„Wer die Freiheit liebt, liebt die Einsamkeit“ (Provinz, Tanz für mich)
Rückblick auf 2 Monate Italien. Ein Bericht über mein Gefühl von Freiheit, dem Unterschied zwischen Einsamkeit und Alleinsein sowie der täglichen Sehnsucht nach Nudeln.
Ambivalente Überraschung und Freiheitsgefühl
Am Montagmorgen setzte mein Herz für einen kurzen Moment aus. In meinem Badezimmer stand ich und blickte auf einen Coronaschnelltest. Dieser sprang nämlich, einige Sekunden nach dem Einfüllen der Testlösung, zu einem unübersehbaren positiven Ergebnis. Erst überkam mich der Schock, dann aber eine Art von Erleichterung. Der Schock überkam mich, da ich alleine in einer kleinen Wohnung wohne und die Aussicht auf eine Woche eingesperrt sein mich nicht gerade rosig stimmte. Aber auch eine Erleichterung überkam mich, da eine Woche Isolierung eine Entschleunigung bedeuten würde, und auf diese Entschleunigung freute ich mich nach den zwei ereignisreichen Monaten in Italien. Heute ist also der letzte Tag meiner einwöchigen Quarantäne und nun komme ich zu dem Punkt „Blogbeitrag“ auf meiner superlangen Coronaquarantäne-produktivitäts To Do Liste (Man nimmt sich ja häufig ganz viel vor, wenn man viel Zeit hat und macht dann schlussendlich nur die Hälfte – oder geht nur mir das so?). Wie auch immer, zugegeben war die Woche in Ordnung und hat mir in gewisser Weise auch gut getan, mich zum Ausruhen und Reflektieren gebracht und Zeit gegeben, viele Dinge zu erledigen zu denen ich bisher noch nicht kam, wie z.B. Bücher fertig lesen, Familie und Freunde anrufen, Schreiben, Brot backen oder Filme ansehen. Eine Woche Isolierung reicht dann aber auch, Menschen und die Pferde mit denen ich arbeite wie auch die Arbeit fehlen mir. Bei meinen täglichen Spaziergängen zum Vitamin D tanken fühlte ich mich wie eine hundelose Hundebesitzerin, die eher sich selber ausführt als ihren Hund – denn ich versuchte mir eine Tagesstruktur zu setzten und ging deshalb zu regelmäßigen Zeiten an die frische Luft. Wird Zeit, wieder quarantänefrei zu sein. Aber abgesehen von der Coronalage, wie fühle ich mich sonst so?<
Wie fühlt sich Freiheit an?
Dadurch, dass ich alleine wohne und noch dazu recht abseits von anderen Menschen, von der Zivilisation könnte man fast sagen, bin ich auch außerhalb der Quarantänezeit recht isoliert. Ich wohne direkt an meiner Arbeitsstelle, also auf dem Reittherapie-Hof, gemeinsam mit meinen 10 wundervollen Nachbarn, den Pferden und Ponys. Das hat einige große Vorteile, wie beispielsweise der unschlagbar kurze Arbeitsweg.
Demnach ist es stets ein Kraftakt, um Menschen kennenzulernen und das Leben zu organisieren. Ehrlicherweise ist dies nicht ganz einfach und auch anstrengend, aber es ist durchaus möglich und bringt auch viele Vorteile mit sich. Zwar habe ich meine geregelten Arbeitszeiten, kann meine Freizeit aber beliebig gestalten und nach Lust und Laune entscheiden, ob ich mich anderen Menschen für bestimmte Aktivitäten anschließe und wofür genau.
Besonders frei fühle ich mich tatsächlich, wenn ich alleine in der Natur bin. Dieses „Freiheits- und Glückgefühl“ überkommt mich oft, z.B. auf einer spontanen Radtour Richtung Berge oder während eines sonnigen Spazierganges am Fluss. Mich nimmt dann eine Art Dankbarbkeit ein, für die Möglichkeit des Lebens in Italien, die Zeit mit den Pferden und besonders auch die gemeinsamen Erlebnisse und Gespräche mit anderen Menschen. Die größte Freude ziehe ich oft aus der Reflektion und dem Rückbesinnen auf das Vergangene, wenn ich einen Realisierungsmoment habe. Das sind meine Momente der Ekstase.
Einsamkeit VS Allein sein. Wo liegt der Unterschied?
Gestern früh beim Spazieren hörte ich den Song „Tanz für mich“ von dem Sänger Provinz und er machte mich nachdenklich. Im ersten Satz singt er die folgenden Zeilen: „Wer die Freiheit liebt, liebt die Einsamkeit“. Ist das aber wirklich zutreffend?
Zumindest habe ich es anders erlebt. Warum? Zuvor habe ich bereits geschildert, dass ich im Alleine sein ein großes Glücksgefühl empfinden kann. Durch diese Momente wurde mir bewusst, dass alleine sein nicht direkt einsam sein heißen muss. Wenn man ohne weitere Gesellschaft ist, hat man immer noch sich selbst und seine eigene Gesellschaft, das wird gerne vergessen. Die Kunst ist es, sich mit der eigenen Gesellschaft beschäftigen zu können und aus dem „alleine sein“ kein „einsam sein“ zu machen. Selbstverständlich gibt es Momente in denen ich mich auch mal alleine fühle – aber das ist, bedingt durch meine spezielle Wohnsituation, auch vollkommen in Ordnung. In diesen einsamen Momenten, wenn ich niemanden treffen kann oder es spätabends ist, gehe ich gerne nach draußen zu den Pferden, so verfliegt das Gefühl innerhalb weniger Sekunden. Das nenne ich mal Magie der Tiere.
Wir Menschen sind soziale Wesen. Wichtig ist deshalb das soziale Umfeld, und ich bin super dankbar für die Menschen und Familien die ich hier bisher kennen- und wertschätzen lernen durfte. Genauer gesagt erlebe ich eine große Offenheit und Hilfsbereitschaft in meinem Umfeld. So gibt es z.B. Leute aus einer internationalen Sprachgruppe in der Stadt. Wir treffen uns auch außerhalb der Gruppe zum Neujahrfeiern, Wandern, Ski fahren oder gemeinsamen Abendessen. Dort sind viele dabei, die einen auch ohne Probleme mal mit dem Auto abholen oder zurückfahren, auch wenn es ein Umweg ist. Eine der Familien, mit denen ich mich über Bekannte oder durch Zufall angefreundet habe, ist unglaublich gastfreundlich und engagiert, sie nahmen mich z.B. an einem Sonntag im Januar spontan mit auf eine Spritztour nach Verona! Nach meinen Erfahrungen gefällt den Menschen hier der kulturelle Austausch und sie sehen diesen Austausch mit dem Internationalen als Bereicherung, auf gegenseitiger Ebene, für sie wie auch für mich. Win-Win Situation, könnte man sagen. Obwohl Pordenone bzw. mein Nebenstädtchen Porcia eine kleine Stadt ist, hat sich meine anfängliche Angst der Einsamkeit nicht bestätigt und ich bin unsagbar dankbar für die vielen lieben Menschen in meinem sozialen Umfeld, durch die ich mich immer heimischer fühle.
Every day, pasta day
Eine Sache, auf die ich nie mehr verzichten mag, ist die tägliche Ration an Nudeln.
Ob mit Pesto, Olivenöl oder Tomatensoße – Nudeln gehen immer, mindestens ein Mal am Tag. Dieser Genuss lässt nicht nach und das ist eine Gewohnheit, die ich sicherlich mit nach Deutschland nehmen werde. Zurück in meine Heimat in Süddeutschland, der Ort, an dem Basilikum wächst (so beschrieb ein italienischer Bekannte neulich Süddeutschland, fand ich ganz amüsant). Aber an die Abreise ist noch nicht zu denken. Ich blicke mit Freude auf die nächsten Monate, auf weiteres Italienischlernen und bessere und intensivere Gespräche, Ausflüge in meiner Region Friuli Venezia Guilia sowie Lernen und Arbeiten mit den Pferden und Menschen.