Zeit für eine Entschuldigung - Die europäische Kolonialgeschichte
Noch vor weniger als hundert Jahren war es durchaus üblich für europäische Staaten, Überseekolonien zu besitzen, sie zu kontrollieren, günstige Rohstoffe zu importieren oder dort Soldaten für ihre Soldaten zu rekrutieren. Dieses Kapitel der Geschichte scheint weit entfernt, es ist jedoch noch lange nicht abgeschlossen: In den meisten Fällen von menschenverachtender Politik fehlt die offizielle Anerkennung des Geschehen und for allem eines - eine Entschuldigung.
Viele gesellschaftliche Probleme heute beruhen auf der Politik vergangener Jahrzehnte. Die sozialen Spannungen, welche wir in vielen Gesellschaften beobachten können, sind nicht nur Klassenkämpfe, Kämpfe zwischen denen, die Geld besitzen, und denen, denen es verwehrt bleibt; Es ist auch noch immer eine große Frage der Abstammung, der Herkunft, der Ethnizität. Gerade in Frankreich, ein Land, welches fast eine rechtspopulistische Präsidentin mit Marine Le Pen gewählt hätte, spielt die Hautfarbe, die Kultur und Religion immer noch eine große Rolle. Überproportional viele Menschen nicht-europäischer Herkunft arbeiten hier im Dienstleistungsbereich, wohnen in den Armenvierteln oder sitzen im Gefängnis. Woran liegt das? An einem System struktureller Armut, das Menschen anderer Herkunft wenig Chancen gibt. Dieses fundiert häufig auf Migrationsmustern, die noch bis zur Kolonialzeit zurückreichen,
Deutschland schneidet im Vergleich zu Frankreich nicht viel besser ab, eine Nachricht erregte vor Kurzem mein Aufsehen: Im französischen Dom in Berlin wurden endlich menschliche Schädel, die während der Kolonialzeit aus Namibia, oder damals Deutsch-Südwestafrika, geraubt worden waren, Nachfahren der Herero und Nama übergeben. Zu Zeiten der deutschen Kolonie wurde an diesen beiden Völkern ein Genozid begangen, als erster Völkermord des 20.Jahrhunderts. Von 1904 bis 1908 starben circa 100.000 Menschen, die in ihren Aufständen direkt getötet worden, in der Wüste verdursteten oder in den Konzentrationslagern starben. Wissenschaftler und Militärärzte sammelten von den Opfern Schädel als Untersuchungsobjekte und schickten sie nach Berlin zur Forschung. Mittlerweile wurden glücklicherweise bereits viele Gebeine an Nachfahren überführt, eine offizielle Anerkennung des Völkermordes oder eine Entschuldigung gab es aber bislang noch nicht - zwar haben sich einige Politiker die Gräueltaten entschuldigt, was die Nachfahren aber wirklich wollen, ist Respekt, Würde und Anerkennung.
Die Bundesregierung beruft sich auf die Formalität, dass die UN-Völkermordkonvention von 1948 nicht rückwirkend gültig sein, also könnte man den Völkermord an den Nama und Herero rechtlich nicht als Genozid einstufen. Wahrscheinlich steht dahinter die Angst, dass Forderungen nach Entschädigungen geltend gemacht werden könnten. Seit 2015 herrschen Verhandlungsgespräche mit Namibia über die Formulierung einer Entschuldigung, allerdings sitzen keine Nama oder Herero am Verhandlungstisch. Deutschland sieht keinen Grund darin, da die heutigen, lebenden Generationen ja nicht unmittelbar von dem Genozid betroffen sind, und daher kein Anrecht auf Mitsprache oder Entschädigung haben.
Viele der Nama und Herero leben heute in völliger Armut, damals wurden ihre Länder konfisziert und die restlichen Verbliebenen wurden damit vertrieben. Heute sieht das Bild der namibischen Gesellschaft immer noch sehr kolonial aus: Circa 6% der Bevölkerung sind weiße Nachfahren der kolonialen Besatzer, ihnen gehören aber 50% des kommerziellen Farmlandes im Land. Das zeigt deutlich, dass das Zeitalter des Kolonialismus noch lange nicht vorbei ist: Vieles spielt sich in unserem heutigen Gesellschaften noch sehr ähnlich ab, auch wenn Menschen heute weniger mit Waffengewalt als mit struktureller Armut unterworfen werden,
Die Kolonialgeschichte Frankreichs ist ein wundes Thema: Es findet noch kaum Aufarbeitung oder öffentlicher Diskurs statt, gerade die Algerienkriege haben das Land traumarisiert, noch schlimmer war es allerdings, dass eine Phase der Regenerierung nie folgte. Tatsächlich ist es auch keine leichte politische Entscheidung, Schuld auf sich zu nehmen. Gut und Böse hängen im Krieg häufig mit Gewinnern und Verlierern zusammen. Gewisse Dinge, vor allem die Geschichtsschreibung müssen von beiden Seiten anerkannt werden, das bildet den Boden des Friedensprozesses. Ohne dieses beidseitige Verständnis und die Anerkennung von Schuld ist eine Annäherung beider Kriegsparteien unmöglich.
Aber das ist absolut essenziell in unseren post-kolonialen Gesellschaften, die immer noch starke Spuren dieser Zeit in sich tragen. Um Ungleichheit und strukturelle Armut zu überkommen, müssen wir uns mit unserer kolonialen Vergangenheit auseinandersetzen.