Städtetrips durch die Niederlande
Kennt man eine, kennt man alle?
Schäfchen zählen. So muss man sich eine Zugfahrt durch die Niederlande vorstellen. Und das nicht, weil man einschlafen möchte. Ich sitze im oberen Abteil des Zuges, auf einem Sitz mit blauem Stoffbezug und fragwürdigem Muster. Draußen zieht die niederländische Landschaft an mir vorbei. Weite, alles flach, Wiesen bis zum Horizont. Der ist im Winter recht suppig, grau und bewölkt, im Frühling und Sommer aber häufiger blau mit weißen Wattewölkchen. Schäfchen, Kühe und Pferde sammeln sich in Grüppchen und tauchen hin und wieder zwischen Büschen und Sträuchern auf. Pittoreske Häuser und Windräder überall versprenkelt. Kanäle, kleine Flüsse wie Adern durch das Land.
Zugfahren ist in einem so kleinen Land ist nicht nur praktisch, sondern auch recht günstig. Wohnt man in Amsterdam, ist die Centraal Station von überall gut zu erreichen und von dort aus kann man an beinahe jeden Bahnhof in den Niederlanden gelangen. Diese sind immer ähnlich aufgebaut, die Orientierung ist also recht einfach. Und wenn die OV-Chipkarte ausreichend gedeckt ist, muss auch kein Ticket gekauft werden. Makkelijk!
Was macht man während eines freiwilligen Jahres in Amsterdam, in dem alle kulturellen Freizeitangebote wegen einer Pandemie geschlossen sind? Man spaziert so lange durch die Stadt, bis man beinahe alles kennt und bereit ist, durch die Straßen anderer Städte zu spazieren und Kaffee to go zu trinken.
Von Amsterdam aus gibt es zahlreiche Städte, die in unter oder etwas mehr als einer Stunde Fahrzeit zu erreichen sind. Leiden, Haarlem, Utrecht, Rotterdam, Amersfoort, Alkmaar, Gouda und viele mehr – die Wochenenden sind trotz Covid-19 zu füllen.
Utrecht
Der Bahnhof in Utrecht ist der größte der Niederlande und ein wichtiger Knotenpunkt für sämtliche Verbindungen. Tritt man in die Bahnhofshalle staunt man erst mal. Bin ich aus Versehen am Flughafen gelandet? Zwischen den Geschäften und Cafés in der riesigen, modernen Halle fehlen nur noch die Check-in Schalter und die Schilder zu den Gates. Verlässt man den Bahnhof, geht es direkt in die Innenstadt. Hübsche, niederländische Häuser und in der Mitte: ein Markt. Am Wochenende scheint in den meisten niederländischen Städten Markt zu sein. Frische Blumen, Antipasti und Keramik – alles, was das Herz begehrt. In der Nähe der Innenstadt befinden sich auch einige Universitäts-Gebäude. Vor allem die geisteswissenschaftliche Fakultät befindet sich in einem wunderschönen historischen Gebäude. Ständig im Blick ist dabei der Dom-Turm. Wo im 7. Jahrhundert die erste hölzerne Kirche errichtet wurde, steht heute ein Dom mit gotischen Elementen. Beziehungsweise, ein Turm getrennt vom Kirchenschiff. Dazwischen befindet sich der „domplein“ – der Dom-Platz. „Warum wurde der Turm separat von der Kirche gebaut?“, fragte ich mich verdutzt. Nun, das wurde er nicht. Im 17. Jahrhundert brachte ein zerstörerischer Sturm das Mittelschiff zum Einsturz. Seitdem wurde es, obwohl stark diskutiert, nicht mehr wieder aufgebaut. Übrigens sollten Student*innen nicht unter dem Kirchturm durchgehen, wenn er gerade läutet. Sonst fällt man angeblich durch alle Prüfungen. Dieser Aberglaube basiert auf der Sage, dass ein Mönch sich vom Kirchturm stürzen wollte, um sich umzubringen und in diesem Moment ein Student durch das Tor des Kirchturms ging. Der Mönch fiel auf den Studenten, woraufhin der Mönch überlebte, der Student aber starb. Auch wenn die Schlussfolgerung weit hergeholt ist, wird die Sage noch heuten den Student*innen erzählt. Ob wirklich etwas dran ist, sei dahingestellt.
Haarlem
Wenn Amsterdam doch mal zu groß und zu viel ist, gehen wir gerne nach Haarlem. Die Stadt ist kleiner, aber mindestens genauso schön. Durch die Straßen zu flanieren und in den Cafés zu pausieren ist in dieser kleinstädtischeren Umgebung sehr entspannend. Alles ist zentraler und kleiner als in Amsterdam, die historischen Gebäude umrahmen das Flair der Stadt. Übrigens ist auch hier samstags ein sehr schöner, großer Markt auf dem Platz zwischen Rathaus und Kirche. Und alles ist in weniger als zehn Minuten zu Fuß vom Bahnhof aus erreichbar.
Rotterdam
Rotterdam hebt sich von den Städten, die ich in den Niederlanden bereits gesehen habe, deutlich ab. Im Gegensatz zu den meisten Innenstädten gibt es keine wirkliche Altstadt oder viele historische Gebäude. Der Grund dafür liegt etwa achtzig Jahre zurück: Im Mai 1940 fiel Nazi-Deutschland in die Niederlande ein und bombardierte Rotterdam. Damit nicht noch mehr Städte angegriffen würden, ergaben sich die Niederlande und waren fortan bis zum 5. Mai 1945 durch Deutschland besetzt. Rotterdam zeichnet sich heutzutage durch eine ganz andere Dynamik aus: Moderne Hochhäuser und die Stellung als Handelsstadt mit einem der größten Seehäfen der Welt gibt der Stadt eine „junge“ und fast schon internationalere Atmosphäre als die Amsterdams. Das Rotterdam den Eurovision Song Contest 2020/21 austragen durfte, passt zum allgemeinen Bild der Stadt. Auch die unmittelbare Nähe zu Den Haag, der Stadt in der der Regierungssitz der Niederlande sowie der Internationale Gerichtshof der Vereinten Nationen liegen, kann man in Rotterdam spüren. Auch wenn Amsterdam die Hauptstadt und das Herz der Niederlande ist, befindet sich der Regierungssitz nicht dort, wovon viele Menschen fälschlicherweise ausgehen. In Rotterdam empfehle ich einen Besuch in der Markthalle – sie beeindruckt nicht nur durch die Architektur und die künstlerische Gestaltung, sondern auch durch das Angebot.
Amersfoort
Klein, aber fein. Das beschreibt Amersfoort. Berühmt ist der „Koppelpoort“, das mittelalterliche Stadttor Amersfoorts. Dahinter winden und verschlingen sich die Straßen, gesäumt von Backsteinhäusern. In Amersfoort liegt übrigens der geografische Mittelpunkt der Niederlande.
Etwas außerhalb von Amersfoort befindet sich „Camp Amersfoort“ – ein ehemaliges Straflager der Nazis im Zweiten Weltkrieg. Heute befindet sich dort eine Gedenkstätte – ein Museum mit Café. Verbringt man einen Tag in Amersfoort, können am Bahnhof einfach und günstig Fahrräder gemietet werden. In zwanzig Minuten ist man schon an der Gedenkstätte. Fahrräder können sehr einfach an jedem Bahnhof in den Niederlanden gemietet werden – vor allem, wenn man eine OV-Karte besitzt.
Gouda
Käse. Der erste Gedanke, wenn man „Gouda“ hört. Das Design des Bahnhofs soll tatsächlich einen löchrigen Käse darstellen. Allerdings hat Gouda neben sehr leckerem Käse, den man großartig auf dem Markt kaufen kann, noch mehr zu bieten. Zugeben muss man allerdings auch, dass auf anderen Märkten auch sehr leckerer niederländischer Käse gekauft werden kann. Den „Käsemarkt“, neben dem gewöhnlichen Wochenmarkt als touristische Attraktion den Käseverkauf vor einigen hundert Jahren darstellen soll, habe ich leider nicht miterlebt. Auf und um den Marktplatz stehen viele wunderschöne, historische Gebäude. Darunter das „Stadshuis“, die Sint Janskerk und das Waaghaus. Bewegt man sich etwas an den Rand von Gouda findet man sehr schnell wunderschöne Landschaften. Von Schilf umrandete Wasserflächen, kleine Wege entlang hübscher Gärten und kleine Backsteinhäuser. Läuft man blindlings in eine Richtung, kann man also zufällig sehr hübsche Flecken entdecken.
Alkmaar und Leiden
Wie bei fast jedem Tagestrip wieder das gleiche Spiel. Wir verlassen den Bahnhof, suchen routiniert die Stadtmitte und stehen plötzlich auf einem riesigen Markt, umgeben von Einheimischen. In Alkmaar erstreckt er sich um die Kirche, in Leiden um eine Windmühle und dann entlang der Straße zur Altstadt. Auch bei diesen Städten treffen die Adjektive zu, die ich bei fast jeder Stadt genannt habe: historisch, malerisch und klein (zumindest kleiner als Amsterdam). Auch hier finden sich Boutiquen und Cafés, wenn einmal kein Markt ist. Und viele beeindruckende historische Gebäude.
Manch einer würde sagen, kennt man eine Kleinstadt in den Niederlanden, kennt man alle. Das ist nicht allzu weit hergeholt, denn der historische Aufbau der Städte ist meist ähnlich. Ein Marktplatz, eine schöne Kirche und drum herum alte, schiefe Backsteinhäuschen. Erfreut man sich aber daran, durch die engen Gassen zu gehen und hübsche Dinge zu entdecken, kann ich nur dazu ermutigen, sich ohne Plan auf Abenteuerreise zu begeben. Pittoreske Orte findet man mit Sicherheit und wenn man geschichtsinteressiert ist, fühlt man sich manchmal wie auf einer kleinen Zeitreise.
Am besten besucht man die Städte am Samstag, wenn die Märkte stattfinden. Denn allein schon für die frischen Poffertjes lohnt es sich in die Niederlande zu kommen. Für mich gibt es die besten Poffertjes aber auch nach allen Städtetrips in Amsterdam - beim „Poffertjes-Opa“, wie wir ihn nennen. Er ist so gut wie immer auf dem Dappermarkt anzutreffen und kann mit seinen lieben Worten (und den Poffertjes) jeden Tag zu einem besseren machen. Hat man keine Lust auf einen Städtetrip, dann sind auch der Nordseestrand oder die Tulpenfelder im Frühjahr nicht weit. Egal, was das Herz gerade begehrt, die Niederlande können es mit großer Wahrscheinlichkeit bieten.
Quelle:
- https://de.wikipedia.org/wiki/Utrechter_Dom
- https://de.wikipedia.org/wiki/Bahnhof_Utrecht_Centraal
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