Wie man im quarklosen Irland als Deutscher überlebt
Was essen die Iren eigentlich und ist das Brot wirklich so schlimm, wie es immer heißt? Ich bin diesen Fragen einmal nachgegangen ...
Ich weiß nicht, welche Vorstellungen sich bei der Gedankenkombination Irland und Essen in die Gehirne einschleichen und welche Assoziationen geweckt werden. Ich muss ehrlich sagen, ich hatte mir darüber keine Gedanken gemacht – fast keine. Denn ein Horrorszenario wurde mir zur Genüge von anderen Freiwilligen in düstersten Farben ausgemalt: Das Brot! Wer deutsches Brot gewöhnt ist und liebt, wird es schmerzlich vermissen. Und das stimmt. Lediglich Brotbackmischungen oder selbstgebackenes Brot können einen erretten, denn ansonsten ist das Grundnahrungsmittelbrot Toast – oder zumindest das, was wir als Toast bezeichnen. Das kann schon zu etlichen verworrenen, völlig aneinander vorbei führenden Konversationen führen, die plötzlich mit einem überraschendem Ergebnis enden: Während die irische Seite nämlich beharrlich von „bread“, „Brot“, redet, stimmt die deutsche Seite zu, welch eine unbeschreibliche Gaumenfreude es wäre, auch einmal Brot zu essen (statt immer nur Toast). Daraufhin bekommt der schon in Schwarz-, Misch- oder Vollkornbrotwachträumen versunkene Deutsche Brot vorgesetzt - weil er sich das ja so rührend gewünscht hat. Statt jedoch dankbar vom Stuhl aufzuspringen und mit wehender Kleidung den Iren schwungvoll mit den Armen zu umschließen und ein in Freudentränen gestammeltes „Dankeschön“ herauszuschniefen, bekommt der Deutsche vor Verwunderung tellergroße Augen und blickt den Iren nur stumm und fragend an, unsicher, wie er sich denn jetzt verhalten solle. Er hat nämlich „Brot“ vorgesetzt bekommen, also das, was die Iren unter „Brot“ verstehen – ungetoastetes Toastbrot! Nur im duftend gelbbraun gerösteten Zustand wird das Brot dann tatsächlich als „Toast“ bezeichnet. Das kann schon verwirren!
Und Toast ist DIE Leibspeise der Iren, zumindest habe ich das Gefühl. Es gibt mehr verschiedene Toast- als Brotsorten im Supermarkt: Weißes Weizentoast, Toast verfeinert mit einer dezenten Messerspitze eines schrotartigem Zusatzes, damit es auch ja nicht auffällt, vollkornartiges Toast, dass immerhin noch irgendwelche Samen enthält, aber dafür mit dunklen Kohlenstoffröstaromen ummantelt ist, quadratisches Brot oder Brot in großer Zwiebackform – alles ist vertreten. Wer Toast liebt, findet sich hier definitiv im Paradies wieder. Wer allerdings doch lieber „richtiges“ Brot bevorzugt, hat es schwer und braucht schon fast eine Lupe, um es zwischen all dem Toast herauszufinden. Und dann gibt es zumeist nur eine Sorte: Sodabrot. Je nach Hersteller schmeckt es entweder widerlich salzintensiv, einfach nur ungewohnt oder – welch Überraschung – in vielleicht 0,5% der Fälle hervorragend. Dieser Fall tritt aber nur in besseren Restaurants ein, wenn das Brot ofenfrisch mit köstlicher Kruste serviert wird, sodass das Wasser beim bloßen Geruch nur so in den Mund strömt. Vielleicht übertreibe ich und die übermäßige Euphorie ist auf ein gefühltes jahrzehntelanges Brotdefizit zurückzuführen, sodass mein Körper mit jeder einzelnen Zelle schon anfängt, nach annähernd brotartigem Gebäck zu lechzen, aber was soll´s.
Was ich aber noch mehr als Brot vermisse, ist die Brötchenauswahl. Ok, es gibt die normalen Aufbackbrötchen, aber Milchbrötchen, Rosinenzöpfe, Vollkornbrötchen, Käsebrötchen all die besonderen Leckereien scheinen anscheinend unter angedrohten Höchststrafen strengstens aus den Regalen verbannt worden zu sein. Da hilft nur eines – selber herumexperimentieren. Und dabei ist mir sogar eine plausible Erklärung für die Schande der fehlenden Brötchenvielfalt eingekommen – zumindest was Milchbrötchen und Co. angehen: Hefe! Es ist vor allem im Winter bei gefühlten Kühlschranktemperaturen im Zimmer einfach zu kalt, sodass der Teig nicht aufgehen kann! Zumindest ist das meine Entdeckung. Nur wenn der Teig direkt auf der Heizung steht, bequemt er sich sehr träge, aber immerhin, sein Volumen Stückchen für Stückchen zu vergrößern – nur nicht hetzen!
Doch auch wenn ich einem weichem Hefezopf nachtrauere, habe ich mich mittlerweile mit dem irischen Ersatzprodukt abgefunden: Scones. Das sind schon so eine Art feste Brötchen, wahlweise auch mit Rosinen verfeinert. Traditionell werden sie, wenn möglich, ofenfrisch im noch warmen Zustand mit Butter und Erdbeermarmelade genüsslich schlemmend verzehrt. Kein Wunder also, dass das Haltbarkeitsdatum der selbstgebackenen Scones indirekt proportional zur Personenanzahl drastisch auf bis zu wenige Stunden zusammen schrumpfen kann!
Doch kommen wir nun zu Gebäck und Kuchen. Der Begriff „süße Sünde“ lässt sich eindeutig am besten mit „Chocolate Chip Cookies“ definieren. Überall in Supermärkten kaufbar, lassen sie das Herz eines jeden Schokoladenfans übermütige Freudenkapriolen schlagen und die Augen stellen vor Genuss den Dienst kurzzeitig ein, um im geschlossenen Zustand diesem einmaligem Gebäck ebenfalls ihre besondere Verehrung auszudrücken. Egal ob hell mit nur einer, oder dunkel mit drei verschiedenen Schokoladensorten verfeinert, begeistern die untertassentellergroßen Kekse so ziemlich jeden. Generell scheinen die Iren eher dem pro Süßen verfallen zu sein. Die traditionell in jedem Supermarkt erhältlichen Fertigschokoladenkuchen strotzen nur so von Zuckerarmeen, die die Kalorien zu Dutzenden im Handgebäck haben und den Körper in Scharen okkupieren. Teilweise erinnern die Kuchen sogar an „Kalten Hund“, nur dass dabei auch die besondere Liebe der Iren zu Marshmallows mit verarbeitet wird. Sogar eine Heiße Schokolade wird fast immer mit den lustig in der braunen Flüssigkeit rückenschwimmend vor sich hingleitenden kleinen Schaumbällchen serviert!
Doch ich weiche ab. Wir waren schließlich beim Kuchen stehen geblieben. Was passiert, wenn man eine Klasse aufruft, Kuchen für einen Kuchenbasar zu backen? Richtig: 20% des Gebackenen sind – welch eine Überraschung – Chocolate Chip Cookies, 20% Schokokuchen oder Brownies, die ebenfalls schon im Grundbedürfnis eines jeden Iren einprogrammiert zu sein scheinen und die restlichen 60 % sind, na, was wird es wohl sein, klar, Cupcakes, von uns eher Muffins genannt. Das scheint DER Renner hier zu sein! Manchmal habe ich das Gefühl, dass ein regelrechter Wettbewerb im Verzieren ausbricht: Grüne Zuckerhaube mit roten Streuseln, silberne Perlen auf dunklem Guss, filigranste Blüten - es ist ein Paradies für jede Auge!
Doch genug von den süßen Verführungen, denn es ist ja nicht so, dass sich die Iren nur von Kuchen und Kekse ernähren würden. Generell muss ich aber anmerken, dass die Essgewohnheiten sehr verschieden sind. Das ist einereits auf die hohe Zahl an Familien mit ausländischen Wurzeln zurückzuführen. Es ist schon lustig, wenn in einem von der Schule liebevoll herausgegeben Kochbuch plötzlich ein Rezept für Vanillekipferl in Englisch steht! Andererseits scheinen die Essgewohnheiten entweder regional unterschiedlich oder einfach nur von der Familie abhängig zu sein: Da gibt es den amerikanischen Esseinschlag, der sich in Fastfood, Pommes, Wraps und Ähnlichem widerspiegelt. Die eher typisch irischen Familien essen dagegen fast jeden Tag Kartoffeln. Hilfe, selbst die Deutschen sind nicht so kartoffelverrückt, wie manche Iren. Kaum zu glauben, dass die Inselbewohner fast 150 Jahre nach der verheerenden Hungersnot, welche durch vernichtete Kartoffelernten verursacht wurde, immer noch so von der kleinen gelben Knolle abhängig sind! Kartoffeln werden dann mit Möhren, Rüben oder Brokkoli serviert.
Dann gibt es Familien, die täglich Fleisch essen: Egal ob sehr salzig gebratener Schinken mit Eiern, irische Würstchenversuche, die mit den deutschen Würsten keineswegs zu vergleichen sind, oder gestopftes Huhn, alles ist möglich. Ansonsten scheint es bei gehobenerem Essen eine besondere Vorliebe für Truthahn und Lamm zu geben – Irish Stew ist nämlich eigentlich Lamm.
Generell habe ich aber das Gefühl, dass bei den Familien, die ich hier in Clare kennen lernen durfte, verstärkt auf eine gesunde Ernährung geachtet wurde. In meiner Familie schlug sich das in der Vorliebe für Reis oder Quinoa nieder, was angeblich viel besser als Kartoffeln sei. Ich frag mich sowieso, wann endlich Reis auch in Irland angebaut wird. Bei den überfluteten Feldern im Winter, wäre das sicherlich kein Problem. Mit ein paar Umzüchtungen kann man ihn auch sicher an die hiesigen überraschend frischen Temperaturen gewöhnen. Vielleicht sollte ich das mal vorschlagen....
Ansonsten werden verstärkt Bioprodukte gekauft und einmal im Jahr findet in Ennis sogar ein Bankett statt, bei welchem ein köstliches Mehrgängemenü nur aus einheimischen Produkten wahrlich gezaubert wird. Die Zutaten kann man zumeist auf den Wochenendmärkten erwerben. Wer einmal über solch einen Markt geschlendert ist, kann bei all den Düften und Köstlichkeiten seinen Appetit kaum zügeln und muss den Magen spontan an dessen begrenztes Fassungsvermögen erinnern. Falls das nicht hilft, reicht es dann aber zumeist, einen Blick auf die Preisschilder zu werfen, die einen sofort wieder auf den harten Marktboden der Realität bringen. Qualität hat eben seinen Preis.
Dann gibt es hier ja noch Käse. Wenn man im Supermarkt vor dem Käseregal steht, sieht das wie folgt aus: Cheddar rot, Cheddar weiß, Cheddar medium, Cheddar alt, Cheddar jung, Gouda, Cheddar gerieben, Cheddar produziert für Supervalue, Cheddar Marke basic, Cheddar in Scheiben. Habe ich was vergessen? Ach ja, Cheddar als 600-Gramm-Packung! Vielleicht übertreibe ich jetzt ein wenig, aber im Wesentlichen trifft es zu. Auf Märkten findet man dagegen dann die bedeutend größere Auswahl: Vor allem Ziegenkäse! Nichts da vom Mythos der Schafsinsel. Das mag vielleicht in manchen Regionen zutreffen, aber nicht in meiner Gegend in Clare. Ich sehe immer nur Kühe und Ziegen und es gibt sogar eine Ziegenfarm gleich um die Ecke und deren Käse ist einfach göttlich!
Doch zurück zum Supermarktangebot. Manchmal frage ich mich ernsthaft, wie die Iren damit überleben können. Ich meine, ich habe mich mittlerweile gezwungenermaßen daran gewöhnt, dass das Büchsenangebot sich meist nur auf Hülsenfrüchte jeglicher Art beschränkt und Himbeeren, Erdbeeren und ganz besonders Kirschen (!) sich fast nie in die Regale hinein trauen, weil sie wissen, dass sie dort von einem Massenansturm gierig und unsanft angegrapscht in einen Einkaufswagen verfrachtet werden würden. Was aber wirklich schmerzhaft ist, ist der nahezu komplette Mangel an Quark. Jeder Deutsche fragt wohl danach und dennoch wurde diese bedauernswerte Marktlücke noch nicht wirklich ausreichend geschlossen. Die einzige Möglichkeit, die wir bisher in mühsamer Recherchearbeit ausfindig machen konnten, ist ein Laden, der nur polnische Produkte verkauft – in Limerick, eine Stunde entfernt. Da so viele Polen nach Irland kommen, um hier zu arbeiten, hatten sie wohl auch irgendwann die Nase und Mägen so voll von Hülsenfrüchten und Kartoffeln, dass sie beschlossen haben, ihre eigenen Nahrungsmittel zu importieren. Dem Himmel sei Dank. Der Quark schmeckt zwar etwas anders, aber es ist Quark! Es lebe die Deutsch-Polnische-Freundschaft. Denn wie kann man sonst Quarkspeisen, Quarkbällchen, Quarkbrötchen, Quarkkuchen und ganz zu schweigen von ganzen Kartoffeln und Quark kochen, wenn die Hauptzutat einfach nicht auffindbar ist? Ja, als Deutscher hat man es schon nicht einfach im (fast) quarklosem Ausland, aber was soll man machen?
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