Zu Gast bei Freunden: Ein Wochenende in Olsztyn
Für Polen hätte der Hospitality Club nicht erfunden werden müssen – dort ist Gastfreundschaft gegenüber vollkommen Fremden selbstverständlich. In the little town of Olsztyn Johannson meets the Poland he loves.
Früher habe ich Leute angerufen und sie gefragt „Hallo, wir haben uns höchstens zweimal im Leben gesehen, kann ich ab morgen ein paar Tage bei Dir übernachten?“. Sowas mache ich natürlich nicht mehr. Heute rufe ich Leute an und sage „Hallo, wir haben uns noch nie im Leben gesehen, kann ich ab heute Abend bei Dir schlafen?“.
Flucht nach vorn
Nachdem klar wurde, dass ich mich nach den langen, traumartigen Nächten des letzten Wochenendes nicht mehr an einsame Abende gewöhnen würde, sowie nach der ersten großen Studienwohnungspanik, war bald zu sehen: Ich muss ein bisschen raus. Mich in einen Zug setzen und wegtragen lassen. Nur, wohin? Keine größere Stadt, die ich noch nicht gesehen hätte. Doch das nicht ganz so große Olsztyn stand schon lange auf meiner Liste. Die Jugendherberge war zwar schon voll, aber in Polen herrscht zum Glück diese so wunderschöne Gastfreundschaft. Wenn man eine Kollegin hat, die eine Freundin hat, die eine Freundin hat, dann schreibt man der, scheinheilig „nach einer billigen Herberge“ fragend und die sagt dann so Sachen wie „Ach, schlaf doch einfach bei mir“ und ich stammele dann gekonnt so etwas wie „Na wenn es wirklich kein Problem ist...“.
Bring Glück herein
So habe ich dann schnell ein paar Sachen in meinen Rucksack geworfen und bin losgefahren. Ich mag Züge. Nach gemütlichen drei Stunden im gemächlichen Personenzug rolle ich an den ersten Gebäuden Olsztyns vorbei, Hinterhöfe und Garagen mit „White Power“-Graffitis. Die lange Straße vom Bahnhof runter bis zu Asias Hausnummer. Ein Mädchen und noch ein Pärchen empfangen mich freundlich, ich stelle meine Sachen ab, bekomme den ersten Wein angeboten. Lustige zehn Minuten Gespräch später sagt mir das Mädchen dann: Asia? Ich bin nicht Asia. Ach, und die beiden anderen die wohnen auch nicht hier, ehrlich gesagt kenne ich die erst seit einer Stunde. Das ist Polen, wie ich es liebe: Lass die Fremden erstmal rein, trink was mit ihnen, hab etwas Spaß, mal gucken was wird.
Make yourself a home!
Bleibt die Frage: Wo ist Asia? Asia wartet unten vor der Tür auf mich. Oben das war Gosia, ihre Wohngenossin, und weil am Wochenende noch ein paar Mädchen übernachten, wäre es dumm, einen Jungen dazwischen... und jedenfalls kennt sie eine anderes Hostel, wo wir mal nachfragen können. Aber erstmal gehen wir um die Ecke zu ihrem Freund Abendbrot essen. Maczek hat auf meiner populären Freundin „Ewa“ gerade eine halbe Tonne Eierkuchen gebacken. Komm setz dich, wo kommst Du her, ach ja, willst Du etwas Wein... wieso Hostel, schlaf doch bei mir. Also schlaf ich bei ihm, kann das Sofabett benutzen und sogar den Kühlschrank wenn ich gewollt hätte.
Fair play
Und weil es Freitagnacht ist, nehmen sie mich gleich mit in die besten Kneipen. So sehe ich die Altstadt erstmal im Dunkeln, während wir zum „Antiquariat“ laufen, wo auch schon alle Freunde warten. Dazu war noch Wiltrut eingeladen worden. Wiltrut ist die deutsche Praktikantin in ihrer Organisation und würde sich bestimmt total freuen, einen Landsmann zu treffen! Wir unterhalten uns prächtig, wir mit den Polen. Mit einem augenzwinkernden Vorwand werde ich irgendwann auf den Stuhl neben ihr geholt. Wieder unterhalten wir zwei uns prächtig, mit gebanntem Blick auf Asia und Maczek. Irgendwann kommt die Frage: Was macht ihr eigentlich? Noch bevor ich erwidern kann kommt bereits die Antwort: „Wir machen, was alle Deutschen im Ausland machen: wir ignorieren uns.“ Etwas pauschal, aber so offen wie scharfsichtig. Respekt.
Später, als Maczek schon gegangen ist („Klingel mich einfach wach, wenn Du zurück kommst... nein, bleib ruhig.“) unterhalten wir uns zwar noch und haben durchaus Gemeinsamkeiten, sie zum Beispiel zwei Jahre in Rumänien und eins in Estland. Aber weil wir immer noch sowohl offen als auch scharfsichtig sind, merken wir, dass sich das gegenseitige Interesse doch in Grenzen hält. Schließlich sind wir beide hier, um Neues zu sehen. Doch geben wir uns nicht dem traditionellen Selbsthass hin. Man läuft noch ein Stück zusammen, macht sogar ein paar selbstironische Ossi-Wessi-Witze und sagt sich dann anständig Auf Wiedersehen. Respekt.
Samstag: Stadterkundung
Am nächsten Morgen drückt Maczek dem Fremden seinen Wohnungsschlüssel in die Hand, damit der ab und zu nach Hause kann, um was zu essen und weil er selbst noch nicht weiß wann er zurück kommt. Den Weg kenne ich ja schon, ab in die Altstadt. Zuerst wie immer in die Touristeninformation, um von der wie immer roboterhaften Mitarbeiterin wie immer glänzende Broschüren über die ganze Region in die Hand gedrückt zu bekommen, wo ich eigentlich bloß eine Stadtkarte brauche. Im Zentrum gehe ich es diesmal sehr entspannt an, mit den spärlichen Informationen meines allerersten Ganz-Polen-auf-hundert-Seiten-Reiseführers. Soviel ist auch gar nicht zu sehen. Der Markt ist nett, aber aus dem Ziegelstaub des Kriegs nie so perfekt wieder erstanden wie zum Beispiel Gdansk. Vieles scheint in den 70ern gemacht worden zu sein, auf manchen Barockfassaden liegt Knäckebrotputz und sozialistische Bilder von Werktätigen. Das Rathaus gefällt mir, es besteht aus drei Architekturphasen und beherbergt eine Fotoausstellung.
Dann geht es zum bedeutendsten Punkt, der Burg auf der Kopernikus einen wichtigen Teil seines Lebens verbracht hat. Die Ausstellung scheint auch circa 20 Jahre alt zu sein und ist zum größeren Teil ein normales Heimatkundemuseum und Kirchengüter. Kopernikus ist eher wenig gewidmet, am interessantesten finde ich die originale Astronomietafel über seiner Zimmertür. Der Turm der etwas verlassen wirkenden Burg ist schön, man hat einen guten Blick und kann auf den Holzdielen eine kleine Mittagspause einlegen.
Ein früher Feierabend
Danach bin ich aber doch sehr müde und schlafe eine Stunde auf den Bänken des Amphitheaters vor der Burg in der Sonne. Das ist sehr schön. Es ist um vier, ich trinke einen Kaffee und überlege was ich jetzt mache. Die Kirchen, das weiß ich, sind von morgens bis abends voll Glück, bis das der Tod sie scheidet. Allein die Protestanten stehen auf meiner Seite und halten abends ein Orgelkonzert. Also spaziere ich noch etwas im Park am Fluss sowie außerhalb der Altstadt, um zu sehen wie die normalen Menschen leben. Das Zentrum ist wirklich klein, genau richtig für ein Wochenende, und weiter draußen sieht man durchaus viel Block und Beton. Dafür fällt mir auf, wie grün Olsztyn ist. Später setze ich mich in das Konzert. Die ersten Klänge bringen Pachelbels Kanon; mein Geist fliegt zurück in die Covent Gardens. Geschlagene zwei Stunden orgeln und streichen sie und das wie immer gratis. Nur die hupenden Korsos der frisch Vermählten gönnen einem nichtmal hier den Frieden.
Gegen den Hunger probiere ich noch ein mir empfohlenes Restaurant aus und bin sehr enttäuscht. Darum gehe ich zurück ins Antiquariat, da weiß man, woran man ist, kann lesen und Vokabeln lernen bis Maczek vorbei kommt und sich den Schlüssel holt. Dann trinke ich noch aus und gehe ebenfalls heim ins Bett.
Sonntag: Restbestände
Der Sonntag ist etwas dröge, eine graue Wolkendecke hängt herab und ich habe wenig Programm. Ins Stadtmuseum im Haus der Zeitung wollte ich eigentlich, aber das ist genauso zu wie gestern und keiner weiß, warum. Nachdem ich um elf mein Gepäck aus der Wohnung geholt und mich verabschiedet habe, bleibt nur eins: in die Kathedrale muss man schon mal rein. Also beiße ich wie jeden Sonntag in Polen in den sauren Apfel und stelle mich stundenlang in Gottesdienste. Aber wenn dann richtig. Mit bekreuzigen, mit knien, mit spenden und dank Videoleinwand sogar mitsingen. Zweimal in der Basilika, einmal in der Garnisonskirche, letztere fast schöner, weil bunter. Dann aber reicht es mir, Rucksack, Schlafsack und Isomatte durch den Regen zu schleppen und weil ich auch alles Wichtige gesehen habe, beschließe ich, den nächsten Zug zurück zu nehmen.
Was bleibt als Fazit? Olsztyn ist eine schöne Stadt und wie man von den dort gebürtigen Kollegen hört auch sehr lebenswert. Für mich als Tourist war es genau das Richtige; zwar ist es klein, aber daher auch perfekt für einen Kurzausflug. Der hat seinen Dienst getan: mein Kopf ist wieder frei. Und ich behalte eine weitere eindrucksvolle Demonstration polnischer Gastfreundschaft im Gedächtnis.