Viel diskutierter Werbespot
Ein Weihnachtswerbespot der deutschen Supermarktkette Edeka. Nichts Ungewöhnliches, könnte man meinen. Doch seit der Spot im Fernsehen und Internet zu sehen ist, wird er von vielen Menschen kritisiert und verteidigt.
Vor zwei Wochen redete ich an einer dänischen Schule im Deutschunterricht mit Schülern der neunten Klasse über Manipulation durch Werbung. Im Anschluss an meinen kleinen Vortrag blieb noch Zeit, welche ich nutzte um eben diesen Werbespot zu zeigen und die Schüler nach ihrer Meinung zu fragen.
Dem Zuschauer wird die Geschichte eines älteren Mannes erzählt. Dieser erfährt über den Anrufbeantworter, dass es die Familie seiner Tochter auch in diesem Jahr nicht schaffen wird ihn an Weihnachten zu besuchen. Traurig beobachtet er seine Nachbarn mit ihren Enkelkindern und denkt an die vergangenen einsamen Heiligabende. Die drei, bereits erwachsenen, Kinder des Mannes werden kurz darauf von der Nachricht des Todes ihres Vaters aus ihrem stressigen Alltag gerissen. Nach einer tränenreichen Beerdigung betreten sie ihr Elternhaus und stellen fest, dass der Esstisch gedeckt ist. Im nächsten Augenblick betritt ihr „Papa“ den Raum und sagt: „Wie hätte ich euch denn sonst alle zusammenbringen sollen?“. Daraufhin genießt die ganze Familie bei ausgelassener Stimmung ein reichhaltiges Weihnachtsmenü. Es folgen der eingeblendete Satz „Zeit heimzukommen.“ sowie das Logo der Supermarktkette Edeka.
Die Reaktionen im Klassenraum waren vielfältig. Während die Deutschlehrerin mit den Tränen kämpfte und über ein einsetzendes schlechtes Gewissen klagte, fanden die Jungen und Mädchen den Werbespot entweder gelungen oder makaber. Einige merkten an, dass es falsch sei den eigenen Tod vorzutäuschen weil mit so etwas schlichtweg nicht zu spaßen sei. Der gleichen Meinung sind auch zahlreiche Kritiker. Sie geben außerdem zu bedenken, dass der Werbespot unrealistisch und einfach eine kommerzielle Marketingstrategie sei. Auf Youtube hat der Clip bereits mehr als 40 Millionen Klicks. In den Kommentaren wird die deutsche Werbung von Menschen verschiedenster Nationen gelobt. Die meisten schreiben, dass sie beim Anschauen des Videos zu Tränen gerührt gewesen seien und wünschen einander frohe Weihnachten.
Wie schaffen es die Macher des Spots in nicht einmal zwei Minuten so viele Menschen in ihren Bann zu ziehen? Es wird eine Geschichte inszeniert, der es keine Worte bedarf. Die Mimik der Schauspieler verrät was ihre Charaktere fühlen und selbst ohne Erläuterung ist klar bei wem es sich um welches Familienmitglied handelt. Auch die Schüler, die im Deutschunterricht die wenigen Textbausteine nicht verstanden hatten, konnten den Inhalt richtig wiedergeben. Untermalt werden die kurzen Szenen von einem englischsprachigen Lied, dessen prägnanteste Sätze wohl „I don’t know the words without my Dad.“, „I’m missing you.“ und „My home means nothing without you.“ sind. Auch die Melodie ist dramatisch und bleibt als Ohrwurm im Gedächtnis.
An das schlechte Gewissen, dass die Deutschlehrerin bekundete, wurde von den Machern bewusst appelliert. Weihnachtszeit steht für gemütliche Stunden und Zeit mit der Familie, doch im Festtagstrubel und Arbeitsstress gehen gerade diese Momente häufig unter. Durch einen Werbespot wie diesen setzten sich viele automatisch mit ihrem eigene Verhalten auseinander. Die Emotionen die damit ausgelöst werden spielen Edeka in die Karten. Vielen Zuschauern ist es egal, dass es sich um eine Werbung einer Supermarktkette handelt - das ist im Spot schließlich auch nicht wirklich erkennbar - und teilen den Clip mit Freunden und Bekannten. Die Aufmerksamkeit die Edeka dadurch erlangte und erlangt war das Ziel der Werbeagentur.
Im Anschluss an die Werbung redeten die Schüler und ich über Weihnachten und speziell Weihnachten in Dänemark. Die Dänen haben ein eigenes Wort für die geliebte weihnachtliche Atmosphäre: „julehygge“. Es steht für Kerzenschein, Traditionen und Zeit mit der Familie. Und wer weiß, vielleicht löst die Werbung ja bei den Zuschauern auf der ganzen Welt Sehnsucht nach einer solchen Atmosphäre aus und trägt somit dazu bei, dass weniger Menschen ihr Weihnachtsfest alleine verbringen müssen.