„We are between East and West and you can feel it“ - Vom „Bundessaft“ und (mal wieder) von der Sonne
On-Arrival-Training in Kaunas oder wie man sich auf eine Tasse Tee einladen lässt, nette Begegnung mit einem alten Mann in einem Park, Sprachfortschritte mit den Kindern, und die Herbstsonne.
01.10.2010
Das Leben geht dahin.
On Arrival Seminar: Field Trip to Kaunas.
Zwei Deutsche, eine Österreicherin, eine Armenierin, ein Franzose und Türke machen sich mitten in Kaunas auf den Weg.
Es ist ein unsteter Weg.
Ihr Ziel: Die Erfüllung ihrer Mission.
Ihre Mission: 5 verschiedene Passanten aus unterschiedlichen sozielen Schichten und unterschiedlichen Alters 10 verschiedene Fragen über ihre Ansichten (z.B.: „What do you think about volunteering?“) und über ihr Privatleben (z.B.: „What are the two most important things in your life?“) zu stellen, 3 gut aussehende Männer und 3 gut aussehende Frauen zu finden, ihre Telefonnummern zu bekommen und als krönenden Abschied von jemandem auf eine Tasse Kaffee oder Tee eingeladen zu werden.
Wacker versuchen sie sich durch zu schlagen.
Doch schon legen sich ihnen Steine in den Weg: Sprache. Sprache. Und noch einmal SPRACHE. Schon die erste Passantin schüttelt auf die Frage „Atsiprašau, ar jūs kalbate angliškai?“ („Entschuldigung, sprechen Sie Englisch?) erschrocken den Kopf und läuft weiter. Selbst in der Innenstadt der zweitgrößten Stadt in Litauen ist es nicht leicht einige Menschen unterschiedlichen Alters zu finden, die Englisch sprechen. Doch sie geben nicht auf, schlagen sich tapfer unter größten Anstrengungen, mit den schiefsten Sätzen, dem stärksten Akzent auf Litauisch durch oder weichen gelegentlich auf Russisch aus. Manchmal gelingt es ihnen jedoch auch Englisch sprechende Passanten zu finden.
Schließlich – geschafft.
Unsere mutigen Erkunder haben endlich genügend Antworten auf alle ihre Fragen und sogar einige Telefonnummern von mehr oder weniger gut aussenden Männern und Frauen bekommen.
Jetzt kommt es zur letzten Herausforderung: Wer wird diese jungen Menschen aus ganz Europa auf eine Tasse Kaffee einladen? Und wie? Und warum?
Sollen sie jemand auf der Straße direkt darauf ansprechen, so nach dem Motto „Hallo, wir kennen uns nicht. Wollen Sie mich auf einen Kaffee einladen?“? Oder gleich in ein Café gehen und dort fragen, so nach dem Motto „Ja ich weiß, eigentlich leben sie davon Getränke zu VERKAUFEN, aber mir könnten Sie doch eine Tasse Kaffee schenken, oder?“?
Unsere mutigen Erkunder entscheiden sich für letzteres und stürmen einen kleinen Tee-, Kaffee-, Gewürzeladen, in dem sie die überaus freundliche, geduldige Verkäuferin und ihren noch freundlicheren Chef so lange belagern, oder besser gesagt liebenswürdig bitten und dabei wie hilfsbedürftige, sich aufopfernde Freiwillige ansehen, bis sich jeder von ihnen aus den großen schwarzen, nach Tradition und Geheimnis aussehenden Keramiktöpfen, in denen der Tee aufbewahrt wird, einen aussuchen dürfen. 5 Minuten später hält jeder eine Tasse wundervoll duftenden, persönlich ausgesuchten Tee in Händen.
Mission accomplished. Finally.
Zum Dank singen die Vertreter der einzelnen Länder zur Erheiterung des gastfreundlichen Teeladenbesitzern und einiger seiner Kunden noch ihre Nationalhymnen – manche mehr schlecht als recht – bevor sie sich auf den Weg machen, um denen, die sie zwei Stunden zuvor ausgesandt hatten, Bericht zu erstatten.
Ich sitze in einem Park. Die Sonne scheint (jeden Tag habe ich Angst, dass dies der letzte Sonnenstrahl sein wird - der Winter ist schon nah), neben mir schreien Enten, ich schreibe einen Brief. Ein alter, alter Herr, mit gebeugtem Rücken, auf einem Stock gestützt, der mir vorher schon begegnet ist, kommt mir entgegen, sieht mich an. Brav grüße ich „Laba Diena“ („Guten Tag“), auch wenn das hier vielleicht nicht üblich ist, aber die Sonne scheint – ich bin sehr guter Laune. Also beginnt er mit mir zu reden, zuerst zu schnell, zu undeutlich – ich verstehe kein Wort, gebe ihm zu verstehen, dass ich nicht von hier bin, dass mein Litauisch kaum über die grundlegendsten Gespräche hinausgeht. Dann folgt das Übliche: Er fragt mich, was ich hier mache, wo ich herkomme. Auf die Antwort „Iš vokietijos“ („aus Deutschland“), beginnt er zu lächeln und erzählt mir, dass er in der Schule Deutsch gelernt habe. Als nächstes zieht er einen schrumpligen Apfel aus seiner Tasche, streckt ihn mir entgegen und sagt „Bitte schön“. Als ich ihn annehme, bietet er mir auch noch sein sehr antik anmutenden Taschenmesser an, um den Apfel aufzuschneiden. Mit den Worten „Guten Tag“ zieht er von dannen. Ich blicke ihm nach und bin noch ein bisschen glücklich als ich zuvor schon war.
Wer möchte noch einmal behaupten Litauer seien unfreundlich und Fremden gegenüber nicht aufgeschlossen?
Um mich herum vier 10jährige Mädchen. Gerade haben wir mehr oder weniger verständlich ein Lied in drei verschiedenen Sprachen gesungen: „Bruder Jakob“ oder sollte ich „Brother James“ oder „Broliai Žakai“ sagen?
Nächster Programmpunkt auf meinen Spickzettel? Ein Herbstbild malen. Um dieses Unternehmen so erfolgreich wie möglich zu vollenden, brauchen meine Kinder so viel Anleitung wie möglich, möglichst wenig Freiraum, sonst wird es schnell „boooring“ und sie haben keine Lust mehr. Doch möglichst viel Anleitung, bedeutet möglichst viel Erklären, bedeutet möglichst viel Kommunikation auf Litauisch für mich. Doch das macht nichts – gerne versuche ich mein bestes. „Imkite vienas baltas popierius“ fordere ich sie auf. „Nehmt ein weißes Papier“ sollte das heißen, hoffe ich auf jeden Fall. Zu erst tun sie auch wie geheißen, doch als ich noch öfter über das Papier (popierius“)
rede, fängt eines der Mädchen, Auga, an zu lachen: anscheinend sage ich, ganz Deutsch geprägt, durch das „Lange ie“ „popieeeeeerius“, obwohl es eigentlich „poooopierius“ heißt. Natürlich ist es nicht gerade spannend lauthals von ein paar Kindern ausgelacht zu werden, besonders wenn man sich gerade bei 100% Konzentration abmüht ihnen etwas mit zu teilen, doch was solls. Ich sehe Auga an, und sage entschuldigend etwas auf Litauisch, das wie „Naja, tut mir leid, aber du weißt ganz genau, dass ich einfach nicht besser Litauisch kann“ klingen soll. Und es wirkt, sofort lenkt sie ein und sagt: „Ja ich weiß... - Aber es ist halt trotzdem lustig!“. Gut, hat sie wahrscheinlich recht.
(Ich denke jetzt nur mal an die Franzosen auf meinem OnArrival Training, die ständig „appy“ waren und alles „fönny“ fanden, sehr zur Erheiterung des Rests der Gruppe.)
2 Minuten später drückt mir Auga einen Zettel in die Hand auf dem „pOOOpierius“ steht.
Als ich kurze Zeit später 3 mal hintereinander den Plural von Baum falsch bilde – woher soll ich wissen, dass dieser unregelmäßig ist? - erhalte ich einen weiteren Zettel: „1 medis – 2 medžiai“.
Es freut mich, dass sich die Kinder so viel Mühe geben, mit mir zu kommunizieren, denn ich weiß genau, wenn sie das nicht täten, wenn sie nicht geduldig und nachsichtig mit mir wären, wenn sie nicht mit mir kommunizieren wollten, hätte ich keine Chance.
Die Sonne scheint. Mal wieder macht sie mich glücklich.
Nehme ein paar Stationen den Trolleybus von der Arbeit in Richtung Grüne Brücke, zum Sprachunterricht. Doch der Trolley ist voll und draußen lächelt verlockend die Sonne, weshalb ich schon zwei Stationen früher aussteige. Hier bei der Kunstnationalgalerie am Konstitutijo Prospektas war ich ohnehin noch nie, obwohl das moderne, beige Gebäude mit den beiden schiefen, schwarzen Quadern davor so interessant aussieht. Diese Quader. Ich blicke an ihnen hoch und sehe immer das gleiche Muster. Ich drehe mich um gehe die Treppen zum Eingang des Museums hinunter, komme auf einen kleinen Vorplatz, den ich nicht erwartet habe, eingehüllt von hellem Stein und habe plötzlich, überraschender Weise einen Ausblick auf die Altstadt jenseits der Neris. Auch die Grüne und die Weiße Brücke kann ich sehen, sogar Vingo Parkas und den Fernseh Turm. In diesem Moment, als ich wieder in die Sonne auf dem Platz treten und den Ausblick bewundern kann, beginnt einen neues Lied in meinen MP3Player. Es ist ein leichtes Instrumentallied, ein sanfter Tango, der zum tanzen einlädt. Aufgeputscht von den Strahlen der Sonne, gefangen von all der Schönheit, die mich umgibt, getragen vom Glück, dass ich gerade hier sein darf, und geleitet von der Musik in meinem Kopf, lasse ich mich von den wenigen Menschen die mich jetzt sehen können, nicht abschrecken und beginne zu tanzen. Ein paar Schritte, ich drehe mich, die Arme in die Luft – es würde mich nicht wundern, wenn ich fliegen könnte.
Liebste Grüße aus dem noch sonnen-durchfluteten Vilnius.
Ach ja,
zur Betitelung:
Ersteres sagte Neringa, eine Studentin aus dem Wohnheim gestern, als wir gemeinsam einkaufen waren und ich es endlich geschafft habe, mir auf Grund der zunehmenden Kälte eine richtige Bettdecke zu kaufen.
Das Wort „Bundessaft“ entstand bei dem Versuch meiner Mentorin Inga – seit 3 Monaten mit einem Deutschen verheiratet – sich zu erinnern, wie ihr Mann Robin die Deutsche Botschaft begrüßt, wenn sie daran vorbeigehen: Etwa mit „Hallo Bundessaft“?
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