ist schon wieder da, juchhu! Am Wochenende werden wir verreisen, und ich hoffe, dass ich auch wieder ausgehen werde.
Oh mann. Ich kann den Frühling nicht erwarten.
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