Vor allem lerne ich um den Wert des Friedens
Zwei Monate Verdun. In der Beschäftigung mit dem Krieg lerne ich welch großes Privileg der Frieden ist und wie sehr es ihn zu schützen gilt.
Jetzt im Zug fühle ich mich bereit. Bereit für die Konfrontation mit der Vergangenheit Europas. Für eine fremde Umgebung. Für schöne und traurige Momente. Für alles, was mich auf seine Weise bereichern wird.
Etwas mehr als zwei Monate werde ich in Verdun beim Verein Connaissance de la Meuse arbeiten und die Proben und die Aufführungen der Licht- und Tonshow Des Flammes...à la lumière begleiten. Im Stück spiele ich eine junge Bourgeoise. Der Krieg ist noch fern, das Leben unbekümmert und leicht. Später wechsle ich die Rolle, werde zum deutschen Soldaten. Warte auf Post, erlebe die Explosion von Bomben, verschanze mich im Schützengraben, schieße auf Feinde und sterbe im Krieg. Rollenwechsel. Vom Krieg gezeichnet, sehe ich die Bewohner meines Dorfes auf mich zulaufen und vergesse alles um mich herum. Bin auf der Suche nach meiner Familie, schließe sie in die Arme. Weine und bemerke erst in der Umarmung, was mich die ganze Zeit aufrecht gehalten hat. Pour ne pas vous oublier, pour ne pas nous habituer, parce que l'union des peuples est le seul chemin vers la paix. Ich, beginne mich daran zu gewöhnen und sehe nicht nur den Schrecken, sondern auch die Schönheit des Schlachtfeldes. Der Krieg hat hier seine Spuren hinterlassen und der Wald ist voller Narben, Schützengräben und Einschusslöcher. Er ist einzigartig und, eben auch, wunderschön. Vielleicht ist das bei uns Menschen genauso. Das, was wir erleben prägt uns. Egal ob schön oder schrecklich, letzten Endes sind wir zu etwas Einzigartigem geworden und unsere Erfahrungen sind es, die uns von einander unterscheiden. Ich bin die Summe meines Erlebten und das, was ich hier erfahre, bereichert mich ungemein. Vor allem lerne ich um den Wert des Friedens.
Bei den Proben sagt man uns „Es ist hart das Soldatenleben, oder?“ Ja ist es! Aber nicht das im Stück. Ja, nach der ersten Probe habe ich Blaue Flecke, bei der Generalprobe schürfe ich meine Hand auf. Aber was ist das und mein Muskelkater gegen die Qualen der echten Soldaten. Im echten Krieg. Während sie starben, Gliedmaßen verloren oder erblindeten. Während ihre Seele litt und sie gezwungen waren zu töten, vergehen meine Schmerzen und die Schönheit der Erinnerung bleibt.
Es ist das Jahr 2017. Und es kann sich niemand mehr vorstellen wie er war. Der Krieg. Es bleiben Briefe, Tagebücher und Videomaterial, die nur schemenhaft erahnen lassen was es bedeutet vor hundert Jahren Bürger dieser Welt gewesen zu sein. Sich in ihr Leben hineinzuversetzen wird unmöglich und Berichte bleiben vergebliche Versuche einer Annäherung.
103 Jahre nach Beginn des Ersten Weltkriegs befinden wir uns in der Stadt, die symbolisch für den Stellungskrieg an der Westfront steht. Wir beschäftigen uns mit dem Krieg und dadurch auch mit dem Frieden.
Ich bin im vereinten Europa aufgewachsen, wo wir das Privileg des Friedens leben dürfen, ohne die Sorge es zu verlieren. Aber manchmal, wenn ich Menschen sehe, die einem Bus voll hilfesuchender Menschen „Wir sind das Volk“ entgegen rufen, ein Satz der einst Deutschland einte, habe ich Angst, dass wir beginnen zu vergessen. Verstehen sie nicht, dass die, die sie vertreiben wollen, vertrieben wurden. Vor dem, was sie fürchten. Geeint in der Angst bleibt trotzdem keine Einheit. Bleibt Hass, der zerbricht, was aufgebaut wurde als Schutz vor einem erneuten Krieg.
Zwei Weltkriege hat es gebraucht zu lernen, dass gemeinsame Arbeit die Grundlage des Friedens ist, dass andere froh wären, über das, was wir hier haben: Die Freiheit zu reisen, leise zu sein, laut zu sein, sich auszudrücken, zu kritisieren, anders zu sein, zu glauben, zu lieben, nicht zu glauben, sich zu verändern, gleich zu sein...
Das weiß ich am Ende meines EFDs als ich wieder im Zug sitze und mir noch nicht bewusst ist, dass ich bald jeden Tag an Frankreich und meine Erlebnisse dort zurückdenken werde. Ich habe gelernt, dass es möglich ist, dass aus Krieg Frieden und aus Feinden Freunde werden und wir gemeinsam so viel mehr erreichen können als man manchmal glaubt.