"Operation Pillar of Defense" - Ein Gespräch mit meiner Mutter
Ich befinde mich derzeit für ein Auslandssemester in Israel. Seit einigen Tagen herrscht Ausnahmezustand, Raketen auf Tel Aviv und Jerusalem, der Süden ist ein einziges Minenfeld. Meiner besorgten Mutter erkläre ich, was eigentlich los ist, und warum ich keine TAZ mehr lesen mag.
Seit Monaten fliegen im Süden Raketen aus Israel über die Grenze. Da die meisten davon eher harmlos sind und ausnahmslos alle in unbewohnten Gebieten gelandet sind bzw. von Abwehrraketen abgeschossen wurden, wurde es gar nicht weiter erwähnt. Letzte Woche hat es sich jedoch so sehr verschärft, dass die Israelische Armee (IDF, Israel Defense Forces) am Mittwoch den militärischen Führer der Hamas mit einem gezielten Angriff getötet hat. Ahmad Jabari war damals auch Drahtzieher der Gilad Schalit Entführung.
Nach seinem Tod wurden innerhalb einiger Stunden mehrere hundert Raketen nach Israel gefeuert, mehr als 95% in die unmittelbare Nähe des Gazastreifens. Am Donnerstag wurde jedoch ein Apartmenthaus in Kiryat Bialik getroffen, wobei 3 Menschen ums Leben kamen. Die IDF setzte in der Zwischenzeit auf gezielte Luftangriffe auf Stützpunkte und Lager der Hamas sowie auf militärische Führungspersonen. Auch hier wurden jedoch Zivilisten getötet, darunter Kinder, in der Regel durch die Nachexplosionen, wenn ein Raketenlager getroffen wurde.
Am Donnerstag wurde bei uns in der Uni ein Treffen für die ausländischen Studierenden einberufen, die Situation wurde erklärt und alle beruhigt (meine persönliche Lieblingsfrage des Meetings: „Wenn die Situation eskaliert und wir weg müssen, was passiert dann mit unseren Noten?“). Es wurde geraten, Haifa dieses Wochenende nicht zu verlassen, aber in Absprache mit der International School durfte ich problemlos doch Freunde in Herzliya besuchen. Auf dem Weg mit zum Zug traf ich Lauren und Aaron, die mit dem gleichen Zug bis Tel Aviv fahren würden. Als wir gerade im Zug waren, fanden wir dank Smartphones heraus, dass in Tel Aviv das erste Mal seit dem Ende des Golfkrieges im Jahr 1991 der Luftalarm ausgelöst worden war. Aber es ist nichts passiert, außerdem ist die Rakete tatsächlich einige Kilometer vom Großraum Tel Aviv angekommen (in Israel sagt man, der "Großraum Tel Aviv" vergrößere sich in Krisenzeiten immens, weil Tel Aviv einfach dramatischer klingt als Holon).
Dazu muss man wissen: Israel hat ein fantastisches (!) Raketen-Abwehrsystem. 80% der Raketen werden in der Luft abgefangen. Von den übrigen 20% werden fast alle in offenes Gelände fallen gelassen. Außer in Kiryat Malakhi und heute in Ashdod wurden kaum Gebäude getroffen. In Ashdod wurde niemand verletzt.
Lauren und Aaron verließen Tel Aviv recht schnell wieder am nächsten Tag, als tatsächlich eine Rakete im Süden von Tel Aviv in offenem Gelände aufschlug; in Herzliya hat man das Geschehene nur in den Medien mitbekommen.
Übrigens kommen hier keine Raketen an, auch nicht die „guten“, welche die wenigsten sind, aber es gibt sie trotzdem: Fast alle Raketen sind Qassams, die eine sehr geringe Reichweite haben. Aus dem Iran und dem Libyschen Bürgerkrieg kommen jetzt aber auch schärfere Raketen ins Spiel, die eben auch bis Tel Aviv kommen. Und bis Jerusalem.
Zum ersten Mal seit 40 Jahren wurde Jerusalem heute beschossen. Welch schlechter Schachzug. Besonders, da die Rakete in einem palästinensischen Dorf in der Nähe landete, statt im jüdischen Teil der Heiligen Stadt. Niemand wurde verletzt.
Eins hat mich bei meiner regen Verfolgung des Geschehens wirklich wütend gemacht:
Die deutschen Medien berichten unisono, dass diese ganze Aktion Netanyahu super in den Kram passt, da am 22. Januar die Wahlen anstehen. BULLSHIT. Aus zwei Gründen!
1.) Netanyahu hat keine Opposition, die ihn bedrohen würde. In Israel gibt es ein Koalitionssystem wie in Deutschland, und da er mit seinen Partnerparteien eine solide Mehrheit bildet, kann die Linke nicht mal ansatzweise hoffen, den Premier zu ersetzen.
2.) Statt wie zunächst vorgesehen 30.000 Reservisten einzuziehen, sind es nun 75.000! Alle haben Angst um ihre Söhne, Freunde, Männer, Väter. Meine israelische Mitbewohnerin verabschiedet ihren Freund unter Tränen, Israelis werden aus dem Ausland zurück beordert, eine Bodeninitiative wird vorbereitet, auf einen Einsatz von 7 Wochen soll sich vorbereitet werden. Auf beiden Seiten werden Menschen sterben, sind schon Menschen gestorben, viele von ihnen „unschuldig“ (also zumindest nicht direkt in die Aktion verwickelt). Der Krieg kostet Millionen, wenn nicht Milliarden, die Wirtschaft ist eingeschränkt, die Campi (Mehrzahl von Campus) sind leerer, das Telefonnetz ist ständig überlastet. Es ist keine Panikstimmung, aber auch keine gute. Wahlen gewinnt man so nicht; es werden sogar Stimmen laut, dass diese Entscheidung das Einzige sein könnte, dass Bibis (Binyamin Netanyahus) Wiederwahl gefährden könnte.
Also, bitte – Blödsinn! Abgesehen davon ist die Beziehung zu Ägypten jetzt in Gefahr, die wichtigste für Israel in der Region. Gleichzeitig herrscht in Syrien an der Grenze zu Israel Bürgerkrieg. Wer würde schon in dieses Pulverfass einfach ein Streichholz werfen, wenn es nicht sein müsste!?
Versucht bitte, die immerwährend Anti-Israelische Presse mit diesem Wissen zu lesen. Gaza muss befreit werden, unbedingt, aber zuerst einmal von der Hamas, damit Gespräche möglich werden.
Besonders seit dem Angriff auf Jerusalem sind übrigens auch viele arabische Staaten sauer auf die Hamas, und sogar der arabische Sender Al-Jazeera hat einem Isralischen Sprecher der IDF eine halbe Stunde Sendezeit eingeräumt, alles auf Arabisch; die Hamas-Leute waren ziemlich sauer.
Ich hoffe, es ist bald wieder ruhig. Wisst mich aber sicher, oben auf dem Berg im hohen Norden! Und seht euch die Nachrichten am besten auf israelischen Seiten auf Englisch an, oder auf Al Jazeera Englisch.
Hier ein paar Seiten mit Berichten über „Operation Pillar of Defense“:
http://abcnews.go.com/International/israel-targets-hamas-headquarters/story?id=17746272#.UKgKqocUnTB
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