Segítsek!
Nächste Woche muss ich mich von einem Mädchen verabschieden, das mir viel gegeben hat.
Hallo, Freunde der Sonne! Ich gehöre wieder zu euch… die Sonne kehrt wieder zurück! Sie scheint heute, könnt ihr es fassen? Ich auch nicht.
Mir geht es Stück für Stück ein bisschen besser. Anfang der Woche hatte ich noch sehr wenig Energie, und die Kinder (die mich in der Frühschicht ertragen mussten) demnach sehr wenig Programm. Aber Freitag habe ich mich zusammengerissen und eine Musikstunde gegeben. Ohne meine Gitarre, denn ich habs immer noch nicht geschafft, neue Saiten zu kaufen. Dafür haben wir mit einer Plastiktrommel und Plüschtieren “Old McDonald had a farm” gesungen, und es war so schön wie immer.
Obrigada!
Und wer hat mich dazu inspiriert? Ein kleines, portugiesisches Energiebündel namens Juliana. Die sich die ganze Woche mein Gejammer angehört hat und trotzdem jeden Tag durch die Kita wirbelte, nie mit einem Anzeichen von Müdigkeit oder Frustration auf ihrem Gesicht. Ich schätze, ein Teil davon ist, dass sie eine 23-jährige junge Frau mit einem Masterabschluss in Social Education ist und ich eine pubertierende Siebzehnjährige, die ihr Abitur nervös umklammert und sonst nicht viel. Aber ein viel größerer Teil ist, dass sie einfach toll ist.
Bald ist Karneval, und wir brauchen Kostüme. Die ganze Woche hat sie uns zum Basteln verdonnert, sobald alle Kinder eingeschlafen waren. Ihr habt euch nicht verlesen - alle Kinder. Alex hat geschlafen! Gott, mir fallen mehrere Berge vom Herzen! Ja, er schläft höchstens eineinhalb Stunden, und es braucht Juliana und mich, vier Hände und kiloweise Geduld um ihn in den Schlaf zu wiegen (“It’s like defusing a bomb”), aber meine Güte, ER SCHLÄFT.
Um wen ich mir nun Sorgen mache, ist Floris. Er macht keine gute Entwicklung durch. Seine aggressive Phase ist vorbei, und nun ist er jeden Morgen für mindestens 45 Minuten komplett in sich gekehrt. Er spricht nicht, bewegt sich nicht, starrt in die Leere und reagiert nicht, wenn man ihn anspricht oder anders reizt. Er atmet sehr schwer und ist so dünn, dass seine Rippen deutlich hervorstehen.
Aber etwas Besseres ist nicht zu erwarten, wenn zwei reiche Ärzte ihr knapp zwei Jahre altes Kind von 7:30 bis 17 Uhr mit kaputten, zu engen Hausschuhen, ohne Winterjacke und intensiv nach Zigarettenrauch riechend in einer Kita absetzen. Der Junge hat das nicht verdient. Kein Kleinkind hat so etwas verdient, offensichtlich, aber Floris ist darüber hinaus das liebenswürdigste Kind, der mir je begegnet ist. Mittwoch hat er mir ein Bild gemalt, und nun hängt es an meiner Wand.
Meine beste Freundin
Und wer mir auch ein Bild gemalt hat, ist Dóra. Dieses Mädchen ist so gemein! Die ganze Woche war sie so liebenswürdig wie nie zuvor! Und Dienstag habe ich erfahren, dass sie nächste Woche die Kita verlässt… Gott, ich bin so traurig. Klingt das seltsam? Ich weiß gar nicht, wie ich damit umgehen werde. Dóra ist doch das Mädchen, dem ich jeden Tag die Suppe pusten und den Kinderwagen aus der Ecke holen muss (“Lenaaaaaa! Lena, segítsek!”), das Mädchen, das nur mit dem Finger zeigt und weinend “acolo” wiederholt, wenn sie etwas nicht möchte, das Mädchen, das mir das ungarische Wort für “Rutsche” beigebracht habe und im Gegenzug von mir lernte, bis drei zu zählen, das Mädchen, das mittags nur im Knien einschlafen kann und keine Orangen isst, weil die Finger davon klebrig werden, das Mädchen, das sich nicht von meinem Schoß wegtraute, als der Nikolaus in die Kita kam. Eins der intelligentesten, gutherzigsten Mädchen, das ich kenne. Zum Glück hat sie im Gegensatz zu… anderen Kindern wunderbare, liebevolle Eltern, bei denen sie gut aufgehoben ist.
Dass sie geht, habe ich Dienstag bei unserem monatlichen Meeting mit Lehel erfahren, amongst other things. Ich möchte gar nicht auf dieses Treffen eingehen und nur sagen, dass er einige Grenzen überschritten hat und dass es mich sehr wütend zurückließ. Aber hey - er hat endlich unsere Waschmaschine ersetzt. Nun sind wir nicht mehr in Lebensgefahr wenn wir waschen, ist das nicht super? Und scheinbar habe ich ihn mit meinen Blicken eingeschüchtert. Zumindest beschrieb Alkie es hinterher so. Wer hätte das gedacht. Die Dschibbels hat den Sprung von eingeschüchtert zu einschüchternd geschafft.
Donnerstag hatten wir ein Meeting mit Emoke, in das ich mit einer sehr schlechten Einstellung hineinging, das dann aber doch deutlich respektvoller und angenehmer verlief. Natürlich hatte sie von unserem vorherigen Gespräch erfahren, oder vielleicht war es auch ein Zufall, dass wir genau an dem Tag unsere Wünsche für eine perfekte KiTa beschreiben mussten. ;) Ich bin froh, dass wir wenigstens sie haben.
Eifersucht
Wenn ich eins im Moment spüre, dann ist es Neid. Denn ich liebe alles am Europäischen Freiwilligendienst - die Leute, die man kennenlernt, die soziale Arbeit, der kulturelle Austausch, die neue Sprache, die Selbstständigkeit die man dadurch erlangt, das Reisen… das einzige, das absolut nicht passt, ist mein “Projekt”. In Anführungsstrichen. Dass ich hier keinen Lerndienst ableiste, sondern als unbezahlte Arbeitskraft da bin, damit hab ich mich ja mittlerweile abgefunden. Wenn Leute mich fragen, was ich hier mache, antworte ich, dass ich Kindergärtnerin bin, in einer Kinderkrippe arbeite, denn so ist es nunmal. Und es wäre kein Problem, wenn die Arbeit mich erfüllen würde. Stattdessen ist da Frustration. Darüber, dass ich im gefühlt einzigen Projekt bin, in dem man keinen Sprachkurs in der Landessprache kriegt, was wirkliche Integration fast unmöglich macht. Dass wir keinen vernünftigen Mentor haben. Dass ich mir meine Ferien nicht aussuchen kann und trotz einer langen Liste an Überstunden um jeden freien Tag betteln muss. Dass ich nicht mit Minderheiten arbeite, sondern mit reichen Kindern, von denen der Großteil nicht einmal ungarisch ist, und so nichts unterstütze außer den Kapitalismus. Dass andere EVS’ler verwirrt über erschrocken bis mitleidig reagieren, wenn wir erzählen. Dass mein “Projekt” keinerlei Direktion hat und ein Job ist. Dass man sich für all das nicht interessiert, so lang wir unsere Schicht arbeiten und nicht regelrecht drohen. Und dass wir, wenn wir unter diesen Umständen hart arbeiten, trotz alldem behandelt werden wie eine unerträgliche Last für alle Beteiligten, wenn wir mal um etwas bitten.
Ich schaue mich um und sehe die Projekte meiner Freunde und, ja, bin neidisch. Ich möchte diese Frustration ablegen, ich möchte mich mit meinem Freiwilligendienst identifizieren können, ich meine immerhin nimmt er den Großteil meiner Arbeit ein. Und ich versuche es immer wieder, aber langsam stoße ich an eine Wand. Im Moment ist das einzig Positive, dass ich am Projekt finden kann, die Kinder, und ich hoffe sehr dass sich das bald ändert.
Aber außerhalb des Projekts? Bin ich glücklich wie nie. Selbst mit dem nervigsten Projekt der ganzen Datenbank ist der EFD immer noch mit Abstand die beste Erfahrung meines Lebens.
Salut, sziá...
Montag war ich zum ersten Mal beim französischen ConvoClub, ja, nicht verlesen, ich war freiwillig im Französischunterricht! Und es war klasse! So leid es mir tut, da kann der Französisch Grundkurs der Q2 nicht mithalten. Die einzige Gemeinsamkeit war, dass ich mal wieder die Schlechteste war. :D Hatte mir im Kopf so viel zusammengelegt und dann vor Ort vor Nervosität alles vergessen. Verstanden habe ich aber alles, zum Glück, denn es wurde nur Quatsch geredet (“Qu’est-ce que c’est en francais, ‘political election’? “ “... révolution!”). Die Lehrer waren natürlich Muttersprachler und total witzig drauf, wir haben Uno gespielt - und ich hab sie alle abgezogen.
Donnerstag ging es dann zum ungarischen Pendant, und oh mann, es war so TOLL! Es fand im Koffer-Café statt, das ich sowieso seit meiner Ankunft ausprobieren wollte, und wir waren nur zwei Schüler auf zwei Lehrer. Ich bekam also sozusagen Einzelunterricht, und es war der Wahnsinn. Innerhalb von 90 Minuten lernte ich mehr als bei 18 Stunden Sprachkurs. Ungarisch kann wirklich (ein wenig) Sinn ergeben, wenn man es auch mal erklärt bekommt anstatt nur zwei Stunden lang Vokabeln abzuschreiben. Unfassbar, aber wahr.
Freitag habe ich endlich, endlich wieder meine Kamera ausgepackt, um im Central Park fotografieren zu gehen. Und ich mag die Ergebnisse. Ich habe mein Auge noch nicht ganz verloren… Samstag trampten Juliana und Alkie nach Oradea, aber Jojo und ich blieben hier, um abends ausgehen zu können. Nur wir zwei, Schwestern-bonding-abend sozusagen. Wir spielten “ Ich hab noch nie”, ich mit Rum und sie mit grünem Tee, und gingen dann ins Janis, das sich als ein Ort mit langweiligen Leuten und langweiliger Musik herausstellte. :D Da bleibe ich doch lieber bei Delirio. Aber es war schön, mal wieder einen Abend zu zweit zu verbringen.
NetflixAIVI & chill
Sonntag veranstaltete AIVI einen portugiesischen Filmabend Ich ging mit Bogdan hin und kam direkt mal zu spät, weswegen ich mir den ganzen Abend - neben anderen Seitenhieben - anhören durfte, dass ich meinen “german spirit” wohl verloren habe (schön wär’s!). Dora war auch dort, und wir machten Bogdan im Team fertig, Frauen müssen zusammenhalten! Ich bin nun ihre Viertelfreundin. Es ist irgendwie… besonders, sich mit jemandem so schnell so wohlzufühlen, dass man sich stundenlang gegenseitig ärgern und sich dabei kaputtlachen kann. :D Ich mag die beiden sehr.
Doras Fortgehen hat meine Gedanken zum ersten Mal auf das "Danach" gelenkt. Ich überlege, was ich mache, wenn ich im August nach Deutschland zurückkehre. Nicht im praktischen Sinne - ich ziehe nach Berlin und studiere SKA und Politik, das steht fest. Aber auf emotionaler Ebene bin ich vollkommen ratlos, und vollkommen panisch.
Als ich nach Rumänien gekommen bin, habe ich nichts zurückgelassen. Meine Heimatstadt ist mir keinen Cent wert. Meine Schulzeit war widerlich. Meine Freunde dort sind mittlerweile weggezogen, oder seltsam geworden, oder waren schon immer seltsam. Ich liebe meine Mutter und vermisse sie jeden Tag, muss mir aber auch eingestehen, dass mein Auszug das Beste war, das unserer Beziehung zueinander hätte passieren können. Ich war umgeben von schlechten Erinnerungen, verpassten Chancen, Reue, Frustration, Unterforderung, Langeweile.
Das Leben, das ich mir hier aufgebaut habe, ist das Leben, das ich haben möchte. Es ist nichtmal wahnsinnig extravagant. Ich lebe wie in einem Studentenwohnheim, ich arbeite sechs Stunden am Tag, ich treffe meine Freunde auf ein Bier oder für Brettspiele oder um einfach durch die Stadt zu laufen. Dann komme ich nach Hause und gehe meinen drei Schwestern auf die Nerven. Es ist so einfach, und so viel. Ich bin überfragt, wie ich all das hinter mir lassen kann. Ein Neuanfang ist eine Chance für die, die nichts zurücklässt, und eine Strafe für die, die alles zurücklässt.
Ich hätte mir nie denken können, wie bewegend meine Zeit hier werden würde. Mann, war ich naiv, “ich geh ein Jahr ins Ausland und dann studiere ich”. Die Worte einer weltfremden Abiturientin.
Sechs Monate noch.
Ich werde mich an jeden Tag klammern.