Was ich mir wünsche
Ein Brief an die cis Gesellschaft von einem Nichtbinären Menschen.
Diesen Text habe ich für das Magazin einer Freundin geschrieben. Ich möchte ihn auch hier teilen, um dem Thema mehr Reichweite zu geben.
Ich bin Trans und Nichtbinär und ich wünsche mir von euch, dass ihr dabei mitmacht, eine offene Gesellschaft zu gestalten. Ihr, das seid die cis Menschen.
Als ich versucht habe, diesen Text hier zu schreiben (irgendwas darüber, wie das so ist, Nichtbinär zu sein), habe ich gemerkt, dass das genau das mit mir macht, was auch die cis Gesellschaft mit mir tut: Mich in Erklärungsnot bringen. Wenn man Nichtbinär, Trans oder irgendwie Queer ist, macht man das viel. Sich fragen, ob das eigentlich stimmt. Ob das okay ist. Ob man sie eigentlich noch alle beisammenhat. Das liegt daran, dass die ganze Welt dir suggeriert, dass das eigentlich unmöglich ist, dieses Trans und dieses Nichtbinär sowieso. Unsere Sprache, unsere Formulare, unser Biologieunterricht, unsere Klos und unsere Köpfe sind eingebettet in ein binäres Geschlechtersystem in dem kein Platz für irgendwas dazwischen ist. Vielleicht könnte es möglich sein, von einem zum anderen zu wechseln und vielleicht könnte es auch sein, dass Frauen stark und Männer emotional sein können. Aber das ein Mensch kein Mann und keine Frau sein könnte… uff, schwierig. Das müsste man mir erst erklären.
Ich verstehe das. Ich verstehe, warum es schwierig ist zu verstehen, wie man keins von beidem sein kann. Wie sich das so anfühlt, wie man darauf überhaupt kommt.
Für mich bedeutet nichtbinär zu sein, frei zu sein. In meinem Körper, meiner Kleidung, meinen Gefühlen und meinem Selbstverständnis. Und ich möchte mich nicht dafür rechtfertigen.
Es ist schwierig. Weil natürlich sollt ihr es verstehen können. Wir können uns gerne mal auf einen Kaffee treffen und drüber quatschen. Ich kann dir auch gerne YouTube Videos, Filme und Bücher zu dem Thema empfehlen. Aber auf einer Doppelseite abzuhandeln, wie ich mich als nichtbinärer Trans Mensch fühle, wie alle nichtbinären und binären Trans Menschen sich fühlen können, funktioniert nicht. Nicht, wenn ich ganz von vorne anfange und eigentlich auch nicht von der Mitte an.
Auf einer Doppelseite kann ich gerade mal versuchen zu umrahmen was du, als cis Mensch, tun kannst, um unsere Gesellschaft ein bisschen vorwärts zu bringen.
Zuerst eine ganz einfache Bitte: Lass uns mal machen. Ich weiß, mitreden und mitbestimmen macht Spaß, aber zum Thema Trans kannst du das nicht, wenn du dich nicht selbst Trans fühlst. Man hört nicht auf, sich mit dem Thema Geschlecht auseinanderzusetzen, wenn man einmal angefangen hat. Wir denken und diskutieren so viel untereinander und ich weiß inzwischen, dass es eine gewisse gemeinsame Sprache braucht, um über manche Dinge zu reden. Ein gemeinsames Verständnis, geteilte Gefühlswelten und Erfahrungen. Queere Sprache kann ich dir nicht beibringen, du musst sie fühlen oder sie dir über eine lange Zeit erarbeiten.
Zweitens, und das ist schwieriger, möchte ich dich bitten, dir deines Status und deiner Privilegien bewusst zu sein. Du als cis Mensch passt rein, deine Identität wird ohne Nachfragen als valide erachtet – auch, wenn du das noch nie hinterfragt hast, was das eigentlich ist, dein Geschlecht, deine Identität. Und das stört mich an sich gar nicht, du darfst gerne damit zufrieden sein, wie die Gesellschaft dich benennt. Was mich stört ist, dass du dadurch auch die Macht hast zu bestimmen, ob ICH in meiner Identität valide bin. Wir Queeren Menschen, besonders wir Trans und ganz besonders wir Nichtbinären Menschen, müssen uns ständig dafür rechtfertigen, dass wir existieren. Unsere Identitäten sind politisiert, wenn es ums Gendersternchen, um Toiletten, Personalausweise, Sportunterricht und um Kindererziehung geht.
Stell dir vor, alle um dich herum debattieren darüber, ob es dich eigentlich gibt und ob man dich eigentlich in unserer Gesellschaft zulassen sollte. Ist nicht so schön.
Und wie gesagt, mir ist sehr bewusst, dass es für einen cis Menschen schwer ist, die Gefühlswelt eines Trans Menschen nachzuvollziehen. Und genau deshalb solltest du mal kurz aufhören mit grübeln und lieber zuhören. Uns zuhören und machen, was wir dir sagen. Unsere Namen und Pronomen akzeptieren, ohne zu diskutieren. Gerne darfst du fragen, ob du fragen darfst und wenn die Antwort „Ja“ ist, gerne noch mehr fragen. Super gerne darfst du dich auch selbst fragen! Aber bitte respektiere auch das, was du nicht verstehst.
Sei so nett und verzichte auf dein Privileg zu bestimmen, welches Geschlecht valide ist. Und wenn du noch einen Schritt weitergehen willst, hilf dabei, dieses Privileg, dieses Monopol der Deutungshoheit von cis Menschen aufzulösen. Ich gebe dir eine Anleitung dafür:
1. Fang bei dir selbst und deinen Vorurteilen an. Schließe nicht vom Aussehen auf die Geschlechtsidentität anderer Leute, ohne es zu wissen. Du weißt es nämlich nicht.
2. Frag nach. Wenn du weißt, dass eine Person Trans ist, frag nach ihren Pronomen. Ich freue mich jedes Mal darüber, wenn das passiert und find´s immer lustig, wenn Leute sich dafür entschuldigen. – Ich denke, das tun sie, weil sie denken, sie müssten es wissen. Aber genau das ist der Punkt, du kannst nicht wissen, mit welcher Sprache sich eine Person am wohlsten fühlt und selbst wenn du´s mal wusstest, kann es sich auch ändern.
3. Normalisiere. Stell dich selbst mit deinen Pronomen vor – nicht nur auf Instagram, sondern auch in Echt. Dadurch normalisierst du auch für andere, dass man nicht vom Aussehen auf die Identität schließen kann. Ich weiß, das mit den Pronomen fühlt sich manchmal nervig und umständlich an, aber es ist die einfachste Möglichkeit, Trans Menschen im Alltag Platz zu geben und unsere konservativen, westlichen Vorstellungen von Geschlecht zu dekonstruieren. Und ich garantiere dir, wenn in einer Runde neuer Leute ein Mensch ist, der gerne mitteilen würde, dass seine Pronomen nicht die sind, die man bei ihm standardmäßig voraussetzen würde, wird ihm ein kleiner Kieselstein vom Herzen fallen, wenn er nicht den ersten Schritt machen muss seine Pronomen bekanntzugeben – oder gar damit klarzukommen, falsch angeredet zu werden.
4. Leiste Beistand. Wenn deine Freunde und Kolleginnen sich verständnislos oder gar feindselig gegenüber Trans und Nichtbinären Menschen verhalten, ob in ihrer An- oder Abwesenheit, weise sie darauf hin, dass sie selbst die Gefühlswelt von Trans Menschen nicht nachvollziehen können und dass sie mit ihrem Verhalten in ihrer privilegierten Position anderen das Leben schwer machen können.
Das ist so ein richtig fluffiger Kuscheltext geworden! Ich fühl mich, als ob ich gerade mit meinen fiktiven Leserinnen eine heiße Schokolade trinke und ihnen den Kopf kraule. Ich hoffe sehr, dass ihr euch bisschen gekrault fühlt. Braucht man manchmal, wenn die Welt sich zu schnell verändert. Aber ich wünsche mir auch, dass ich so doll gekrault habe, dass ich ein bisschen was von der Kopfhaut des einen oder der anderen abkratzen und euch was ins Hirn pflanzen konnte.
I really don´t know though, denn die Vorstellung, cis zu sein, finde ich ziemlich komisch, ich kann mich da nicht so ganz reinversetzen. Wie fühlt sich das eigentlich an? Kann mir das mal einer erklären?
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