zu sprechen anfangen
Das hat zwei Jahre, einen Monat und neun Tage zu lang gebraucht.
Die Leute sagen immer, dass es einen Moment gibt, ab dem man beginnt, eine Sprache einfach zu sprechen.
Wenn man so etwas oft genug hört ergibt sich natürlich ein gewisser Druck, diesen Moment möglichst schnell herbeizuführen, mit einer möglichst beeindruckenden Geschichte, und möglichst innerhalb der begrenzten Zeitspanne der zwölf Monate, die ein Freiwilligendienst maximal dauern kann. Nur leider spielt nicht alles immer so mit, wie man es sich wünschen würde: Mich hat es zwei Jahre, einen Monat und neun Tage gekostet.
Mein Freiwilligendienst ging vor einem Jahr, am siebten Juli 2014 zu Ende.
Zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich bereits in das Level 4.2 der Abendschule hochgekämpft um mein Niederländisch auf das Niveau zu bringen, das ich mir vor beginn meines Jahres vorgestellt hatte, und war mir sicher, eine einigermaßen sichere Basis zu haben. Zufrieden war ich noch lange nicht, und außerhalb der Schule brachte ich kein einziges Wort heraus. Sprachlich verließ ich Belgien frustriert und in der Hoffnung, irgendwo meine Kenntnisse wieder anwenden zu können - bei einer Sprache mit gerade 26 Millionen Sprechern keine einfache Angelegenheit.
Gestern bin ich nach Belgien zurückgekommen, ein Jahr nachdem mein Dienst zu Ende ging, um am Tag der offenen Tür in meinem Projekt zur Hand zu gehen. Meine Aufgabe bestand darin, Besucher herumzuführen. Auf Niederländisch. Na klasse.
Ich dachte, dass es nicht gutgehen würde, und freute mich zwar riesig, dass man mir solches Vertrauen entgegenbrachte, war mir aber gleichzeitig sicher, dass es nicht gutgehen konnte. Immerhin hatte ich gut ein Jahr Niederländisch höchstens gelesen, und jetzt sollte ich Muttersprachlern - noch schlimmer, Westflamen, die ich oft nicht verstehen konnte - erklären, was die Aufgabe unseres Zentrums war. Das verrückte daran? Es hat funktioniert.
Das Ding an dem Moment, in dem man die Sprache zu sprechen beginnt, ist, dass man ihn nicht erzwingen kann. Vermutlich ist der dadurch gekennzeichnet, dass er gerade dann kommt, wenn man loslässt: So zum Beispiel um etwa halb elf Uhr morgens an einem überraschend sonnigen Tag für die belgische Küste, als ich mich entscheide, dass es mir eigentlich egal ist, dass der Mann in den Khakishorts, der nach einer Info fragt, mein Niederländisch für verbesserungswürdig hält. Von da an ist jeder Satz einfacher als der letzte, und auch wenn die Vokabeln oft fehlen, sind die meisten Besucher geduldig und warten, bis mir das passende Synonym (unter vielen entschuldigenden ‚allez‘-Ausrufen) einegfallen ist.
Am Abend danach sitze ich mit meinem Freunden und Kollegen zusammen, spreche Englisch und Niederländisch und Deutsch und wundere mich nicht einmal mehr, dass es sogar halbwegs funktioniert.