Reise nach Jerusalem... bzw. Timisoara
Wer braucht schon lange Haare oder Schlaf, wenn man stattdessen verreisen kann?
Da bin ich wieder, total verschnupft, übermüdet und mit einem gekochten Ei in einem Shotglas (wir haben keine Eierbecher) und einer Riesentasse Kaffee neben meinem Laptop. Es war ein langes, schönes Wochenende... aber eins nach dem anderen.
Schnipp, schnapp, und die Haare sind ab
Also, wo war ich letztes Mal stehengeblieben? Ich wollte zum Friseur... und da war ich auch. Ab sind die Haare, mal wieder. Ich versteh mich nicht ganz, ich möchte meine Haare immer wachsen lassen und ziehe es dann doch nie länger als ein Jahr durch. Na ja, ich war die längst rausgewachsene Asymmetrie leid... mit dem Ergebnis bin ich sehr glücklich! Überraschenderweise, denn die Friseuse sprach weder rumänisch noch ungarisch und ich hatte auch kein Bild von meiner Wunschfrisur. Ging dann trotzdem irgendwie mit Händen, vagen Lauten und ihren talentierten Händen.
Ich selbst spreche auch noch kein Wort der beiden Sprachen, denn der Ungarischunterricht wurde schon wieder eine Woche nach hinten verlegt... offen gesagt nervt mich das ein wenig. Ich lebe und arbeite bereits seit eineinhalb Monaten hier und hatte immer noch keine Minute von dem Sprachkurs, der mir zusteht. Vielleicht ist diese Frustration ja Phase zwei des Kulturschocks, vielleicht die unangenehme Zeit im Monat, vielleicht das kalte Wetter und die Erkältung die es mitbringt. Ist ungewiss. Aber todunglücklich bin ich nicht, keine Sorge. ;)
Ein Kuss auf die Wange!
Dabei ist die Arbeit stressiger, zumindest in gewisser Weise. Die beiden neuen sind eine Herausforderung. Besonders der neunmonatige Junge bedeutet sehr viel Arbeit. Er kann nicht essen, stehen, laufen, sprechen, er kann nichtmal so richtig alleine sitzen, und so wird er sich auch nicht in die Gruppe integrieren können. Eine von uns muss permanent bei ihm sein, und das ist bei zehn Kindern und drei Betreuern eigentlich nicht möglich. Ich bin mir nichtmal sicher wieso er zugelassen wurde – eigentlich ist die Kita erst ab einem Jahr geöffnet, was auch gut so ist. Nun ja. Sein Bruder hat noch Angst vor uns und weint viel, aber er braucht wenigstens keine durchgängige Betreuung.
Die anderen Kinder habe ich trotz buchstäblicher Sprachlosigkeit irgendwie für mich eingenommen. Das macht es einfacher... jetzt kann ich trösten, wenn sie sich wehtun, und beruhigen wenn sie mal wieder nicht einschlafen wollen (das verstehe ich übrigens nie, ich könnte zur Mittagsschlaf-Zeit immer direkt mitschlafen...). Von Ivett habe ich sogar einen Wangenkuss bekommen, ist das zu fassen?! Floris fehlte diese Woche. Natürlich habe ich keine Lieblingskinder, ich mag sie alle, aber wenn ich ein Lieblingskind hätte, dann wäre er es. ;)
Krippenspiel-Proben
Diese Woche war ich sowieso nicht nur in meiner Gruppe, denn... die erste Krippenspielprobe stand an! War ein bisschen seltsam organisiert, denn es waren nur vier von acht Kindern da. Und es war auch keine richtige Probe, ich habe nur ein paar Kennenlernspiele angesetzt. Mein rechter rechter Platz ist frei, grob ins Englische übersetzt und die Kinder mussten als Emotionen rüberkommen. Dann noch stille Post, um klare Aussprache zu üben, und narrative Pantomime – man liest eine Geschichte vor, wie meine über einen wachsenden Apfelbaum, und die Kinder müssen das ohne Worte darstellen.
Ich bin wirklich beeindruckt, wie viel Fantasie die Kinder haben. Habe vergessen, was so alles in jungen Kindern steckt... und ich bin sehr froh, dass ich daran erinnert wurde. Ich freue mich jedenfalls sehr auf die richtigen Proben.
Donnerstag ging es außerdem noch weg, und zwar zur Gayme Night. Was für ein Wortspiel... aber ja, der Name war Programm, in einem sehr hübschen Café wurden Brett- und Kartenspiele gespielt – Männer und Heterosexuelle verboten! Erst wurden mir Tarotkarten gelesen – irgendwas Krasses ist wohl in meinem vorherigen Leben passiert. Die Leserin war wohl superspirituell und regelrecht neidisch auf meine „anderen Leben“. Danach spielten wir ein paar Runden Jenga, womit ich schon mehr anfangen konnte. ;) Auch wenn ich grauenvoll darin bin. Und zuletzt wurde ein seltsames Kartenspiel namens Dixie ausgepackt – man bekam fünf Karten mit abstrakten Bildern und muss sich zu einem eine Beschreibung ausdenken. Dann legt jeder ein Bild aus, das auf diese Beschreibung passen könnte, und dann wird geraten welche Karte dem Urheber gehört. Es war super! Auch wenn ich meine Schüchternheit verdamme, denn richtig kennengelernt habe ich niemanden, über Augenkontakt und anlächeln ging es nicht hinweg. Trotzdem, ausgerichtet wurde es von Les Sisterhood, die nur so Zeug machen – und beim nächsten Mal möchte ich definitiv wieder dabei sein.
Und los geht's!
Es folgte meine letzte Nacht mit Schlaf, denn die Nacht von Freitag auf Samstag machten wir faktisch durch. Um viertel vor eins nahmen wir einen Zug nach Timisoara - übrigens Kandidat für Europas Kulturhauptstadt 2021! Ein paar Tage vorher hatten wir spontan Zugtickets und ein günstiges airbnb-Zimmer für eine Nacht gebucht. Im Zug hatten wir ein eigenes Abteil! Ich bin noch nie in einem Abteil gefahren, ich fühlte mich wie Harry Potter! Schlafen war auf dem engen Raum trotzdem schwierig, ich habe nie länger als eine halbe Stunde geschlafen, dann weckten Gliederschmerzen mich auf. Aber trotz Schmerzen und Müdigkeit war es... ja, romantisch, morgens im grauen, gedämpften Dämmerungslicht aus dem Halbschlaf aufzuwachen, Tau am Fenster und kein Geräusch außer das Rumpeln des Zuges auf den Gleisen, weder hier noch da. Genau nach diesem Gefühl habe ich gesucht.
Gegen 10 kamen wir an und nahmen ein Taxi zum Zimmer, das echt hübsch war. Ohne einen wirklichen Plan gingen wir in die Innenstadt, und WOW, ist die schön! Ein bisschen wie Venedig, nur mit weniger Wasser und weniger Fischgerichten. Die Architektur ist einfach sehr stimmig. Johanna und ich gingen eine Runde in der Iulius Mall shoppen – es war nicht einfach, am Starbucks vorbeizugehen und einer ärmellosen, schwarzen Lederjacke zu widerstehen, aber mein ganzes Budget für den Ausflug bestand aus etwa 40 Euro. Stattdessen gab es Falafel! Und eine kleine Mütze Schlaf am späten Nachmittag, denn wir waren ziemlich fertig. Abends gingen wir zwei in ein knuffiges Sushirestaurant und dann zum timishort film festival – es war pures Glück, dass das genau an dem Wochenende stattfand an dem wir da waren. :D Für 5 Lei konnten wir uns sechs Indie-Kurzfilme aus verschiedenen Ländern ansehen. Manche waren einfach nur dämlich – der erste ergab absolut keinen Sinn und versuchte das zu kompensieren, indem er zusammenhangslos mit Sex und Gewalt „provozierte“. Es wurden grafisch Schweine geschlachtet und Vergewaltigungen gezeigt. Der letzte war meiner Meinung nach komplett möchtegern-tiefsinnig, jeder Satz war eine flache Metapher und über alle Szenen wurde derselbe Graufilter gelegt. Aber die anderen Filme waren interessant und hatten Substanz.
Ein etwas anderes Museum
Am nächsten Morgen holten wir uns zum Frühstück Gebäck an einer der vielen Stehbäckereien und setzten uns dann auf dem Piata Unirii in der Nähe eines Straßenmusikers in die Sonne. Noch so ein endloser Moment. Danach liefen wir am Fluss entlang, wo ich und Johanna auf einem Holzsteg blieben und auf 14 Uhr warten – dann machte das Communist Museum auf. Im Grunde ein großer Keller, aufgebaut wie eine Wohnung, in der jede Menge Objekte aus dem Kommunismus rumlagen. Eine wirkliche Aufsicht gab es nicht, uns wurde nur gesagt, dass wir das Licht wieder ausmachen sollen wenn wir gehen, und berühren durfte man auch alles. Ich fand ein Fotoalbum mit alten Fotos einer Amerikareise... ich weiß nichtmal, ob es echt oder gestellt war. Aber es fühlte sich echt an.
Durch die vielen, vielen Parks ging es dann zurück in die Innenstadt, wo ich zum ersten Mal Lángos probierte, eine ungarische Teigspezialität, die sehr ungesund und sehr lecker schmeckt. Und das war es dann auch mit Timisoara, um 17 Uhr nahmen wir den Zug nach Hause, diesmal leider ohne Abteil. :(
Eins ist sicher, und da ist Johanna einer Meinung mit mir: nächstes Wochenende wird gechillt! Auch wenn der Ausflug echt schön war und wir schon mehr planen (Debrecen, Arad und London sind bereits so gut wie safe geplant. ;) ). Ist es seltsam, dass ich mich auf ein Wochenende im Bett mit Serien freue? Vielleicht bin ich nicht partylustig genug für mein Alter. Aber es ist unser letztes Wochenende im Oktober, denn es folgen On-Arrival-Training in Sibiu und dann FERIEN! Ich werde Freunde in Stockholm und Würzburg besuchen, einen Tag lang Bremen erkunden – es hat sich mit dem Umsteigen bei den Flügen so ergeben – und zum Schluss kurz zu Hause vorbeischauen.
Bis dahin... !