Valborg i Uppsala - (zusammen trinkt man weniger allein)
eine vollendete Verendung oder eine verendete Vollendung: einen ganzen Tag lang Feierei und eine ganze Nacht dergleichen
Walpurgis wird hier ganz ganz groß gefeiert, weil man nicht nur den Sommer zu huldigen weiß, sondern auch, weil der Tag vor dem ersten Mai traditionell den Studenten gehört, was bedeutet, dass man sich vorstellen muss, dass beispielsweise ganz Lüneburg am Rad dreht. Ich war also mit etwa 14 Leuten 50 Zugminuten weiter nördlich nach Uppsala gefahren – der ältesten Studentenstadt Schwedens.
Bevor man sich der Walpurgissause entsprechend benehmen kann, muss man vorher zwei Sachen unbedingt erledigt haben:
A) Einen Plan für die Alkoholtransplantation vom Systembolaget in den eigenen Besitz ausführen. Das Systembolaget (kurz Sysbo oder Booze-Shop) ist eine staatliche Verkaufsstelle für Alkohol. Dort gibt es Wein in Flaschen, Wein in Pappkisten in Schuhkartongröße, Bier aus Dosen, Bier aus Flaschen und Schnaps und sonstige Brechmittel. In Supermärkten oder gar Kiosken wird man Getränke mit über 3,5% Alkohol vergeblich suchen. Das Sysbo hat entsprechend seines brisanten Inhalts brisante Öffnungszeiten. Ab 19 Uhr gibt es nix mehr. Dann ist Schicht im Schacht.
B) Entsprechend der Versorgungsmenge aus dem Sysbo sollte man sich ein System zur Verwahrung seiner Wertgegenstände ausdenken, d.h. jeder Gegenstand von immenser Bedeutung hat seinen Stammplatz bei mir im Rucksack, den ich auch noch mit einer mittelschweren Alkonholvergiftung wissen sollte, denn ich kenne mich: irgendwann weiß ich nicht mehr, wo meine Sachen sind, wenn ich vorher nicht ganz genau definiere, wo sie sein sollen.
In Uppsala angekommen, fingen wir auch gleich mit der Gewichtsreduzierung unserer Rucksäcke an. Am örtlichen Kanal fanden wir perfekte Bedingungen, im Sonnenschein dem verlockenden Zischklack einer sich öffnenden Bierdose zu lauschen. Es lockte das alljährliche Bootsrennen. Die Studenten der Stadt spendeten Musestunde um Musestunde in den Bau von herrlich bunten Bötchen aus Holz und Styropor, mit denen sie den Kanal runter schwimmen und am kleinen Wasserfall versuchen, nicht umzukippen, was den wenigsten gelang. Nach diesem Spektakel setzte sich die ganze Stadt in Bewegung, um im Ekonomikumparken bei Sonnenschein zu grillen, zu picknicken und ja…die Früchte der Ernte im Sysbogarten zu naschen. Und mit ganzer Stadt sind auch alle gemeint. Die Straßen leer gefegt, die Kinos zu, nur die Polizei patrouilliert durch die Gassen und kontrolliert Alter junger Menschen mit Bier in den Händen, 20.000 Leute im Park ist wohl realistisch geschätzt.
Alle gaben sich also die Kante. Irgendwann fielen Menschen einfach um und bleiben liegen. Irgendwann suchte ich mein Handy und fand es auch wieder, als eine junge blonde Frau es aus ihrem Oberteil herausholte (ich weiß nicht mehr wie), und alle pinkelten in die Büsche – Jungs wie Mädels. Wir brieten unser Fleisch auf dem Grill und unser Gehirn in der Sonne und schliefen irgendwann ein, als der Kopf zu schwer und das Glas wieder voll wurde und …ja…ich lag am Boden und fühlte, dass ich nie wieder aufstehen wollte. Der Selbstzerstörungsmechanismus war eingeleitet wurden, Valborg in Uppsala ist wie Festival auf’m Acker in Deutschland: man benimmt sich fast schäbig, schert sich nicht um Aussehen und Würde und teilt seinen Alkohol mit jedem. Ich versuchte Tagebuch zu schreiben (ich tat es noch nie in so einem Zustand, wo meine Gehirnplatten auseinanderdriften).
Zitat aus meinem Tagebuch: Wir haben so viel Alkohol hier, dass man unseren Verstand darin konservieren kann – wie ein seltenes Tier im Laborglas. Ich rieche das Huhn auf’m Grill. Es schweigt und duftet!
Das Parkgelage ist nicht die einzige Tradition an diesem Tag. Es gibt da noch den Champagnergalopp, eine unter lauter Musik zelebrierter Sektdusche mit hunderten von Leuten. Davon hielt ich mich aber fern, ich schlummerte selig ruhig mit meinem Bier im Bauch mit Tobi unter seinem Schlafsack und Frieda kam angekrabbelt und hielt ihre viel zu kalten Flossen an unsere Brust. Ich glaube, sie fand das sexy.
Am Abend dann das große Erwachen. Die Sonne schien noch, da hatte ich schon einen Kater und fand noch ein Bier im Rucksack, das schmeckte in dem Moment wie schlechte Musik. Alt, uncool und unwürdig, weiter beachtet zu werden. Aber naja… man muss seinen Schicksal mit den richtigen Mitteln begegnen, dann wird das auch was mit der Zukunft und unsere Zukunft für diesen Abend fand in einem Studentenwohnheim in Uppsala statt, auf dessen Dach eine Party stattfinden sollte, aber wir waren zu früh da und anstatt wieder zu gehen und später zu kommen, setzten wir uns auf fremde Sofas in einer fremden Etage und blieben als Fremde in der Studentenwohnheimsküche, so als wären wir eingeladen und da wir laut redeten und tranken, gesellten sich immer mehr Leute hinzu und es artete letzten Endes in einer Etagenparty aus, die so niemand richtig unter Kontrolle hatte. Ständig gingen Leute rein und raus und wir gingen auf fremde Toiletten ohne zu fragen. Was sollten wir auch machen – das Klo ist immer noch der einzige Ort, der sich jeder Scham widersetzen kann, ein immens wichtiger Ort also, und jeder muss da mal hin, einmal am Tag wenigstens. Und wir saßen und tranken einfach nur rum und laberten mit fremden Leuten in fremden Sprachen und schenkten einer verbrannten Puppe sehr viel Beachtung, die an einer Zimmertür hing – man konnte damit die Mädels so gut erschrecken.
Und dann die Dachparty. Ich zitiere mal aus der Programmankündigung:
People, Dear lovely people,
Valborg is finally coming!
To celebrate it, we offer a night of madness, happiness, forfeiture, and love (or sex…)!
On this glorious day, we suppose that we will not have issues with the police for the delightful sounds of ours speakers and voices, so we will be able to party all night long waiting for sunrise.
So… Deephouse die ganze Zeit und irgendwann mainstreamed electro und dann gings weiter mit Minimal und die Stimmung war suuuuuuper. Jeder war mehr oder weniger betrunken. Leute knutschten wild, tanzten wilder, man gab sich der Stimmung hin, als wäre es der letzte Tanz der Welt und es wurde voller und voller. Die Polizei ließ irgendwann keine Leute mehr aufs Dach und sperrte kurzerhand die Haustür unten ab. Es gab aber noch eine Feuertreppe, die einmal im Jahr benutzt wird. Die Polizei hielt sich sonst allerdings von dem Spektakel raus, die kennen das ja und es war insgesamt auch sehr unaggressiv, auch wenn keiner mehr richtig klar denken konnte.
Wir suchten uns irgendwann ein Schlafgemach und da wir diesbezüglich nichts geplant hatten, nahmen wir kurzerhand den Korridor von Stockwerk 7 und bauten unser Nachtlager in fremden Räumen auf und schliefen mit TechnoBoomBoom aus Richtung Himmel irgendwann, als es schon fast hell war, ein. Und aus der Dämmerung des Morgens hörte ich Türklinken, laute Schritte und eine mir fremde Stimme, die nur „holy shit“ sagte, als sie uns wild campierende Meute entdeckte. Sonst ließ man uns allerdings in Ruhe schlafen und traumlos rauschte der Morgen heran.
Einmal im Jahr wird also wild gefeiert und am nächsten Tag das Ergebnis bilanziert. Für die Dachparty hieß das…ein Monitor, der von oben auf die Wiese gefallen ist. Ein Kleiderständer, ein Tisch, ein Fahrrad und ein Grill lag auch zerscheppert und zerbeult vorm Haus. Und der Müll überall. Es war unglaublich…auf dem Dach fanden wir zwischen Bergen aus zersplitterten Flaschen und zerbeulten Dosen ein paar unserer Klamotten wieder und auch sonst – man kann sich das nicht vorstellen, wenn eine ganze Stadt Festival feiert. Wir fanden noch zwei gut erhaltene Einweg-Grills und im Supermarkt kauften wir Fleisch, Baguette und Aufstrich und machten zwischen einer Armee von Putzleuten, die den Park vom Müll befreiten (und es lag so viel Müll rum, die Stadt sah aus wie ein Kunstwerk), die nächste Barbeque-Session zum Frühstück – diesmal ohne Bier, dafür mit O-Saft.
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