Rückkehr ins Kassai-Tal
Am ersten Wochenende im April sind im Kassai-Tal wieder Zuschauer erlaubt, und auch wir sind wieder mit dabei. (06.04.2019)
Zeitreisen und Rollentausch
Es ist wie eine Reise zurück in der Zeit - sowohl im kleinen Stil, weil ich vor nunmehr einem halben Jahr schon hier gewesen bin, als auch im großen Stil, weil die Tradition des berittenen Bogenschießens in Ungarn auf die Zeit zurückgeführt werden kann, als die Ungarn noch als Nomaden durchs Land zogen und vieles im Tal diese Zeit zurückzurufen versucht.
Und nun, am ersten Samstag im April, ist das Kassai-Tal wieder für Besucher geöffnet, die daran interessiert sind, den aufstrebenden Bogenschützen zuzuschauen - auch wenn es deutlich weniger Leute als im Oktober waren, weil das Wetter nicht ganz mitspielt.
Unsere Gruppe ist - trotz Linda - genauso groß wie im Herbst. Zsofi kann nicht kommen, weil sie auf einen Taufvorbereitungs-Workshop muss, damit sie noch vor Ostern getauft werden kann, was sie gerne möchte. Daher bin ich es diesmal, die Linda im Tal herumzeigt und ihr alles erklärt.
Auch sie ist fasziniert von der Vielfalt der Aufgaben, denen die Bewerber und aufstrebenden Schützen unterzogen werden, obwohl ihr Interesse mehr bei den Pferden liegt, die in filmreifer Manier durch die Wäldchen und über die Wiesen galoppieren, und weniger bei den Schützen selbst.
Versteckte Schätze
Was diesen Tag im Tal so besonders macht ist, dass Kassai Lajos (Website nur in Englisch) - der Gründer der Kassai-Bogenschützen-Schule - selbst im Tal war und an den Festlichkeiten teilgenommen hat.
Da er nach Ende des offiziellen Programms eine kleine Erzählrunde im Gebäude am Innenhof machen würde, wurde dieser Raum vorab schon geöffnet und auch Zuschauen zugänglich gemacht, sofern sie ihre Schuhe vorher auszogen.
Und was der Raum so beinhaltete, das ließ mein Herz höher schlagen.
An den Wänden hingen Lederrüstungen und Geschirre für die Pferde, kunstvolle Köcher und Waffenscheiden. Mongolische Reiterrüstungen, bemalte Bögen und verschiedene Messer und Schwerter vom japanischem Katana bis zur jamaikanischer Machete waren am Ende des Raums drapiert.
Eine ungarische Archäologin ist über eine Kiste voll mit Speer- und Pfeilspitzen gebäugt, die man bei Bauarbeiten und Ausgrabungen im Tal und der näheren Umgebung gefunden hat.
Darunter befinden sich Exemplare aus Knochen, Eisen, Bergkristall und Obsidian, erzählt sie und drückt mir einige von ihnen zur näherer Begutachtung in die Hand. Keiner weiß, wie alt die aus Obsidian und Kristall gefertigten Spitzen sind, obwohl sie die am besten erhaltenen Teile in der Kiste sind, man weiß nur, dass sie älter als die Metallspitzen sind.
Die eisernen Exemplare sind zwar schon sehr in Mitleidenschaft gezogen, aber man kann ihre Formen immer noch erkennen, und die Frau weiß auch, wofür die unterschiedlichen Formen gut waren - es gibt Pfeile, die zum Durchschlagen von Panzern und Rüstungen gefertigt wurden, Pfeile, die besonders hässliche Wunden zufügen und Pfeile, deren Spitzen man nur in Schussrichtung aus dem Körper entfernen kann - also indem man sie durchsticht und den Schaft bricht.
Es war ein sehr interessanter Tag und ich habe - zu meiner eigenen Überraschung - nochmal einiges über die Geschichte des Bogenschießens lernen können.