Soweit die Füße tragen. Ein Lauf durch Stirling. Teil II
Teil II: Der lange Marsch
Teil II: Der lange Marsch
Kirchengänger
Anders als in London musste man sich in diesem Hostel selbst ernähren, sodass ich morgens erstmal zum örtlichen Tesco runter marschiert bin. Nachdem am Frühstückstisch ein grober Plan für den Tag geschmiedet wurde (ja, so bin ich ganz Deutscher, gehe nicht ohne eine Karte und einen Plan aus dem Haus), ging es kurz nach zehn endlich los. Füße tun jetzt schon weh und auch das Wetter ist nicht so besonders, aber was hat man auch erwartet.
Das Stadtgefängnis hab ich ignoriert und bin zwei Häuser weiter zur Kirche des heiligen Rude gegangen, wo sowohl Maria Stuart als auch ihr Sohn James VI./I. gekrönt wurden. Doch, ich finde Geschichte sehr interessant. Sonst wäre ein Ausflug nach Stirling auch ziemlich sinnlos. Die Kirche war auch wirklich nett, man hat gleich ein Flugblatt mit allem Wichtigen in die Hand gedrückt gekriegt und inzwischen hab ich ja genug Erfahrung mit Kirchen und Ruinen, um das Wesentliche aus den Steinen und Fenstern zu lesen.
Stirling Castle: Mehr fürs Geld
Danach ging es weiter den Burgfelsen hinauf, zuerst zum Ladies Rock hinter dem Friedhof, von dem man einen sehr guten Blick auf die umgebende Landschaft hatte. Dann stand ich vor der Burg selbst, ganz am Ende des Felsens, bevor es auf der anderen Seite steil in die Tiefe geht. Der Eintritt war mit £10 sauteuer, aber dafür waren die Tickets gleich für eine zweites Hauptattraktion des Ortes gültig und schlossen einen Audio Guide mit ein, was die Sache dann wieder äußerst günstig machte. Die Kassiererin war so verwirrt, dass sie mir gleich drei Tickets raus gegeben hat. Aber natürlich war ich wieder zu ehrlich, um sie gewinnbringend zu verhökern. Von Wegen Gewissen unter Kontrolle!
Viva!
Ich mag meine Art zu verreisen. Vor der Burg stehen Dutzende große Reisebusse und ich finde mich im Kontrast zu den lauten Gruppen mit den Kameras soviel cooler. - Bis auf die Spanier. Spanier sind einfach toll! Ich mag Spanier. Auch Italiener, aber vor allem Spanier! Wir hatten gleich mehrere Ladungen von ihnen da; Schulklassen, die sich lachend und schreiend und mit dieser unvorstellbaren, angeborenen Eleganz und Lebensfreude durch das Hoftor schieben.
Ja, ganz das Gegenteil von mir ernsthafter Person, die mit den Kopfhörern mit Sicherheit absolut dämlich aussieht. Es ist mir nicht ganz klar, wozu Leute, die so nah am Leben selbst sind, Bildung und Geschichte brauchen und weshalb sie so massiert nach GB reisen. Aber natürlich ist es nett, sie neben sich durch die Gegend tobend zu haben. Jeder lachende oder schreiende Deutsche würde mir mit Sicherheit auf die Nerven gehen; ich weiß nicht, was es ist, das die Spanier so anders macht. Aber wie der Spanier weiß: Gründe sind irrelevant.
Leben & Geschichte: Eine Symbiose
Auch andere auffällige Menschen sind da. Eine Gruppe in Zylindern und bunten Fracks kommt ins Schloss. Sie tragen stolz eine große Fahne vor sich her, was ist da drauf? Oh nein! Nicht die schon wieder. War ja klar. Die Leute in albernen Kostümen müssen ausgerechnet meine Landsleute sein. „Tanz- und Traditionsverein“, oh je. Zum Glück waren sie nicht die einzigen aus dieser Zunft.
Ich hatte die Zeit so glücklich abgepasst, dass ich am Ende meines stundenlangen Rundgangs durch auch den letzten Winkel des Schlosses Zeuge einer kleinen Folklore-Show wurde. Dazu gehörten neben der deutschen eine belgische, eine serbische und eine schottische Delegation; letztere als Gastgeber. Die haben ein sehr nettes kleines Spektakel im ebenfalls anschaulichen Schlossgarten abgehalten.
Ja, soweit bin ich schon, dass ich mir freiwillig Volksmusik anhöre. Ganz besonders mitreißend waren die Serben, denen steckt das Feuer ja bekanntlich auch im Blut und direkt von dort kamen auch ihre Musik und ihre Tänze und die wilden Schreie der Mädchen.
Die schottische Truppe war natürlich in diesem (vielleicht zusammen mit Edinburgh) wichtigsten Schloss ihres Landes über alle Zweifel erhaben, vor allem, als die Dudelsackspieler „Scotland the Brave“ intonierten. Doch auch, wenn ich diese Traditionsvereine des groben Missverständnisses ihres Fachs bezichtige, das war sehr unterhaltsam und originell.
Die Burg ist ebenfalls eindrucksvoll und physisch ermüdend, wenn man sich wirklich alles ansieht. Nicht besonders groß, aber von äußerst dramatischer Historie.
Der lange Weg zum Frieden
Genau davon lebt Stirling. Wusstet ihr eigentlich, dass es für dreihundert Jahre die Landeshauptstadt war? Und Geschichte würde ich mir weiterhin angucken, allen Gnadengesuchen meiner Beine zum Trotz.
Als nächstes ging es zum Beheading Stone. Es ist schon etwas komisch, in einen Ort zu reisen, wo Touristen zu allererst ins Gefängnis und zum Enthauptungsstein eingeladen werden. Leider verließ mich an diesem Punkt meine ungenaue Touristenkarte mal wieder und ich suchte lange Zeit vergebens irgendwo im Wald nach diesem Ding. Das hat mich zwar auch auf einige nette, einsame Hügel in der Natur geführt, aber dann bloß vorbei an einigen Charvern auf eine Hauptstrasse und ich stand scheinbar auf einmal auf der anderen Seite der Stadt. Nur Gott weiß, wie ich da hingekommen bin. Zumindest war direkt vor mir ein Supermarkt, wo ich mich mit in jeder Hinsicht billigen, wenn auch notwendigem Lunch versorgte. Und Oropax.
Das Wallace Monument: Höhen und Tiefen
Danach ging es los zum nächsten Punkt auf meinem Rundgang, dem mächtigen William Wallace Monument. Falls tatsächlich jemand „Braveheart“ noch nicht gesehen hat: William Wallace ist der schottische Nationalheld, der den Engländern einmal so richtig gezeigt hat was eine Harke ist. Was übrigens auch in Stirling war und dem Ort noch etwas mehr Bedeutung gibt. Auf meinem Weg zum Monument kam ich sogar direkt über die Brücke, wo diese Schlacht stattfand, beziehungsweise deren steinernen Nachfolger. Das Denkmal selbst ist ein weithin sichtbarer hoher, neugotischer Turm. Für meine Begriffe ziemlich hässlich, aber wir sind eben auch in Großbritannien. Überhaupt steht das einzig wahre Monument bekanntlich in Newcastle.
Der Weg dorthin war länger als erwartet, und so kam ich schon recht erschöpft an. Trotzdem bin ich dann wieder einmal einen Berg hoch gesprintet, dem Training auf der Farm sei Dank. Vier Etagen hatte das Monument: die ersten drei sind Räume an der Wendeltreppe, wo einem über Wallace’s Leben, seine große Schlacht und berühmte Schotten erzählt wird.
Das war für meinen Geschmack furchtbar dick aufgetragen, wie es mir in Schottland ja immer aufgefallen war. Besonders die Abteilung über den Kampf war beinahe Propaganda, mit einer Videorekonstruktion von Wallace als letztlich Gefangener in London. Der Hüne trotzig und immer mit dem letzten Wort („...aber nicht meinen Geist!“), während Edward I. eher aussah wie für die Aufnahmen aus einem Heim geborgt. Und dann sein furchtbares Credo, vorgelesen wie ein Gebet, immer und immer wieder mit jedem Durchlauf (wie es Mel Gibson so lächerlich wie unglaubwürdig zusammenfasste: „Frrriedom!“). Dazu der unverständlichste Audio Guide der Welt.
Nun, ich vermute, jedes Land braucht seinen Gründungsmythos. Irgendwann kam ich auch keuchend auf der obersten Plattform an; mal wieder realisierend das ich wirklich aufhörend sollte auf Türme zu klettern, obwohl ich von meiner Höhenangst weiß. Man konnte aufgrund des Wetters nicht mal viel sehen und die ersten Regentropfen trafen meine Stirn.
Beinfreizeit
Die Einrichtung machte auch wegen einer Hochzeit zu und ich ging zurück zur nächsten Hauptstrasse, von wo ich zu einem Nachbarort laufen wollte, in dem eine Kathedrale stehen sollte. Der Weg wurde mir von wie immer freundlichen Briten abgekürzt, die mich in ihrem Auto dort hinfuhren. Vom Kloster waren, abgesehen vom Glockenturm, nur noch Grundmauern übrig, mit dem Fluss und einigen einsamen Kühen dahinter. Aber es war ohnehin schon sechs und langsam Zeit, Feierabend zu machen.
Zum Abschluss von zehn Stunden ernsthaften Laufens sah ich mir nur noch ein paar sekundäre alte Bauten an und schlenderte entlang der Stadtmauer zurück zur Jugendherberge. Ich überlegte noch, irgendwo Essen zu gehen, hab es dann aber doch bei meinen paar Brötchen und Käse belassen, während diese französische Gruppe neben mir ein Festmahl auftafelte, das mich nur neidisch zu ihrem Tisch rüber schielen ließ.
Und nach dem obligatorischen Postkartenschreiben und etwas Lektüre ging es für mich in eine wundervolle, lange, ungestörte Nacht, mit freundlicher Unterstützung von Oropax. Ihr habt keine Vorstellung wie sich meine Beine anfühlten.