Rückkehr in die Wirklichkeit von gestern
Von der einwöchigen Visite in die Wahlheimat des letzten Jahres, einer ersten Reunion der Ex-Freiwilligen und dem Wiedersehen mit der einflussreichsten Bekanntschaft während meines EFDs.
Nach 210 Tagen und einer siebeneinhalb stündigen Zugfahrt von München Hbf nach Budapest Keleti Pályaudvar betreten wir, das typisch ungarische Bimmel-Geräusch der Bahnhöfe in den Ohren, am Abend dieses 24. März wieder ungarisches Terrain. Die Wahlheimat des letzten Jahres nimmt uns wohlwollend auf – genauer genommen ist es Charlotte, die Budapest nun weiter ihr Zuhause nennt, die Theresa und mir jubelnd um den Hals fällt.
Mit dem kiloschweren Backpack auf meinen Schultern, dem Betreten der ersten Metro und dem charakteristischen Geruch von Kürtöskalács in der Nase, überkommt mich ein Gefühl des Heimkehrens. Dieser Ort, der für uns immer eine besondere Bedeutung haben und mit dem Freiheitsgefühl des letzten Jahres auf ewig verbunden sein wird, ist in diesen Tagen als „Hafen des Anfangs“ Schauplatz dieser ersten als auch sehr wahrscheinlich künftiger Reunionen, zu welchem wir nun vorfreudig zurückkehren. Die alte Hülle fühlt sich binnen kurzer Zeit wieder so vertraut an, dass ich mich selbst erinnern muss, lediglich zu Besuch hier zu sein. Als Gast am Ort meiner alten Wirklichkeit, auf einer zeitlich knapp bemessenen Visite, bevor es zurück geht in die Realität des Jetzigen.
Neben der Freude des Wiederkehrens und vor allem Wiedersehens, von der diese Woche geprägt ist, ist es auch Wehmut, die aufkommt bei dem Gedanken daran, sich fortan nur auf diese Weise kurzzeitig in die so prägende Zeit von gestern begeben zu können. So bleibt Ungarn und Budapest im Besonderen mein (gedankliches) Refugium, das es wahrscheinlich noch lang vermag, mich in die Vorjahreseuphorie zurück zu versetzten. Ein Rückzugsort, an dem wir unsere erschöpften Kraftreserven wieder auffüllen können.
Am Sonntag mache ich mich allein in den 14. Bezirk der Hauptstadt auf. Auf das Wiedersehen mit der wohl einflussreichsten Bekanntschaft des letzten Jahres freue ich mich wie auf kein anderes. Im achten Stock des entsprechenden Hauses angekommen steht mir, als ich aus dem Fahrstuhl trete, bereits eine strahlende Ágnes Bartha gegenüber. Ein Strahlen von immenser Freude und Warmherzigkeit, mit welchem sie mich unversehens ansteckt.
Ági hat „Gesztenye Püré“ vorbereitet und ist stets bemüht, mich mit Schokotrüffeln und Sesam-Krackern zu versorgen. Sie erzählt von ihrer Begegnung mit Angela Merkel, von ihren und Helmuths Bemühungen, neue Ausstellungen zu organisieren und den Herausforderungen, die sich ihnen stellen. Ganz begeistert berichtet sie mir, dass Helmuth vor wenigen Tagen das Bundesverdienstkreuz verliehen bekommen hat. Gemeinsam rufen wir ihn in Berlin an und ich kann ihm persönlich gratulieren. „Jetzt haben wir es beide.“, sagt er. „Und beide habt ihr es mehr als verdient.“, denke ich.
Bei meinem zweiten Besuch ist auch Zsuzsa, Ágis Haushaltshilfe, anwesend. „Mi lesz veled?“, fragt sie. - „Was wird mit dir?“ (wörtlich übersetzt). Ich bin bemüht, ihr diese Frage zufriedenstellend zu beantworten. - Gar nicht so leicht, wenn man noch immer das Gefühl hat, sich darauf selbst keine ansatzweise präzise Antwort geben zu können, im Bezug auf die Frage nach der eigenen Zukunft gerade irgendwo zwischen „Was mach ich bloß?“ und „Ich schaff das schon.“ im gefühlt bodenlosen Raum umher schwirrt und hin und wieder selbst die Gefahr erkennt, dass sich idealismusgetränkte Visionen und daraus resultierende Erwartungen an das eigene Tun schlussendlich als Naivität entpuppen könnten..naja – und das alles dann bitte einmal auf Ungarisch.
Doch was wäre diese Welt ohne vermeintlich naive Ideale und Utopien für unser Morgen? Ohne Hoffnung und den ungebrochenen Glauben, auch als winziges Element in einer undurchsichtig komplexen Welt wie der heutigen, eben doch noch etwas bewirken zu können? Lasst uns unseren Idealismus bewahren, an unseren Träumen noch ein bisschen festhalten und auf gar keinen Fall damit aufhören, Kraft aus den Veränderungen im Kleinen zu schöpfen.
Der Weg nach bzw. über Ungarn war auch mein Weg zu Ágnes. Eine Frau, die trotz oder gerade aufgrund ihrer Geschichte und mit ihren 92 Jahren noch immer strahlt. Eine Frau, der man es nicht verübeln könnte, aufgrund ihrer Erlebnisse mit ihren Idealen gebrochen und ihre Hoffnungen aufgegeben zu haben, stattdessen resigniert und verbittert das Tagesgeschehen zu verfolgen. Doch sie tut es nicht, im Gegenteil. Zweifelsfrei kosten sie ihre Anstrengungen Kraft, vielleicht sogar Tag für Tag ein bisschen mehr. Doch letztendlich vermag sie es immer wieder, dieses Strahlen aufzubringen. Dieses Strahlen, welches mir bei unserem erneuten Abschied auf ungewisse Zeit eine Träne ins Auge versetzt. Ágnes Bartha, 92 Jahre alt, Holocaust-Überlebende, hat es geschafft, sich ihren Idealismus beizubehalten. Nun sagt mir, was ist falsch an ein bisschen Idealismus?!
Ágis Geschichte:
http://www.youthreporter.eu/beitrag/wenn-19-auf-91-trifft.10450/#.VSP1KPmsVqI
Helmuths Homepage:
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