You get used to it
Was macht Gewalt mit einem Menschen? Ein Beispiel aus dem irischen Alltag.
Irland - die "grüne Insel". Für uns Inbegriff von Ruhe und Weisheit. In Deutschland sind Kalender mit irischen Sprüchen und Photos der Klippenlandschaften populär. Wir assoziieren die irische Kultur - neben Guiness - vor allem mit einer Weisheit, die wir sonst nur aus Fernost kennen. Für den deutschen Michel erscheint Irland als die Heimat des europäischen Konfuzius.
Irland kann auch ganz anders sein - rau, gewaltvoll, ablehnend. Die Naturkräfte an der Küste sind gewaltig, Wellen peitschen gegen die Klippen. Doch nicht nur die Wind und Wetter zeigen sich zu Demonstrationen ihrer unerschrockenen Natur bereit; auch einige Iren, versammelt in der „Irischen Republikanischen Armee“, sind nicht gerade zimperlich, wenn es um ihre Ambitionen geht.
Die Mitglieder dieser „Armee“, die eigentlich eine Terrororganisation und paramilitärisch organisiert ist, sind keine Soldaten, tragen dennoch Uniformen, verfügen über Waffen. Diese Gruppen agieren in einer Grauzone, aber faktisch im Auftrag der Regierung in Dublin.
Die Geschichte dieses Konfliktes reicht schon gut 100 Jahre zurück und handelt – wie immer bei solchen Auseinandersetzungen – von Macht und Herrschaft. Bedingt durch den kolonialisierenden Einfluss der Briten ist Nordirland wohlhabend – und protestantisch geprägt. Demgegenüber steht der überwiegend katholische Süden Irlands mit einem dominierenden Agrarsektor. Daraus ergeben sich konsequenterweise Spannungen.
Die IRA strebt die Unabhängigkeit Nordirlands und die Vereinigung mit Irland an – seit 2005 versucht sie dieses Ziel auf dem politischen Weg zu erreichen. Zwischen 1960 und 1998 starben rund 3600 Menschen bei Anschlägen, verursacht von beiden Konfliktparteien.
Hannah (Name geändert) aus Belfast berichtet aus ihrer Kindheit: "Wir sind mit dem Bus zur Schule gefahren, mit vergitterten Fenstern. Die Schule war nur wenige Minuten entfernt, zwei Stationen. Aber es war sicherer. Du bist als Protestant eigentlich nicht gerne dort zur Schule gegangen. Es war schrecklich."
Ein Leben in der Gefahrenzone verändert einen Menschen, Hannah meidet zum Beispiel heute noch große Menschenansammlungen wie Konzerte, Demonstrationen oder Straßenfeste und läuft einen großen Bogen um freistehende Autos oder unbeaufsichtigte Rücksäcke – es bestehe immer die Gefahr eines weiteren Anschlags. "Neulich habe ich auf der Arbeit ein Kind schreien gehört. Meine Reaktion schockte meine Arbeitskollegen. Ich warf mich auf den Boden, verkroch mich unter dem Schreibtisch und schütze mit bloßen Händen mein Gesicht. Warum tat ich das? Nun ja... Du machst in solchen Situationen das, was dir deine Eltern gezeigt haben."
Zum Schluss unseres Gespräches habe ich ihr noch die Frage gestellt, ob sie sich vorstellen könne, Nordirland zu verlassen und woanders in Europa zu leben? Ihre Antwort zeigt, wie sehr Gewalt einen Menschen verstellen kann: „Why should I? You get used to it – even though it´s a war.“