Vom olivaceous warbler bis zum baltimore oriole
Zoe ist überwältigt von der Insel, auf der ihre Euphorie schon am frühen Vormittag im den Höchststand erreicht – sie will Spuren auf Cape Clear hinterlassen, zum Beispiel durch einen Garten.
Irgendwas strahlt so vor sich hin. Der Herbst will noch nicht hier sein und so bleibt der Sommer noch ein bisschen länger in den Hecken und Fuchsienbüschen hängen. Die Nächte werden sternenklar und kalt, weißes Mondlicht erleuchtet von nun an die fehlende Treppe vor dem Haus.
Da wo sich ganz am Ende Klippen und Wasser treffen, da wo die Insel stur auf ihr Recht als Landmasse besteht, da wo von Zeit zu Zeit die Wellen höher schlagen, als es der Wasserpegel vermuten lässt, da wo die Seehunde in den Felseinmündungen Schutz vor der Strömung suchen, da wo man lieber nicht stolpern soll, da wo man auch sich besser nicht alleine aufhält an stürmischen Tagen, da wo man sich in der Horizontlinie verliert und vom Neongrün der Wiesen geweckt wird, wenn man sich dann mal umdreht, da wo man hin verschwindet, wenn die Insel zu klein wird, da wo einen nur Gummistiefel tragen können, da wo die Insel im Besitz von anderen ist, da wo man wie auf einen Drahtseil über allem spaziert und sämtlichen Zusammenhang verliert, da wo es auch mal passieren kann, dass man face to face zu einem Bullen steht, wenn man den falschen Weg einschlägt, da wo der nächste feste Punkt Amerika ist, Europa im anderen Blickwinkel,
da konnte man mich die letzten Tage relativ oft finden.
Wenn man denn Anfängt sucht. Auf der fremden Inselseite. Sämtliches zeit- und Raumgefühl verwandelt sich auch in eine dicke zähe Masse, die einen umgibt wie klebriger Nebel. Weil man spät schläft und früher aufsteht. Round here. Fast gestolpert und runtergefallen. Rückwärts laufend am Ende der Welt. Ins Schwarze fallend. Über den Rand.
Die Ohren weiterhin offener und die Augen immer auf die kleinste Bewegung konzentriert den Hügel rauf und runter. Noch am Lernen aber der Blick verfeinert sich und immerhin hab ich ja auch jetzt ein Buch um nachzulesen, wer da so durch die Luft wirbelt. Meistens mehr rauf als runter. Stockdunkel. Aber. Der Mond hatte wohl mit den durch Pfützen stolpernden Kreaturen Mitleid und scheint seit ein paar Tagen fast voll in seinem silbrig glänzenden Licht. Licht. Davon bitte auch mehr. Ohne Worte. Oder eben doch mit. B&B heißt wohl doch Brunner und Brunner. Komisch zu wissen, dass man wissen kann, wovon ich am Telefon spreche. Wenn man die Orte ein wenig kennt. Die Menschen. Die Schokolade. Hiersein. Heißt das auch automatisch Wegsein? Wie auch immer.
Meine Arbeit an sich, ehm, ist... war für ein, zwei Wochen nicht der Grund, hier zu sein. Bisher fordert’s mich weniger als gedacht. Mit den Kindern ist es nett, wird aber ein bisschen langweilig gerade. Zum Glück fängt im November die Afterschool an. Sämtliche Blumen sind gepflückt. Müll vom Strand aufgesammelt. Wege frei geschnitten. Alle Brombeeren gegessen. Is’ natürlich Quatsch. Sämtliche Bilder schon zum fünften Mal angeschaut. Bilder. Der Film fehlt. Und die DVD funktioniert nicht. Muss eigentlich unter Menschen. War schon seit, seit, zu lang nicht mehr. Verlier mich viel zu viel in meinen Gedanken. Verliere viel zu oft den Faden und ende dort, wo ich nicht sein will. Und doch zu oft bin. Nichts, was die Gedanken auf sich zieht, also Kreisen sie weiterhin, wenn man das Gewicht der fremden Wörter nicht einzuordnen weiß, denn es ist nicht die selbe Sprache, die man spricht. Ein Balanceakt, der noch nicht entschieden ist. Von dem alles abhängt. Zumindest viel. Selbstgebaute Schlaglöcher und jeden Morgen drüber brettern. Aufwachen. Der einzelne Tag verliert mit weitem an Bedeutung und die Aussicht wird mit jedem unbeantworteten Satzfetzen trüber.
Irgendwo dazwischen. Eine Grenze aus Holz. Viele Postkarten unbeschrieben. Dabei ist dafür doch alle Zeit der Welt. Es tut mir auch wirklich leid, dass bisher so wenig Post ankommt. Nicht, dass ich voll beschäftigt wäre. Mein ganz normaler Tag beginnt mit Spazierengehen. Im Morgengrauen am South Harbour entlang, den Tag begrüßen. Durch den Vollmond ist der Stand des Wassers vollkommen verändert worden. Ganz andere Steine überflutet und viel mehr lag frei an der Luft. Noch ein Vorteil am Vollmond ist, dass man sieht, wo man hinläuft und da ich jetzt immer weiß, wo Norden ist, kennt man auch die Blickrichtung des Südens.
Hab ich schon mal erwähnt, dass diese Insel einfach viel zu schön ist?
Schwer einzuordnen, welche Jahreszeit gerade ist, kann es doch passieren, dass nur an einem Tag Sommer und Winter und Frühling und vor allem Herbst aufeinander treffen. Wind und Wetter, besser nicht wegwehen lassen. Der Grund, mehr Schokolade zu essen. Meine Geduld mit dem Feuer wird immer geringer. Dann lieber frieren oder andere Menschen um Feuer bitten... man weiß es nicht. Kohlenfeuer ist ja eh viel toller, als Torffeuer, hab ich mir sagen lassen. Mein Vormittag mit den Old Folks war sehr nett. Gemütlich am Feuer sitzen und erzählen, ich hab sogar das meiste verstanden und jetzt gibt es ein paar neue Stationen auf dem Weg über die Insel, wo warmer Tee an solchen Tagen wie heute wartet.
Die Luftfeuchtigkeit liegt bei über hundert Prozent. Man kann kaum einen Meter weiter sehen – apropos Meter: Wenn man hier irgendwas in Zentimeter angibt, müssen die meisten erst einmal eine Pause für’s Umrechnen einlegen. Ein weiteres Projekt, das ich bald angehen werde, ist die farbliche Innenausstattung von Eiri na Greine. Ich darf die Farben für sämtliche Räume aussuchen, für die Möbel und Vorhänge. Anmalen und so darf ich auch machen. Eine weitere Unterschrift auf dieser Insel.
Des Weiteren hab ich vor, um das Haus einen Garten anzulegen soweit das möglich ist. Mit Beerenhecken. Johannisbeeren, Stachelbeeren. Damit die Vögel sich freuen und zahlreich um das Haus scharen. Und wo Vögel sind, sind auch Vogelbeobachter zu finden. Das Ziel: Wenn dann ein ganzes Vogelparadies bei mir vor der Haustür enstanden ist, die Vogelbeobachter sich um den besten Platz hinter der Mauer drängen, werd ich anfangen, Pfannkuchen zu machen und zu verkaufen. Natürlich auch Kaffee. Echten und keinen Instant-Ekel-Kaffee.
Eine eigene Existenz auf Cape Clear – wenn das nicht mal ’n Plan ist.
Davon kann man doch nur träumen. Oder Alpträumen. Immer eine Frage des Blickwinkels. Alles in Gelb kurz nach fünf Uhr. Dann steht plötzlich Super-Shane-Churley vor mir. Ehm, muss ich jetzt mit Dir Englisch reden? Besser ist das.
Uuuund wenn ich jetzt Glück hab, funktioniert jetzt die Heizung. Ein Telefon hab ich auch seit gestern. Jetzt fehlt nur noch die Dusche und dann? Fehlen nur noch ein paar Mitbewohner. Mitte November. Gar nicht mehr lang. Weniger als ein Monat. Erschreckend, dass 2006 nur noch 2,5 Monate hat um zu dauern. 2006. Das Jahr, auf das man immer gewartet hat. Vorbei. Unfassbar.
Diese verdammt wunderschöne Insel ist ja kaum auszuhalten. Die ganze Euphorie, die sich schon kurz vor neun Uhr morgens auf dem Höchststand befindet. Ein Regenbogen beim aufwachen. Stürmisches Herbstleuchten. Dazwischen ein frecher Regenschauer. Mir sagte man zwar, dass es keinen Herbst hier gibt, sondern nur Sommer und Winter, aber es ist definitiv Herbst. Riecht man. Sieht man.
Ein weiterer seltener Vogel. Jeden Freitag einen neuen? Her mit Thrush. Wunderschöne Federn. Brauntöne, die kreisend ineinander übergehen. Besonderes bemerkenswertes Muster am Bauch .Einfach mal googeln. Alles nordamerikanische Vögel auf dem Durchflug. Raus rennen. Viel zu schön, um drinnen zu sitzen. Aber sonst wird’ ich hier nie fertig. Feuermachen klappt jetzt auch in weniger als zehn Minuten. Zum Schreiben kommt man dann eben nicht so viel.
Hatte ja auch viel Besuch die letzten Wochen. Seltsam, wenn sich die Welten so vermischen, aber wenn man jetzt weiß wovon ich spreche, Bilder im Kopf hat. Ich hab ja noch gar nicht von letztem Freitag geschrieben. Das war ein echt witziger Tag. Der Tag des Baltimore Oriole. Also das war so: Man stelle sich folgendes Bild vor. Der South Harbour im zarten Morgenlicht. Ein etwas größerer Busch. Davor etwa 20 Männer in grün mit Ferngläsern, Teleskopen und Fotoapparaten bewaffnet. Vor einer einzelnen Mauer kniend. Was ist also in diesem ominösen Busche versteckt? Das alles auf dem Weg zur Arbeit. Im Grunde kein ungewöhnliches Bild, wenn man schon ein bisschen länger hier ist. Also einfach weitergehen und freundlich grinsen, wissend, dass man im Laufe des Tages bestimmt davon erzählt bekommt, wenn nicht sogar mehr. Auf dem Rückweg von einem weiteren Spaziergang auf die andere Inselseite plötzlich eine SMS, der Vogel wurde doch noch gesehen. Schnell hin. Schnell impliziert in diesem Fall noch eine Tasse Kaffee.
Zurück zum South Harbour, glücklicherweise ist die Insel nicht zu groß… ;-). Der gleiche Haufen wie am Morgen, immer noch vor der Mauer kauernd, aufgeregt, zum Teil schon die Geduld verlierend. Twusch... da taucht dann der Vogel von irgendwo in diesen Busch ein und ein großer Teil älterer Männer rafft sämtliche Ausrüstung auf und rennt auf die andere Seite. Wie ein Haufen kleiner Kinder. Es ist wunderbar, die ganze Euphorie und Vor- bzw. Nachfreude mitzuerleben. Baltimore Oriole. Leuchtendes Orange mit dunklen Flügeln. Ziemlich hübsch. Das scheinen viele amerikanische Vögel zu sein, dafür können sie dann aber nicht so schön singen. Hast du ihn gesehen, hast du ihn gesehen.... ja, hab ich. Ohne Stunden zu warten und ohne bleibende orthopädische Schäden. Wie schön das ist, da so langsam reinzurutschen, wenn auch nur ein bisschen. Macht auch irgendwie Sinn, beim Spazierengehen. Flitzt es durch die Luft und verschwindet in der nächstbesten Hecke.
Filmmusik. Regenbögen über Bird Island. Ein Doppelter sogar und das dann nicht Kitsch zu nennen, ist nicht das Einfachste. Hiersein, mir geht’s ziemlich gut gerade hier. Die Arbeit macht wesentlich mehr Spaß inzwischen, vielleicht ist die Kennenlernphase auch jetzt mal rum. Ein Raum ist schon nach meinen Vorstellungen gestrichen und weitere Farben wurden heute Morgen bestellt. Weiß. Grün und natürlich Rot. Hehe. Das bin ich.
Meine Pläne für den Garten konkretisieren sich auch immer mehr. Mittlerweile weiß ich zumindest, wo und was und vor allem, wer mir die ganzen Pflanzen gibt. Schutzsuchend an der Mauer lehnend dem Regen trotzen. Nach Hause kommen und vor dem Feuer aufwärmen. David kommt am 12. November und ich freu’ mich schon riesig. Will bis dahin noch ein bisschen Spanisch lernen. Ein paar Phrasen zumindest. Die Umstellung für ihn wird ziemlich schwierig werden. Dazwischen fahr’ ich noch ein paar Tage nach Dublin...
soweit so gut, ich werd mich jetzt mal in den Regen wagen, um das hier noch hochzuladen, und wenn alles gut klappt, hab ich auch vielleicht nächste Woche hier Interentanschluss. Wow...unfassbar. Zehn Wochen Cape Clear. Stepps a little closer each day....So close that can’t see what’s going on.... (D.Rice- Cannonball)... Im Regen den Hügel runter gerannt. Mit Damien im Ohr. Betäubend. Wunderbar. Sturm und Regen. Der South Harbour brodelt über. Über die Mauern und in mein Gesicht und toll...
Ich liebe diese Insel...