Tschechien wählt, Prag trauert.
Wie die Traumblase der tschechischen Präsidentschaftswahl zerplatzte.
- eine gefärbte Darlegung
Nach dem wochenlangen auf-Wahlplakate-Starren an der Bushaltestelle hat all der Trubel ein Ende gefunden. Am 25./26.Januar wurde der tschechische Präsident, zum ersten Mal in der tschechischen Geschichte direkt, von seinem Volk gewählt!
Bevor es zu dieser Stichwahl kam, waren im ersten Wahldurchgang 9 Kandidaten aufgestellt. Ein bunt gewürfelter Haufen aus Politikern, ein Arzt, ein Adliger und: Vladimír Franz...
Dieser Name ist Programm! Warum? Franz komponiert, malt und ist von Kopf bis Fuß ein Künstler. Oder soll ich besser „ein Kunstwerk“ sagen? Sein 90%-tätowierter Körper ist definitiv das repräsentativste an ihm.
Aus dieser ersten Wahlrunde ging Miloš Zeman mit 24,2% als Sieger hervor. Zweiter wurde Karel Schwarzenberg. Da lediglich ein Prozent die beiden voneinander trennte, wurde eine Stichwahl angesetzt.
Im Gegensatz zum ersten Wahldurchgang, in dem ein respektvoller Wahlkampf geführt wurde mit gegenseitiger Toleranz der Kandidaten(!), entwickelte sich die zweite Runde zu einer regelrechten Schlammschlacht. Die Hauptakteure, Zeman und Schwarzenberg, hätten aber auch echt nicht unterschiedlicher sein können...
Karel Schwarzenberg, Fürst, tschechischer Außenminister, Mitte-Rechts
vs.
Miloš Zeman, auch „der Bulle“ genannt (wegen seiner Körpergröße und Fülle), Ex-Ministerpräsident, Mitte-Links
Zentrum des Kampfes wurde überraschend das Thema der Vertreibung der Sudetendeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg. Nun ja: Des einen Freud, des anderen Leid. Rückblickend hat sich Schwarzenberg mit dem Eröffnen dieses heiklen Themas selbst ins Bein geschossen. Seine öffentliche Aussage (,dass die Vertreibung der Studendeutschen ein großes Menschenrechtsverbrechen gewesen sei und sich die Verantwortlichen für die Beneš-Dekrete heute wahrscheinlich vor dem Kriegsverbrechertribunal zu verantworten hätten) wurde von Zeman freudig aufgenommen und durch den Fleischwolf gedreht.
Hierbei muss darauf hingedeutet werden, dass die „Sudeten-Frage“ auch heute noch für Konflikte zwischen Deutschland und Tschechien sorgt, insbesondere durch die gestellten Rückgabeansprüche der Sudetendeutschen an ihren damaligen Besitz.
Durch die Aussage Schwarzenbergs fiel es Zeman nun leicht, dessen tschechische Identität in Frage zu stellen:
Ist er anstatt eines „richtigen Tschechen“ etwa ein Sprecher der Sudetendeutschen?! Ist sein eigentliches Ziel etwa, als Präsident Schwarzenberg die Rückgabeansprüche der Sudetendeutschen zu erfüllen?! Wird er also zulassen, dass seine Mitbürger Besitztümer verlieren?! Wird er sein Volk verraten?! Außerdem hat er einen großen Teil seines Lebens in Österreich (und nicht in Tschechien!) verbracht! Und die vielleicht zukünftige First Lady, eine Österreicherin, kann ja nicht einmal ein Wort Tschechisch! Ist Schwarzenberg ein Tscheche???
Zeman ging also seiner Lieblingsbeschäftigung nach. Er griff an. Während seines bekannten „Stammtisch-Gelabers“ (ich zitiere nur meine Freunde!) bezeichnete er Schwarzenberg abfällig als Sudetak. (Jassir Arafat hingegen wurde bereits „der zweite Adolf Hitler“ genannt.)
Schwarzenberg hingegen fasste diese ganze Auseinandersetzung in einem, für mich sehr passenden, Wort zusammen: „Schmutzkampagne!“
Ein weiterer Aspekt der Schlammschlacht bildete der Brennpunkt schlechthin der tschechischen Republik: die Korruption und Vetternwirtschaft. Hier kann Schwarzenberg eine blanke Weste vorzeigen. Bei Zeman hingegen, der eine graue Vergangenheit hat, kann bis heute nicht ausgeschlossen werden, dass er in einigen Korruptionsaffären mitagierte.
Aufgrund meines Umfelds und meinen Freunden, muss ich mich wohl für meine einseitige und polarisierende Darstellung der letzten Wahlphase entschuldigen. Ja, meine Meinung ist wohl durch die Gefühle meiner Mitmenschen und durch Gespräche mit anderen beeinflusst. So war ich mir während des Wahlkampfes zu mehr als 100% sicher, dass Schwarzenberg der neue, tschechische Präsident wird. Anderes wäre mir gar nicht in den Sinn gekommen. Egal ob meine gleichaltrigen Freunde oder die Omas im Altersheim. Egal ob aus Prag oder aus der ländlichen Region: jede Stimme gehörte ihm.
Und dann am 26.Januar die Ernüchterung: mit fast 55% gewinnt Zeman. Und plötzlich offenbarte sich mir mein Denkfehler. Ich lebe hier in Schlesien, in der Region, in der die meisten Christen Tschechiens leben. Zudem arbeite ich in einer christlichen, sozialen Einrichtung, in der meine Kollegen Schwarzenberg, ein bekennender Christ, mit ihrer Stimme unterstützten. Auch die Städter und besonders die Jugend wählten Schwarzenberg. Zum einen angesprochen durch die modernen Pop-Art-Wahlplakte, zum anderen aufgrund der Sehnsucht nach einem „zweiten Havel“. In Schwarzenberg, der in mehreren Gesprächen ansprach, dass er Havel nicht ersetzen, aber in seine Fußstapfen drehten und seine Gedanken weiterführen möchte, erkannten sie ihr neues Vorbild.
Meine Quellen und Kontakte stellten sich somit im Nachhinein als sehr schmalgefächert heraus. Die Leute, die nämlich letztendlich für Zeman stimmten, waren Arbeiter(, bei denen Zeman durch persönliche Konzernbesuche Eindruck schinden konnte), Arbeitslose und Sozialschwache. Unter Schwarzenberg wäre nämlich der aktuelle, unbeliebt Kurs der Mitte-Rechts-Regierung mit den extremen Sparmaßnahmen wohl weitergeführt worden.
Und was bleibt nun von der Schlammschlacht und all den Turbulenzen?
Kein Ergebnis, das die Meinung des Volkes vertritt, da durch die niedrige Wahlbeteiligung (50%) nur jeder vierte Tscheche hinter dem neuen Präsidenten steht. Kommentar eines Freundes: „Weshalb soll ich wählen gehen, wenn ich mir nur das kleinere Übel aussuchen kann? Durch die ganzen Streitereien bin ich müde und habe einfach keine Lust mehr!“
Und bleibt noch etwas?
Große Trauer in Prag.
Wenigstens „berauschende“ Videos auf YouTube: https://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=nCsV8F1uvMA
Und eine Amtseinführung am 8.März.
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