Silvia busca trabajo
Silvia hat keine Lust mehr auf das Dorfleben und den unzuverlässigen Chef. Deshalb fährt sie in die nächste Stadt und verteilt Lebensläufe, ich begleite sie dabei.
Als ich Silvia zum ersten Mal sehe, ist sie etwas verschlafen und in Jogginghose. Martín hatte mich vom Bahnhof abgeholt und in der Wohnung der Freiwilligen abgeladen, also auch meiner alten Wohnung. Silvia aus Turin und Rémi aus Marseille, das sind die Freiwilligen in diesem Jahr in meinem alten Projekt im Telecentro. Silvia hat sich bereit erklärt, mich eine Woche während des Dorffests aufzunehmen. Schon auf den 1.Blick ist in der Wohnung vieles anders: viel dreckiges Geschirr und Lebensmittel in der Küche, umgestellte Möbel im Wohnzimmer und Rotweinflecken auf dem weißen Teppich. Aber egal. Silvias Zimmer ist fast gleich eingerichtet wie vorher und sie bietet mir das Bett neben sich an. Bald ist von ihr nur noch ein leises Schnarchen zu hören, während ich erst mal durchatmen und ankommen muss.
Am Wochenende unterhalten wir uns viel, zeigen Fotos und gehen in die Dorfbar, um andere Jugendliche und die anderen Freiwilligen aus dem Projekt zu treffen, die auch zum Dorffest Santa Leticia gekommen sind. Sivlia ist froh, dass ich gekommen bin, da ihre italienische Freundin nicht mehr da ist und sie Angst hatte, allein zu sein. Dass sie nicht gerne allein ist, merke ich schnell. Dass sie nicht warten kann und alles ganz schnell macht, auch. Vor allem beim Essen: ich beginne gerade mit dem Nachtisch, da springt sie schon auf und will das Geschirr spülen. Als wir ihren Lebenslauf auf spanisch übersetzt in das Modell des Europäischen Lebenslaufs eingeben, reicht es, dass ich sie zwei Minuten alleine lasse, während ich auf Toilette bin und sie hat es geschafft, dass alles verändert und unwiederbringlich gelöscht ist, was wir in einer halben Stunde eingegeben haben. Irgendwie kann ich ihr trotzdem nicht böse sein.
Am Montag setzen wir uns nochmal dran und ich passe höllisch auf, dass sie immer schön zwischenspeichert und lasse sie nicht aus den Augen. Sie fragt verschiedene Spanier zum Korrekturlesen und als niemand rechtzeitig antwortet, gehen wir in die Bibliothek und lassen den Lebenslauf von der netten Bibliothekarin gegenlesen. Einen Teil mit Freitext formuliert sie komplett um und wir müssen es noch einmal komplett abschreiben. Dennoch, am Ende können sich die drei Seiten Lebenslauf sehen lassen. Silvia macht einige Ausdrucke und dann gehen wir früh ins Bett, da der Zug am nächsten Morgen sehr früh fährt.
Silvia trägt hohe Schuhe und ein kurzes, flatteriges Kleid, als wir am nächsten Morgen nach Huesca, die nächstgrößere Stadt fahren. Zuerst sind wir viel zu früh, also gehen wir in eine Bar in der Nähe des Handyladens, wo ich meine SIM-Karte kaufen möchte. Sie ist schon etwas nervös, trinkt nur einen cortado und flüchtet noch einmal kurz aufs Klo, bevor sie sich traut, die Kellnerin zu fragen, ob sie jemanden braucht oder jemanden kennt. Nein, sie schüttelt den Kopf, sie kennt niemanden. Da mischt sich der Herr nebendran an der Bar ein und meint, er hat gehört, in einer Bar im Stadtzentrum suchen sie Leute. Nach einigem Nachdenken fällt ihm auch der Name ein und er beschreibt uns genau, wo wir hinmüssen.
Inzwischen ist es 10 Uhr und der Handyladen hat offen. Silvia kennt den Mitarbeiter schon, sie war einige Male dort wegen Problemen mit der Karte. Während ich meine Karte konfiguriere, plaudert sie mit dem Herrn und erzählt auch ihm, dass sie das Dorfleben in Ayerbe satt hat, dass ihr zu wenig los ist und das Projekt langweilig und dass sie versuchen möchte, in Huesca Arbeit zu finden. Sie lässt ihm ihre Nummer da, falls er jemanden kennt.
Wir gehen in die Handelskammer, zu einer Arbeitsagentur, zur Jugendagentur und schließlich zu Manpower, wo sie ihren Lebenslauf in ein Onlineformular hacken muss. Zwischendurch gehen wir ein paar Bars ab und geben den Lebenslauf auch in der Bar ab, die uns der Herr beim Frühstück empfohlen hat. Schließlich gehen wir zum Mittagessen in eine Bar, die ich kenne und setzen uns auf den Platz unterhalb der Kathedrale. Beim Essen ruft ein Bekannter an, den sie von einem Ferienlager kennt und dem sie nun lang und breit und so, dass es der ganze Platz mitbekommen muss, erzählt, dass sie Arbeit sucht und der Chef jetzt in der Politik ist und gar nicht mehr im Büro und sie deshalb nicht weiß, was sie machen soll. Und nein, einen Freund hat sie gerade nicht, sie will ihre Zeit nicht mit jemandem verschwenden, der es nicht ernst meint.
Als sie aufgelegt hat, schaltet sich ein dicker Herr vom Nebentisch ein. Er hätte Zimmer zu vermieten, ob sie Interesse hätte. Naja, meint Silvia, erstmal muss ich Arbeit finden. Ja, er habe auch eine Bar. Na gut, ich kann Ihnen ja mal meinen Kontakt geben. Silvia lässt es bei ihm anklingeln. Der Mann, der einen riesigen Burger und eine Flasche Wein vor sich hat, will uns unbedingt auf ein Getränk einladen; er ist offenbar an Silvia interessiert. Sie lässt sich einen Kaffee ausgeben, ich wehre ab. Der Mann fängt ein Gespräch an, fragt, was wir machen, woher wir sind. Ich versuche möglichst einsilbig zu antworten. Als Silvia ihren Kaffee ausgetrunken hat, bin ich sehr froh. Und sogar noch froher, dass es reicht, dem Mann die Hand zu geben anstatt ihn auf die Wangen zu küssen.
Nach dem ganzen Hin und Her setzen wir uns auf eine Bank und gönnen uns ein Eis. Abends um 9 ruft der Mann aus dem Handyladen an. Sein Freund hat da was in einer Bar, ob sie ihm nicht den Lebenslauf schicken könnte. Und dann wird sogar etwas wie ein Vorstellungsgespräch daraus. Nächsten Dienstag, in Huesca.