Prvi put u Beogradu i na Kosovu
Ein Tauchgang in urbane Meere, serbische Völlerei und ein bunter Kosovo.
Neben dem Schreiben eines neuen Eintrags muss ich an meinen Fähigkeiten in einem der wichtigsten Zeitvertreibereien in Vranje arbeiten, dem Puhlen von Sonnenblumenkernen. Harte Arbeit, schreiben und puhlen, aber wenn man hier ankommen will, muss man es eben beherrschen. Das mit dem Zeitgefühl lässt sich allerdings nicht so einfach erlernen. Ich bin immer noch furchtbar pünktlich in allen Belangen und muss manchmal zwanghaft meine Ungeduld unterdrücken. Aber daran werde ich mich noch zu sehr gewöhnen, fürchte ich.
Letzten Montag erwartete ich meinen ersten Besuch. Sarah und Richard waren für eine Woche in meiner sowieso viel zu großen Wohnung untergekommen, um Vranje kennen und sogar lieben zu lernen. Da sich das Abendleben aber generell auf das Biertrinken im Pub beschränkt, ging es zur Abwechslung für uns alle im Regionalbus nach Vladićin Han, wo ein toller Rummel stattfinden sollte. In fünf Minuten hatte man das Festgelände durchlaufen, dabei drei Kettenkarusells und zwei Autoscooter gesichtet, Serdjan hatte für seine Freundin ein paar mickrige Schlüsselanhänger am Schießstand gewonnen und der alleinstehende Vladica ein großes Plüschherz geschossen, dass er etwas verschämt unter seiner Jacke verbarg. Um keinen Frust aufkommen zu lassen, ging man schnell zum Essgelage über. „Ja klar, bringen Sie uns ein Kilo Fleisch, vier Schüsseln Šopskasalat, Bratkartoffeln und Brot.“ Noch Stunden danach hatte mir mein Körper diese Misshandlung nicht verziehen und auch die im lokalen Pub spielende Live-Coverband machte es nicht besser. Dennoch wackelten wir fröhlich zu längst vergangenen Hits und brüllten den Daft Punk-Hit mit. Sarah, Richard und ich hatten eine Menge Spaß, waren aber enttäuscht über das Fehlen des Breakdancers auf dem Rummel, der eigentlich nirgendwo fehlen darf. Einfach unverzeihlich. Kurz vor unserer Rückkehr im Nachtbus, wird mir noch diese Perle der serbischen Popkultur vorgestellt und avanciert für kurze Zeit zu einem der schlechtesten Ohrwürmer, die ich je hatte.
Freitag ging es dann endlich nach Belgrad, für uns alle das erste Mal. Das war echt Balsam für die Seele. Sich endlich mal wieder von einer großen urbanen Masse absorbieren zu lassen und durch kilometerlange Straßen voll mit unbekannten Menschen zu schlendern. Im „Sun Hostel“ trafen wir dann auch gleich den blonden Quotenbackpacker Lukas aus Deutschland. „Oim froum Stuuhdgahrd!“ sollte einer seiner prägenden Sätze werden. Die Aussprache dieses Wortes hat er sich wohl im bereisten Amerika angeeignet, da die "pronounciation" von Stuttgart für die dortige Bevölkerung wahrscheinlich nur auf diese Art möglich ist. Er war wirklich allwissend. Und mit allwissend meine ich eine Riesennervensäge. Auf seine vorschnelle Einladung zu einer dieser coolen Bootsparty, just nach unserer Ankunft, sind wir deshalb auch nicht eingegangen. Stattdessen spazierten wir kilometerweit durch die Innenstadt, um am Ende in einer der herrlichsten Spelunken Belgrads- dem Cafe Laška- zu landen und mit den lokalen Trinkern "домаћи ракија" aus Aprikosen zu trinken. So haben wir uns das vorgestellt! Da können einem die Schickitouribootsparties gern gestohlen bleiben. Der Kilometermarsch durch die Stadt sollte am nächsten Tag noch seinen Höhepunkt finden. Ausstellungen mit Dinos und Kriegsgeräten aus allen möglichen Kriegen waren nur einige Highlights. Auch die Jets, die aufgrund einer Feierlichkeit nur knapp über unsere Köpfe hinwegflogen, konnten uns mit dem Schreck unseres Lebens beeindrucken. Mir fällt leider immer wieder auf, wie identisch Innenstädte in Europa einander sind. Jede Großstadt mit Touristenverkehr arbeitet absurderweise darauf hin, die Zentren für den Tourismus attraktiver zu machen, indem die Fußgängerzonen mit immer gleichen Shoppingzentren zugepflastert werden. Die Eigenarten der Städte lassen sich jedenfalls kaum durch das Spazieren durch die Fußgängerzonen erfahren. Im Hostel dagegen konnten wir internationale Eigenheiten ganz anders kennenlernen. Mit zwei jungen Türken wurden Traditionen und Bräuche diskutiert, was damit endete, dass wir mehrere türkische Tänze und ihre feinen Unterschiede kennenlernten. Beim Staunen über das Können der tanzenden Burschen fiel mir auf, dass ich leider keinen Schuhplattler vortanzen kann. Das machte mich traurig, da ich auch gern etwas von den eigenen Traditionen, abseits von deutschem Essen, teilen würde. Dafür konnte ich aber zumindest mit gefährlichem Halbwissen über Serbien und Turbofolktänzen punkten. In Belgrad stellte sich übrigens heraus, dass Vranje sogar über seine Stadtgrenzen hinaus dafür bekannt ist, statt sieben nur zwei Fälle zu benutzen, was regelmäßig für großes Gelächter sorgt, die Bewohner Vranjes selbst jedoch mit Stolz erfüllt. ("Willkommen bei den Schti's" lässt grüßen)
Kaum zuhause blieb kaum Zeit, bis der nächste Besuch eintrudelte. Hauke machte sich auf den langen Weg (17 unverantwortliche Stunden Fahrt), um eine Woche in Vranje zu verbringen. Als geborener Journalist kann er es sich natürlich nicht verkneifen, nach einer guten Story zu suchen. An den Abenden wird das serbische Lebensgefühl mit Völlerei in den Kafanas gefeiert und tagsüber jagt Hauke nach guten Fotomotiven. Der Plan, mit seinem Auto für einen Kurztrip nach Skopje zu fahren, scheitert an der mazedonischen Grenze, da unerwartet viel Geld fällig wird, um das Auto dort zu versichern. Gefangen im Niemandsland zwischen Mazedonien und Serbien blieb uns nur die Rückkehr. Was nun mit dem angefangenen Tag anfangen? Klare Sache! Wir mussten jemanden finden, der uns in den Kosovo fährt, denn das war unser neues Ziel. In Bujanovac, einem Ort nahe der Grenze zum Kosovo, in dem im Gegensatz zu Vranje circa 70% der Einwohner Albaner sind, trinken wir Kaffee mit „DJ Proton“, einem Albaner, der mit gut mit Sanja befreundet ist. Sanja wagte einmal ein Experiment und lud ihn ein, im benachbarten Vranje aufzulegen. Erst einen Monat später erwähnte sie seine Herkunft, was bei einigen ihrer Freunde tatsächlich für Unmut sorgte. Jedenfalls tranken wir guten Kaffee in Bujanovac, denn albanischer Kaffee ist dafür bekannt, besser als serbischer Kaffee zu sein und das war er wirklich. DJ Proton bot an, einen Abstecher nach Gjilan im Kosovo zu machen. An der Grenze wunderte man sich dann auch über die Ein- und Ausreisestempel von unserem gescheiterten Mazedonien-Trip und über unsere kunterbunte Mischung aus deutsch, serbisch-bulgarisch und albanisch. Dass Hauke Journalist ist, wurde mit kritischen Blicken kurz ausgewertet. „Steigen Sie aus! Sie sind also Journalist! Was machen Sie hier im Kosovo?“ Als sich das kantige Gesicht des Grenzbeamten plötzlich zu einem Grinsen verzog, er dem nervösen Hauke auf die Schulter klopfte und ihm einen schönen Aufenthalt wünschte, war jedoch alle Angst verschwunden. Wir fuhren in einem Affentempo unangeschnallt durch die surreale Landschaft und fanden uns schließlich in einem unglaublich jungen und lebhaften Gjilan wieder. Vorurteile hin oder her, aber so hat man sich den Kosovo wahrlich nicht vorgestellt. Die Schule ist gerade aus und alle sitzen in den zahlreichen Cafes. Überall kann man sehr billig einkaufen und ein prall gefüllten Hamburger bekommen wir für 70 Cent. An vielen Orten hängen USA-Flaggen neben Kosovo-Flaggen, was vielleicht ansatzweise erklärt, warum es viele schicke Neubauten und teure Autos gibt. Überraschend war für mich, dass man in Euro bezahlt. Nach einem hektischen Marsch durch die Stadt ging es schon wieder zurück, aber ich bin mir sicher, dass es nicht mein letzter Ausflug in den Kosovo war.
Das Wochenende darauf sollte eine etwas unangenehme Überraschung bereithalten. Da alle Bars spätestens um eins in der Nacht schließen, muss man sich nach Alternativen umschauen, sich die Zeit bis zum Schlafengehen zu vertreiben. Ich weiß jetzt auch, wie. Freitagnacht durfte ich endlich mal Bekanntschaft mit einem Krankenhaus in Serbien machen . Und für die Notaufnahme hatte man sich etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Statt diesen Teil, wie die anderen Bereiche des Krankenhauses zu modernisieren, beließ man es einfach beim guten Interiour aus alten jugoslawischen Zeiten. Somit durfte ich mich auf eine Zeitreise begeben und das Krankenhaus von seiner schönsten und gleichzeitig beängstigenden Seite kennenlernen. Aber wie muss es erst für Krankenschwester und schlaftrunkenen Arzt aussehen, wenn plötzlich drei angetrunkene Herren mit einer deutschen Frau mit aufgeschlagenen Kinn die Tür betreten. Fragen zum Vorgang konnte der Arzt sich daher auch nicht verkneifen. Ob er an die Geschichte mit dem Sturz auf der Treppe glaubt, bleibt offen. Blöde Witze wurden trotzdem gemacht. "Naja, wenn Ihnen die Stiche nicht gefallen, können ihre Freunde ja noch mal aufmachen und neu anfangen." Nach fünf Stichen ohne Betäubung ist die Angelegenheit erledigt und ich kann endlich am eigenen Leib erfahren, wie beschissen sich König Drosselbart damals gefühlt hat. Aber das schöne am Serbischlernen in Serbien ist, dass ich das Gelernte unmittelbar anwenden kann. „Nažalost ja sam u bolnici u cetiri nocu. Ali nisam sama. Moji tri drugovi su ovde. Lekar je umoram i ludi.“
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