Wo man über Nachhaltigkeit und Kommunikation diskutiert – und den ganzen Tag spielt
2 Tage Besuch auf der Jugendleiterausbildung für Franzosen, dem BAFA
12 Jugendliche stehen in vier kleinen Gruppen draußen auf dem Rasen. Eine junge Frau mit langen dunkelbraunen Haaren mimt breitbeinig dastehend und kaugummikauend einen stereotypen Jugendlichen. Dann zeichnet sie wild in die Luft. Und das Mädchen vor ihr sieht sie ratlos an. In der Mitte des Rasens steht unser Jugendleiter Benoit mit einer Liste voller seltsamer Pantomime-Worte und freut sich sichtlich über die bunten Positionen des Jugendlichen. Das Mädchen neben mir hat es mittlerweile erraten, „Amerikaner“, und sprintet los, um sich das nächste Wort geben zu lassen. Und ich schaue hinterher und grinse. Als Besucherin auf dem „BAFA“, der französischen Jugendleiterausbildung, gibt es verdammt viel zu entdecken.
Acht Tage verbringen zwölf Jugendliche und drei Jugendleiter in einem Jugendübernachtungshaus am Rande des kleinen Dorfes Peillac. Getragen von der Jugendabteilung der Koordinationsorganisation La Fédé lernen sie hier alles, was sie für eine Arbeit als Jugendleiter wissen müssen. Es geht um Rechte und Pflichten, um Themen wie Natur und Umwelt und Gerechtigkeit, um Kommunikation und Politik und Diskrimination. Daneben wird rund um die Fähigkeit zur Animation geübt und ausprobiert, vom „Energizer“ am Morgen bis zu richtigen eigenen Workshops. Die erste Woche der Osterferien wird so durchgearbeitet. Das Publikum ist sehr unterschiedlich, von 17- bis 40-Jährigen sind alle dabei, noch ganz am Anfang ihrer Jugendleiterkarriere oder schon mittendrin in Ferienlagern und Bastelworkshops. Ebenso kommen auch die Organisatoren aus ganz verschiedenen Ecken: Olivier, mit Brille und Bart, ist schon einige Jahre „animateur“ bei La Fédé, Fanny, mit Piercings und zerrissenen Strumpfhosen, hat gerade erst ihr Studium beendet, und Benoit, mit Wuschellocken und intensivem Blick, arbeitet in Richtung Politik und Begleitung von Jugendlichen in der nächsten großen Stadt Rennes.
Als ich am Donnerstagmorgen ankomme, läuft das Seminar schon einige Tage. Ich werde von einer kleinen Runde Raucher vor dem Haus begeistert begrüßt, mein Besuch ist wohl angekündigt worden. Olivier zeigt mir das Haus, ein altes holziges Gebäude mit mehreren großen Räumen im Erdgeschoss, einer Küche, einem Speisesaal, einem Seminarraum, und den Schlafsälen unter dem Dach.
Nach und nach trudeln mehr oder weniger verschlafene Jugendliche und junge Erwachsene ein, ich werde vorgestellt und bekomme Namen genannt, von denen ich erstmal keinen behalten kann.
Zwei ältere Jungs übernehmen die Regie, sie sind für den „Energizer“ an diesem Morgen zuständig. Sie leiten ein Spiel an, bei dem wir im Kreis stehen und jeweils die Gesten unserer Vorgänger nachmachen und eine eigene weitere an die Kette dran hängen. Das fordert nach der Hälfte schon einiges an Konzentration. Dann werden wir aufgefordert, in das gemeinsame Boot zu steigen, was wir lachend befolgen und die imaginären Ruder ergreifen. Und so steuern wir von einer Programm-des-Tages-Insel zur nächsten. Nach einem kurzen Feedback ziehen wir Benoit hinterher nach draußen, wo wir uns in vier Gruppen auf der großen Rasenfläche verteilen. Das Ziel des Spiels: Benoits Worte pantomimisch seiner Gruppe vorspielen, und das möglichst schneller als die anderen. Schnell ist klar, dass er auf verschiedene Menschen aus ist. Amerikaner, Pariser, Araber, Homosexuelle. Später im Seminarraum reden wir dann über Klischees und Stereotypen und Vorurteile. Und das Problem von Diskrimination, sei es ein anderes Aussehen, eine Sprache. Denn damit ist man schon mit den Kindern und später erst recht mit Jugendlichen konfrontiert – und es gilt zu reagieren. In kleinen Gruppen diskutieren wir über das gesetzliche Verbot von Diskriminierung, das immer umfassender wird und das zunehmende Bewusstsein in der Bevölkerung. Ich habe das Gefühl, dass das Thema bei uns trotzdem noch einmal viel präsenter ist, wahrscheinlich wegen unserer Vergangenheit. In der kurzen Kaffeepause finden wir uns in neuen Gruppen zusammen. Ich sitze danach bei Olivier, wir reden über schwierige Situationen, die einem in der Jugendarbeit begegnen können, und wie wir damit umgehen würden. Ich rede mit einer Künstlerin von La Fédé über Zeltlager, dann diskutieren wir mit zwei Jungs im Lycée-Alter über Alkoholverbote und zuletzt tauschen wir uns alle gemeinsam über Misshandlung Zuhause aus, ein Thema, zu dem erfahrene Jugendleiter leider allzu viel zu erzählen haben. Voller Fragen gehen wir ins gemeinsame Mittagessen. Wir reden und essen, Olivier erzählt mir von der Woche, in der sie schon einiges geschafft haben.
Danach tauschen wir die Gruppen, wir kommen zu Fanny, die über das Thema Kommunikation redet. Auch hier entdecke ich, nach vielen Gemeinsamkeiten, mit dem, was ich gelernt habe, ein neues Kommunikationsmodel, den „bonhomme de communication“, der ähnlich läuft wie die Ich-Botschaften. Fanny ist voller Energie und wir haben einiges an Situationen durchgespielt. Den Rest des Nachmittags haben die Nachwuchsjugendleiter zum Vorbereiten ihrer Workshops. Es gibt drei Gruppen, die jeweils für eine andere Altersklasse eine Aktion zu einem anderen Thema vorbereiten. Ich klinke mich bei den Vorbereitungen für die 11- bis 14-Jährigen ein. Zum Thema „Weltentdecken“ bereiten sie eine Quizshow vor, „Star Drop“ – angelehnt an die Fernsehsendung „Money Drop“ – bei der man zu Europa Fragen beantworten und dazu Sterne auf Antwortmöglichkeiten setzen muss. Die, die falsch lagen, fallen und sind verloren. Wir malen fleißig Karten und schneiden Sterne aus und planen. Das Abendessen wird von einer Kleingruppe selbst zubereitet und Benoit erzählt mir von seiner Arbeit. Er hat total aufmerksame Augen und doch ist er manchmal noch richtig jugendlich.
Danach hat die erste Nachwuchsjugendleitergruppe ihr „atelier“, eine Abendveranstaltung für Drei- bis Sechsjährige. Also fast, denn die mimen wir. Auch wenn uns die Betreuer gleich sagen, dass sie die einzigen sind, die sich aufführen dürfen – und so fangen sie gleich mal mit Verstecken an. Die Gruppe hat sich den Bauernhof als Thema ausgesucht. Als Bauernpaar und Magd und Knecht kommen sie die „Kinder“ abholen und beginnen die Geschichte: Die Kuh Margerite ist verschwunden und wir müssen sie wiederfinden. Und so rufen wir sie in einem Lied, spielen ihre Freunde in Lauten und Pantomime nach, und absolvieren einen Parcours durch das ganze Zimmer. Am Ende taucht die Kuh dann auch wirklich auf, in einem verblüffend überzeugenden Kostüm. Mit einer Geschichte von ihr schließen sie ab. Gemeinsam reflektieren wir, ziehen positiv Bilanz.
Bis in die Nacht hinein sitzen wir im Gemeinschaftsraum und spielen, „Sabotage“. Olivier hat eine Gitarre dabei und wir kochen Tee. Spät schleichen wir die Holztreppe hinauf in unsere Zimmer.
Der nächste Morgen geht mit einem Skandal los – die Kaffeemaschine funktioniert nicht. Das kann ein richtiges Problem werden. Aber trotzdem geht es los. Zwei junge Frauen stemmen den Energizer. Theatral stellen wir unseren derzeitigen Gefühlszustand dar – „curieuse“ – und raten den der anderen. Dann versuchen wir uns im Zimmer bewegend den ganzen Raum einzunehmen. Und das dann mit geschlossenen Augen, was eher vorsichtige Bewegungen auslöst. Wir bekommen jeder einen der Tagesordnungspunkte zugeflüstert und müssen unseren Partner finden. Somit kennen wir auch das Programm.
Der Vormittag ist voller verschiedener Themen. „Éducation populaire“ steht auf dem Programm, man könnte es ungefähr als „Volksbildung“ übersetzen, doch das trifft es nicht ganz. Denn wie sich herausstellt – nachdem wir in Gruppen genau darüber nachgedacht haben –, gibt es dafür keine richtige Definition. Es beinhaltet wohl alles an Lernmethoden und –inhalten, die nicht klassisch unterrichtet werden, und – wichtig – für jeden und das ganze Leben lang zugänglich sind. Darin findet sich die Rolle des Jugendleiters wieder. Weiter geht es mit dem „développement durable“, der nachhaltigen Entwicklung. Naturpädagogik ist groß im Kommen – doch auch sonst ist der nachhaltige Aspekt in Workshops ein wichtiges Thema. Aber auch hier kommt mir Deutschland schon weiter vor. Für die angehenden Jugendleiter scheint es alles etwas neu zu sein – und das Umsetzen von umweltfreundlichen Methoden bereits revolutionär. Danach stelle ich den Europäischen Freiwilligendienst vor. Ich erzähle, wie das Auslandsjahr organisiert ist, wie man reinkommt, was man beachten muss – und bekomme interessierte Nachfragen. Ich zeige meine Arbeit hier in Redon – und gebe gleich die MAPAR als Kontakt weiter.
Zusammen essen wir Mittag und sitzen dann draußen in der Sonne, wo sie reflektieren. Jeder für sich und dann im Austausch mit seiner Gruppe. So sehen sie, wie sie sich über die Woche entwickeln – und das umfassend und überwiegend positiv.
Nachmittags hat die nächste Gruppe Jugendleiter ihren Workshop. Jetzt sind wir sieben bis elf Jahre alt und gehen auf Expedition zu den Vulkanen. Als Vulkanforscher holen sie uns ab und lassen uns erst einmal Forscherausweise basteln. Dann lernen wir, wie ein Vulkan funktioniert – und dürfen gleich einen basteln. Zusammen mit der Künstlerin kleben wir aus Papier einen Vulkan um eine Flasche – und werden wieder acht Jahre alt. Das Gefühl dafür kommt wieder. Und so sprießen dort dann Palmen und Bananen und Boote. Und mit Kaliumpulver und Essig brechen unsere Vulkane dann auch wirklich aus. Und färben alles ein bisschen bunt, Tische, Boden, Kinderhände. Wir gehen und waschen und werden mit erreichtem Vulkanforscher-Zertifikat nach draußen geschickt. Wo wir abschließen. Und reflektieren.
Mitten in die erste Runde „Star Drop“ platzt dann meine Tutorin und holt mich ab. Und obwohl wir uns gerade zwei Tage kennen, werde ich von allen mit Küsschen verabschiedet. Jugendprojekte haben überall eines gemeinsam – Kennenlernen und Zusammenwachsen.