So oder so - Bosse
Alle Kinder lernen zwar nicht Lesen, fangen aber an mich zu mögen. Und ich? Fange an, das Leben hier zu mögen!
„Aber was Gutes wird passieren, und wenn's gut ist, bleibt's bei dir. ♫ ♪ “
Da bin ich wieder, eine weitere Woche älter. Kennt ihr eigentlich diesen dämlichen Spruch „Hey, habe heute meinen Rekord für am Stück gelebte Tage gebrochen. Morgen versuch ich's direkt nochmal“? Hier fühlt sich echt jeder Tag prägend an.
Nunja, aber gerade sortiert sich ja auch alles. Die Kinder gewöhnen sich ganz langsam an mich, Gott, ist das ein Segen... bis auf ein Mädchen haben sie alle zumindest eine Art Toleranz für mich entwickelt, wenn sie mich nicht sogar mögen. Das macht alles so viel leichter! Ich lerne auch langsam, wie ich an sie rankomme und wie sie charakterlich sind, und schnappe ein paar ungarische Phrasen auf. Und so passt es mittlerweile mit fast jedem.
Ich darf Kinder füttern!
Tassi hat mir erlaubt, ihn zu füttern, und das macht mich regelrecht stolz. Er redet öfter mit mir und ich verstehe kein Wort, nun ja, das macht ihm nichts. Im Schweiße meines Angesichts habe ich das Vertrauen von zwei von drei Drillingen, Gabi und Emma, gewonnen – Ivett, die dritte im Bunde, ist die einzige die mich noch nicht mag. Anna hat den Spaß ihres Lebens daran, mir zu winken und englische Worte nachzusprechen. Dora dachte eine Zeit lang, dass ich „Okay“ heiße, weil ich das zu oft zu ihr gesagt habe – als ich kurz reinging, rief sie verzweifelt „Okay! Okaaaaay!“. Sie gibt ihr Bestes um Freunde zu finden und läuft die ganze Zeit Floris nach, hält seine Hand, streicht über sein Haar, umarmt ihn und sagt immer wieder seinen Namen, es ist zum Dahinschmelzen süß. Floris hat mir von Tag eins vertraut, er ist so offen und liebenswert, zieht mich aber öfter am Finger zur Tür und sagt immer wieder „Mama, Mama“. Das ist herzzerbrechend. Und dann ist da noch Petru, der Einjährige, der noch nichtmal ein Wort sprechen kann und nur weint. Er hat mich irgendwie als Pflegemutter akzeptiert. Ich muss ihn permanent tragen – nur dann ist er still und lutscht an seinem Daumen. Sobald ich ihn runterlasse und ein paar Schritte gehe, fängt er aber an laut zu weinen und kommt hinterher, um die Arme zu mir zu strecken. Keine Ahnung, wie das passiert ist...
Ich darf Windeln wechseln, füttere Kinder und bringe sie zum Einschlafen, aber das ist nichts gegen Csilla, die Kindergärtnerin. Die Frau ist eine Magierin, ich bewundere sie so sehr! Man kann ihr ein schreiendes, heulendes, um sich schlagendes Kind geben und innerhalb von zwei Minuten ist es unter ihrer Fittiche eingeschlafen. Unfassbar!
Ich will nicht lügen, die Arbeit ist knochenhart. Man muss seine Augen immer überall haben, trägt eigentlich ständig irgendein Kind während man auf zwei andere im Bobbycar rumschiebt. Und ich habe natürlich doppelte Arbeit, weil ich nicht mit den Kindern sprechen kann um eine Bindung aufzubauen, das muss ich ganz allein durch Handeln erreichen. Aber so erschöpft ich am Ende des Tages auch bin, die Kleinen sind mir bereits ans Herz gewachsen (selbst Ivett. ;) Sie meint es ja nicht böse.) In einer Besprechung mit Emoke haben wir auch erste Pläne für unser Projekt gemacht, und ich werde wohl ein Krippenspiel auf die Beine stellen. Ahhh, ich freue mich so drauf!
Süßigkeiten, Bibliotheken, Partys...
Aber ich verbringe ja trotzdem nicht mein ganzes Leben im Kindergarten. Mit dem Fahrrad komme ich jetzt viel besser rum! Ich war zum Wocheneinkauf in der riesigen Iulius Mall, die auch das einzige Starbucks der Stadt beherbergt – ich konnte dem Heimatgefühl von Pumpkin Spice Latte nicht widerstehen. Aber keine Sorge, nochmal hole ich mir hier nicht Starbucks, dazu gibt es zu wenig Geld und zu viele schöne lokale Läden. Zum Beispiel viele Konditoreien, wo ich mir manchmal einzelne Pralinen kaufe – die kosten umgerechnet so etwa 30-40 Cent und sind so lecker.
Außerdem bin ich zum Lesen, Arbeiten, Schreiben oder einfach nur so sehr gern im Park, der ist traumhaft schön. Am Dienstag war ich in der deutschen Bibliothek der Uni, und die Bibliothekarin war so lieb. Es ist keine sehr große Bibliothek und hat hauptsächlich Sachliteratur, aber auch ein kleines Regal mit Romanen und einem großen Sofa daneben. Ich weiß jedenfalls, wo ich ab jetzt meine Dienstag-Feierabende verbringe.
Freitagabend wollten wir auf ein Unplugged-Konzert in einer Bar. Die war aber voll, na prima! Es ging also weiter in eine Bar namens „Moonshine“. Sehr cool, sehr hipsterartig mit den Getränkekarten aus Jeansstoff. :D Aber es gab sehr leckere Cocktails – nicht so lecker wie der von letzte Woche, aber wieder für vielleicht drei Euro. Dann ging es weiter zu einem Konzert, bergauf, bergauf, bergauf... das Zentrum von Cluj ist ein Tal. EVS'ler don't skip leg day! Das „Konzert“ war dann aber nur ein schlechter DJ in einer Bar – aber dafür waren wir mitten im Studentenviertel gelandet! Eine ganze Straße nur mit Bars, jungen Leuten und lauter Musik. Es erinnerte mich ein wenig an den Goldstrand, nur viel, VIEL erhabener. Wir tranken noch ein Bier und nahmen dann ein Taxi nach Hause – der Abend war wunderschön!
Samstagabend hieß es dann 90s Party, auf die ich mich die ganze Woche gefreut habe – und ja, Eigenlob ist nicht toll, aber ich sah wirklich gut aus! Johanna und ich wurden schon auf dem Weg ständig angehupt und angesprochen und im Supermarkt sogar spontan auf eine Hausparty eingeladen (haben wir dann leider doch nicht gemacht). Zwei nette rumänische Mädchen, die in Deutschland studiert haben haben wir auch kennengelernt, haben nur leider vergessen Nummern auszutauschen. Dafür haben wir auf der Party noch unsere Freunde getroffen und ich habe mit sooooo vielen Mädchen getanzt... war das toll!
Nächste Woche ist die letzte, in der wir hier zu dritt sind – im Oktober kommt die Freiwillige aus Portugal an. Und dann geht auch endlich der Sprachkurs los. Unfassbar, dass bald schon ein ganzer Monat vergangen ist. Im Moment bin ich sehr glücklich hier.
„Es ist so einfach und nicht schwer - ist nur so, dass es sich nie so anfühlt wenn du lebst und lebst und lebst und lebst. ♫ ♪“