Warten auf den Frühling
Dielene hat in Estland vor allem eines gelernt: „Nicht immer 'warum?' zu fragen, wenn einem etwas fremd, seltsam und unbekannt vorkommt. Manchmal ist es besser zu fragen: Warum eigentlich nicht?!“
Dieser Eintrag wird ausnahmsweise mal ein bisschen kürzer werden, weil ich gerade nicht viel Zeit habe. Da ich aber nicht weiß, wann ich das nächste Mal zum Schreiben komme, will ich doch die kurze Zeit nutzen.
Mir geht’s wie immer gut! Die Zeit vergeht wie im Flug, aber das ist ja nichts Neues. Gerade habe ich meinen Mid-Term-Report geschrieben; einen Bericht, den jeder Freiwillige für die Nationalagentur schreiben muss, wenn die Hälfte des Freiwilligendienstes vorbei ist (bin also ziemlich spät dran; die Hälft habe ich schon lange!) Jetzt hab ich ihn an meinen Tutor Ilja gemailt, der das Ganze nochmal überarbeiten und vervollständigen muss. Leider konnte ich besonders über unsere Arbeit nicht nur Positives schreiben, deswegen bin ich ziemlich auf Iljas Reaktion gespannt. Ich hoffe, er ist nicht enttäuscht!
In den letzten Tagen habe ich gemerkt, dass ich mich langsam nach dem Frühling sehne. Seit Anfang Dezember hatten wir eine durchgehend weiße Schneedecke und ich hab keine Ahnung, wie lange die noch bleiben wird. Ich mag den Schnee wirklich gerne und an die Kälte hat man sich auch gewöhnt, aber so schön der Winter mit all seinen Freuden auch ist (die endlose Weite des gefrorenen Meeres, glitzernde Eiskristalle an den Fensterscheiben, Schneeballschlachten und Schlittenfahren...), über ein bisschen sprießendes Grün in der Landschaft und ein paar wärmende Sonnenstrahlen auf der Haut würde ich mich nicht beschweren.
Ich esse gerade wahnsinnig viel Obst und trinke ganz viel Multivitaminsaft; das braucht mein Körper wohl irgendwie, um die kurzen Sonnenstunden wettzumachen. Ich würde auch wahnsinnig gerne mal wieder einen Rock anziehen oder ein Eis auf der Straße essen, aber da muss ich mich wohl noch etwas gedulden. Ist Euch schon mal aufgefallen, dass in fast allen Bilderbüchern Sommer ist? Da grünt und blüht es überall, die Sonne lacht vom Himmel, Kinder spielen im T-Shirt auf der Straße - echt gemein!
Die letzten Wochen verliefen verhältnismäßig ruhig. Bei der Arbeit tut sich generell nicht viel, und an den Wochenenden war ich, wie immer, unterwegs. Es ist echt wahnsinnig, wie viel ich hier Bus fahre. Das ist hier zum Glück nicht teuer, aber trotzdem verdienen die Busgesellschaften Unmengen an mir; den Grossteil meines Taschengeldes werde ich jeden Monat an den Schaltern der estnischen Busbahnhöfe los. Aber ich will ja schließlich auch etwas sehen vom Land!
Letztes Wochenende war ich beispielsweise in Vöru, einer Stadt ganz im Südosten von Estland. Dort habe ich zwei andere deutsche Freiwillige besucht, habe ihre Arbeit gesehen (sie sind auch im Kindergarten), die Gelegenheit genutzt, mal wieder ausgiebig auf Deutsch zu tratschen ;) und außerdem noch den Suur Munamägi ("Großer Eierberg" - der Name sagt alles!) "erklommen", der mit 318 Metern nicht nur der höchste Berg Estlands sondern - man höre und staune - gar des gesamten Baltikums ist: ganze 318 Meter ist er hoch! Aber da wir uns auf unserer Wanderung durch kniehohen Schnee und Schneegestöber kämpfen mussten, war es doch nicht ganz so einfach den "Gipfel" zu erreichen.
Die beiden Wochenenden vorher hab ich, wie so oft, in Tallinn bei Katharina verbracht. Wenn man zu ihr kommt, kann man sich sicher sein, dass garantiert immer was los ist. Einmal stand der Geburtstag von Astrid, einer deutschen Studentin an, die in ihrer Wohnung keinen Platz zum Feiern hat und außerdem eine sehr gute Freundin von Katharina ist. Katharinas kleines Häuschen im Zentrum von Tallinn eignet sich einfach perfekt zum Party machen: viel Platz und außerdem ein paar total heruntergekommene, renovierbedürftige Zimmer, in denen man sich keine Sorgen machen muss, dass etwas kaputt gehen könnte, weil man einfach nichts mehr weiter kaputt machen kann. Da war natürlich bald klar, wo gefeiert werden sollte.
Und was für eine Feier! Ich schätze mal, dass es mindestens 70 Leute gewesen sein müssen, die sich durch die beiden "Partyräume" und den Gang schoben; fast ausschließlich Erasmusstudenten aus aller Herren Länder! In Estland ist es Sitte, schön ordentlich die Schuhe auszuziehen, wenn man eine Wohnung betritt. So sammelte sich im Laufe der Nacht ein so ungeheuer großer Schuhberg am Eingang an, dass man die Türe kaum mehr öffnen konnte. Ich glaube, viel genauer brauche ich auf diesen Geburtstag nicht einzugehen; es wurde jedenfalls eine lange Nacht...
Für das darauffolgende Wochenende hatten sich dann ein paar Freiwillige aus Lettland bei Katharina angemeldet. Ein paar davon hatten wir auf unserem kalten Rigatripp im Januar kennen gelernt und es war echt nett, sie so schnell wiederzusehen! Zu elft kamen sie in Tallinn an und zusammen mit weiteren estnischen Freiwilligen war bei Katharina also mal wieder Full House. Mit den "Letten" stand dann die übliche Sightseeing-Tour durch die Tallinner Altstadt an, der obligatorische Gang zum Kompressor, wo es die besten und größten Pfannkuchen der Welt gibt (ich würd’ schon gern mal die Monsterpfannen sehen, die sie da benutzen...)
Und in all dem Trubel hat Gesine auch noch die Zeit gefunden, mir und Kathrina die Haare zu schneiden; was echt überfällig war, da ich mich aufgrund ungenügender Sprachkenntnisse noch in keinen Friseursalon getraut hatte. Jetzt sehe ich wieder einigermaßen anständig aus. Lieben Dank an dieser Stelle noch mal nach Tartu!
Ansonsten hatte ich, wie gesagt, verhältnismäßig ruhige Tage in den letzten Wochen. Mit meinem Russisch geht es leider immer noch nur langsam vorwärts, aber ohne Lehrer ist es eben sehr schwierig. Eigentlich müsste ich mich alleine zu Hause hinhocken und Grammatik pauken, aber dazu fehlt mir die Motivation. Das kann ich nicht. Die nötigsten Ausdrücke, die man bei der Arbeit mit Kindern braucht, "Kindergartenrussisch" also, kann ich mittlerweile, aber eigentlich hatte ich gehofft, dass ich nach meinem Aufenthalt hier ein bisschen mehr als nur das Nötigste könnte... Jetzt hab ich mir mal wieder ein paar Bücher aus der Kinderbücherei ausgeliehen (zum Beispiel "Die kleine Hexe" von Ottfried Preussler ;), da kenn ich wenigstens die Handlung und brauche nicht jedes unbekannte Wort nachschlagen). Vielleicht hilft’s ja ein bisschen.
Irgendwann haben wir auch unsere estnischen IDs abgeholt. Bis jetzt wollte zwar noch nie jemand meinen Ausweis sehen, aber es fühlt sich doch gut an, einen zu haben. Außerdem wird er später eine tolle Erinnerung an meine Zeit hier sein. Die Personalausweise sind hier übrigens multi-task-fähig: diese kleine Plastikkarte gibt nicht bloß Auskunft über meine Person, sie hat nebenbei noch einen Chip eingebaut und ich habe einen dazugehörigen PIN-Code, sodass ich mit diesem Wunderding Geld abheben und weiß Gott was sonst noch alles machen kann (wenn ich das wollte, brauch es aber eigentlich gar nicht). Den Ausweis holt man hier übrigens von der Bank ab. Als ich da zur Bank gelaufen bin, ist mir eine Sache klar geworden, die ich hier schon gelernt habe: Nicht immer "warum?" zu fragen, wenn einem etwas fremd, seltsam und unbekannt vorkommt. Manchmal ist es besser zu fragen: Warum eigentlich nicht?!
So weit, so gut! Ich werd mich bald wieder melden. Für die nächsten Wochen ist schon wieder ganz viel geplant!
Was ist denn bei Euch allen so los?
Ganz liebe Grüße, Eure Lene