Von Erwartungen und Bilanzen: Lass Dir nichts erzählen & hör auf Dein Bauchgefühl!
Mein Rat für zukünftige EVSler.
„Ich kann Dir jetzt aber auch nicht alles erzählen“, sagte mir vor knapp einem Jahr über Skype das Mädchen, das in dem Jahr vor mir in meinem EVS-Projekt gewesen war, „Du musst schließlich dein eigenes Ding machen.“ Verstanden, was sie meinte, habe ich damals nicht so ganz. Ich hatte gerade mein Abi in der Tasche und würde im folgenden Jahr in einem fremden Land mit einer Sprache, die ich noch nicht sprechen konnte, und Menschen, die ich noch nicht kannte, leben. Ich war neugierig, aber ich hatte auch Angst vor so viel Neuem – und hätte mir stundenlang von ihrem Jahr in Madrid erzählen lassen können.
Als ich über Weihnachten zuhause war, fing eine Freundin von mir gerade an fürs Abi zu lernen und parallel dazu begann, sich für Freiwilligenprojekte im Ausland zu bewerben, und eine andere Freundin, die bereits zwei Jahre vorher ihren Freiwilligendienst im Ausland gemacht hatte, war ebenso über Weihnachten zuhause. Wir beide hatten uns bei unseren Freiwilligendienst bereits für unterschiedliche Länder und unterschiedliche Programme entschieden und auch die Dritte im Bund plante weder einen EVS noch Spanien noch Land und Programm unserer gemeinsamen Freundin.
„Ist vielleicht ganz gut so“, sagte ich damals, „Wenn du etwas machst, was jemand, den du gut kennst, vorher schon gemacht hat, gehst du immer mit ganz genauen Erwartungen hinein, dabei wird deine Erfahrung vielleicht ganz anders aussehen.“ Meine Freundin nickte dabei. „Ich werde auch immer gefragt, ob denen, die in den kommenden Jahren in meinem Projekt sind, von meinen Erfahrungen erzählen kann und weiß gar nicht, was ich erzählen soll“, sagte sie. „Ich bin in dem Jahr meinen eigenen Weg gegangen und möchte da doch niemanden beeinflussen.“
Erst als sie das sagte, fiel mir auf, wie viel Recht meine Projektvorgängerin im Jahr davor gehabt hatte.
Spätestens bei meinem Mid-Term-Training wurde mir klar, wie unterschiedlich so ein Freiwilligendienst sein kann: Ich durfte in Madrid Freiwillige kennen lernen, die in derselben Wohnung wohnen, im selben Projekt arbeiten und doch nicht unterschiedlichere Leben führen könnten und in diesem Jahr ganz unterschiedliche Erfahrungen machen. Das ist davon abhängig, in welchem Projekt du arbeitest, ob es ein Sozial- oder eher ein Umweltprojekt ist, ob du viel arbeitest oder eher wenig, das ist davon abhängig, wo du bist, ob auf dem Land oder in einer Großstadt, ob du in einer großen WG wohnst oder ihr euch zuzweit eine Wohnung teilt, das ist davon abhängig, auf was für Menschen du triffst, ob du mehr mit Einheimischen in Berührung triffst oder viel mit Freiwilligen aus den unterschiedlichsten Ländern machst.
Das ist aber vor allem auch davon abhängig, wer du bist.
Ich reise für mein Leben gerne und werde allein im April vier von fünf Wochenenden verreist sein – das heißt aber nicht, dass du so viel Reisen muss: Wenn du dich in deiner Stadt wohlfühlst, kann es wunderbar sein, immer dort zu bleiben. Viele glauben, wenn man schon ins Ausland geht, muss man auch das ganze Jahr dort bleiben – ich war über Weihnachten zuhause und habe die Zeit dort wirklich genossen. Eine Freundin von mir hatte viel mehr Kontakt als ich zu Einheimischen und hatte auch einen einheimischen Freund - aber wenn es dir nicht gelingt, direkt Kontakt zu Einheimischen zu knüpfen, muss das nicht schlimm sein: Ich genieße es bis heute total, so viele Freiwillige aus den unterschiedlichsten Ländern um mich herum zu haben. Ich habe mir außerdem als Andenken an meinen Freiwilligendienst ein Tattoo stechen lassen – und dein Freiwilligenjahr muss kein bisschen weniger cool sein, weil du das nicht tust.
Ich selbst bin inzwischen etwas über sechs Monate in Spanien, seis meses y pico, würden wir hier sagen, und wenn ich darüber nachdenke, was ich zukünftigen Freiwilligen raten würde, dann fällt mir vor allem eins ein: Lasst euch nichts erzählen! Es gibt im Internet unzählige Blogs und Websites, die vom Ausland erzählen, und ihr kennt mit Sicherheit unzählige Freunde, die schon ähnliche Erfahrungen gesammelt haben. Ich habe heute das Gefühl, mit Sicherheit alle ausgefragt zu haben, die ich hätte ausfragen können, und alle Blogs gelesen zu haben, die ich hätte lesen können. Falsch ist das vielleicht nicht, aber ein Ausland- oder Freiwilligenjahr heißt immer auch, dein eigenes Ding machen.
Bei meinem Mid-Term-Training habe ich mir deshalb überlegt, dass ich unbedingt diesen Blogpost schreiben möchte, in der Hoffnung, dass vielleicht ein zukünftiger EVSler ihn liest und mit meinem Rat an seinen Freiwilligendienst herangeht: Lass Dir nicht von anderen oder ihren Geschichten erzählen, wie ein Freiwilligendienst aussehen muss, hör auf Dein Bauchgefühl und Dein Herz, lass Dich nicht von den Erwartungen von anderen oder von Dir selbst unter Druck setzen, geh so wenig vorbelastet und so neugierig wie möglich an dieses ganz besondere Jahr heran, lass Deinen Freiwilligendienst so individuell werden, wie Du es selbst bist, und mach ihn Dir so, wie Du ihn haben möchtest!
Commentaires