Warum haltet ihr mich für so verdächtig?
Eine Reportage über Racial Profiling, Vorurteile und deutsche Nachnamen.
Immer wieder kommt es vor, dass Menschen mit dunkler Hautfarbe, mit dunkleren Haaren und mit Bärten von der Polizei kontrolliert werden. Ein Freund von mir, der nicht so „deutsch“ aussieht, wird als einziger der Gruppe kontrolliert. Eine Freundin, die nicht so deutsch aussieht, wird in einem Cafe angemotzt, sich nicht an deutsche Höflichkeitsstandards zu halten. Hautfarbe, Aussehen und Namen entscheiden immer mehr, ob wir verdächtigt werden oder nicht und ob wir ständigen Kontrollen aussetzt sind. Darf das in einem Land wie Deutschland passieren? Und sollte man dagegen vorgehen?
Die Wurzel des Problems sind Stereotypen: Diese Grundannahmen über Menschen beruhen meistens auf Erfahrungen und korrespondieren mit Ängsten, sie sind ein natürlicher Schutzmechanismus und dienen dazu, die chaotische Welt in unserem Bewusstsein zu kategorisieren. Aber wir müssen uns selbstverständlich von diesen Annahmen über Menschen, die wir überhaupt nicht kennen, auch distanzieren: Jeder Mensch muss auch unabhängig von seiner Herkunft und Kultur betrachtet werden, jeder Mensch ist das, was er aus seiner Umgebung macht.
Als staatliche Institution, insbesondere als Polizei, die die gesellschaftliche Ordnung wahren soll, muss man natürlich mit diesen Stereotypen besonders vorsichtig umgehen. Diese beruhen hier häufig nicht auf Intuition oder persönlichen Erfahrungen, sondern auf Zahlen und Statistiken. Und ja, wahrscheinlich gibt es eine statistische Häufung, dass Menschen mit nicht-weißer Haut mehr Straftaten begehen - aber das bedeutet nicht, dass die Menschen nicht-weißer Hautfarbe krimineller sind. Tatsächlich weiß ich von Bekannten, die bei der Polizei arbeiten, dass es dort -intern- Anweisungen gibt, vermehrt Menschen zu kontrollieren, die nicht „typisch deutsch aussehen“ - die „Erfolgsquote sei da einfach höher“. Für mich hat dieser Zusammenhang aber hauptsächlich mit strukturellen Unterschieden zu tun - Menschen, die in Armut leben, sind eher dazu geneigt, sich durch illegale Wege Geld dazuzuverdienen. Wer wenig Perspektiven und Chancen hat, dafür aber viel Zeit und Kontakte zum Schwarzmarkt, wird wahrscheinlicher eher kriminell. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass niemand aus freier Wahl oder aus Spaß Drogen im Park verkauft.
Es ist natürlich ein schmaler Grad, auf dem sich die Debatte um Racial Profiling bewegt - es sind einerseits Statistiken, die für dieses Vorgehen sprechen, andererseits ist es das Grundgesetz und die Menschenwürde, die dagegen sprechen. Es gibt allerdings tatsächlich eine rechtliche Vorschrift, welche die Vorgehensweise der Polizei stützt: Nach Paragraf 22 des Bundespolizeigesetzes soll die Polizei an Bahnhöfen, Flughäfen oder Grenzgebieten Identitäten überprüfen, um illegale Einwanderung zu verhindert - also können an all diesen Orten verdachtsunabhängige Kontrollen durchgeführt werden, mit dem Hauptkriterium Aussehen. Natürlich würden die Polizist*innen in diesen Fällen keine „deutsch-aussehenden“ Menschen kontrollieren, sie wollen ja gezielt illegale Immigranten aufdecken. Das Aussehen sollte dabei aber nur ein Indiz von mehreren sein - wenn jemand nur wegen seiner Hautfarbe oder dem äußeren Erscheinungsbild kontrolliert wird, ist das Racial Profiling.
Eine amerikanische Journalistin berichtet auf ihrem Blog, dass sie innerhalb neun Monaten 23-mal spontan von der Polizei kontrolliert wurde - weil ihr ethischer Hintergrund indisch ist und sie dunklere Hautfarbe hat. Ich, mit meiner weißen Hautfarbe und meinem „deutschen“ Aussehen, wurde noch nie in meinem Leben spontan von der Polizei kontrolliert. Nach diesen Vorfällen setzt sie sich mehr mit dem Thema auseinander und berichtet erschrocken von anderen Fällen, beispielsweise von einem Vater, der erklären muss, dass seine Kinder wirklich ihm gehören - nach dem kontrollieren Polizisten zufolge waren die Kinder „mehr weiß als schwarz“.
Vielleicht gibt es einen statistischen Zusammenhang und wenn man versucht, illegale Einwanderung einzuschränken muss man wahrscheinlich auch nach „nicht-deutsch aussehenden“ Menschen Ausschau halten - aber die Art und Weise wie man das macht, ist entscheidend. Der Polizeisoziologie Rafael Behr empfiehlt daher, mit mehr Kultursensibilität, Taktgefühl und Freundlichkeit vorzugehen, und den Menschen die Situation eher zu erklären. Was auch helfen würde: Mal die Seiten wechseln! Ein Sozialpraktikum würde angehende Polizist*innen sensibilisieren und mehr Verständnis schaffen für Migrant*innen. Diese Begegnungen auf Augenhöhe könnten den latenten Rassismus in Institutionen wie der Polizei reduzieren.
https://www.fluter.de/polizeiforscher-ueber-racial-profiling
https://correctiv.org/aktuelles/flucht-und-migration/2017/01/03/racial-profiling-in-neun-monaten-hat-mich-die-berliner-polizei-23-mal-kontrolliert/