Vorhimmel
Johannson is on the road again. Aber nicht wie früher in Schottland, sondern in Polen, wo er sich um „ungewöhnliche Maßnahmen“ kümmern wird. His diary is also available in english.
Eigentlich fängt alles schon drei Tage vorher an. Weil ich für den Austausch auch noch etwas bei meiner Entsendeorganisation arbeiten soll und will, fahre ich am Donnerstag zum Haus Neudorf, um einen Stand für das Dorffest zur 750-Jahr-Feier Gerswaldes vorzubereiten. Mit Frau Join-Lambert und der lettischen Europäischen Freiwilligen Gita, einem Namen viel zu niedlich in der Aussprache als das man es schreiben könnte, mache ich mir Gedanken über Gestaltung und Inhalt; wie Attraktivität und Information abgewogen werden sollen.
Nachmittags fahren wir noch zum Sportfest in Gerswalde; zurück laufe ich zusammen mit Gita über einen Landweg. Die sonnigen Felder, der Mohn und die Kornblumen; hätte ich nicht so lange hier gelebt, würde ich die Region wahrscheinlich lieben. Es ist schön hier mit jemandem aus Lettland über die alten Kopfsteinpflaster zu laufen, sich auf einen Baumstamm zu setzen und Bier zu trinken, das man vorher im Gutshaus Friedenfelde gekauft hat. Was für eine Oase doch Haus Neudorf in dieser abgeschnittenen Ecke ist. Abends spazieren wir noch einmal zum nahen Stiernsee, auf dem der Mond spielt.
Himmel und Hölle
Ich übernachte und am Freitag beenden wir die Arbeit am großen Banner, stimmen uns ab wo die ausgesuchten Bilder und Texte hinkommen. Dann wird noch ganz spontan entschieden, dass ich am Samstag beim eigentlichen Einsatz auch gleich mitmache, noch einmal übernachte und dann direkt von dort losfahre. Gesagt, getan, ich muss nur nach Hause, ganz schnell alle meine Sachen einpacken, sämtliche Vorbereitungen treffen und beim Fußballspiel einen Herzinfarkt vermeiden.
All das lohnt sich. Selbstverständlich interessieren sich am Sonnabend nur wenige Menschen mehr für internationalen Austausch als für Zuckerwatte. Aber dafür ist zum Beispiel die polnische Partnergemeinde aus Banie zu Gast, mit einem lautstarken kleinen Kinderchor, zwar in Trachten gepresst, aber nichtsdestoweniger stimmlich engagiert. Gleich neben uns hat die NAJU einen Stand, bei der ich viel Zeit und auch den Abend verbringe. Die alte Schlossgärtnerei, in der ich im Winter einmal gearbeitet habe, ist noch immer eine Baustelle, aber jetzt im Sommer einfach ein Paradies. Zwischenzeitlich gehe ich noch in eine Kneipe, um mir das Spiel Englands anzusehen und gehe wieder, ohne auszutrinken.
Die Ruhe vor dem Morgen
Gita wollte sich das Fest noch ansehen und ich tat ihr den Gefallen, auch wenn ich Dorffeiern hasse, aber wie oft hat sie schon die Gelegenheit. Und es macht Spaß. Nicht die Party, aber die Party mit ihr. Schon komisch, dass ich meine Zeit hier auf dem Inbegriff all dessen beende, was ich hier immer gehasst habe. Mein Gott ich tanze sogar. Wenn der erste Alkohol abklingt, dauert es eine Weile, bis man das Gehirn wieder abgeschaltet hat, aber dann tanze ich nur noch, ohne mich um irgend jemanden zu kümmern, so wie Gita, die sich dreht und bewegt und gestikuliert wie Du es vielleicht nur kannst, wenn Du von weit weg kommst.
Irgendwann laufen auch wir wieder nach Hause, eineinhalb Stunden durch die dunkle, frische Nacht, in Sandalen über Kopfsteinpflaster; in den Getreidefeldern rascheln Tiere und im Osten wird es schon wieder hell. Wie lange habe ich darauf verzichten müssen. Hätte ich Haus Neudorf und seine Freiwilligen nur früher kennen gelernt. Wieder dort, schaue ich durch die dunklen Räume. Es ist etwas traurig, dass man sich von diesen Leuten verabschieden muss und sie wahrscheinlich nie wieder sieht, kaum das man sie kennen gelernt hat. Aber das ist erst morgen. Halb vier bin ich im Bett, um 5.50 Uhr klingelt das Handy neben meinem Kopf: Ewa von Motyka wünscht mir eine gute Reise.