On the Road - April/Mai
Endlich war ich auch mal einige Wochenenden unterwegs und habe sogar zum ersten Mal Polen während meines EVS verlassen.
Für Ostern haben sich alle aus der WG wie schon Weihnachten ein eigenes Reiseziel gesucht. Ich war von anderen Freiwilligen in die Nähe von Wrocław eingeladen worden. Da unser liebes Olsztyn ja leider kaum über gute Verbindungen verfügt, fuhr ich vorher noch für einen Abend nach Warschau. Dort habe ich mich mit Adrian, Lise und Pietro von meinem Torun-Seminar getroffen. Diesen herzensguten Menschen verdanke ich einige der verrücktesten und ehrlichsten Gespräche hier!
Am nächsten Morgen ging es dann sehr früh weiter nach Wrocław, endlich meine erste Fahrt in einem der beliebten, weil superbilligen PolskiBusse. Das Ein-Zloty-Angebot habe ich zwar nicht bekommen, aber immerhin gab es trotzdem kostenloses Frühstück. Je weiter wir in den Südwesten fuhren, desto weiter war auch schon der polnische Frühling. Apfelbäume in voller Blüte und Sonnenschein auf den prächtigen Altbauten hießen uns in der Altstadt willkommen, aber mir blieb nur der Blick vom Bus. Denn unsere Gastgeberin, von Lises On-Arrival, wohnt im Pałac Morawa – was eine weitere Stunde Busfahrt bedeutet. Ein wunderschöner kleiner Palast umgeben von einem eigenen Park, der neben dem Hotel auch noch einen Kindergarten beherbergt. Sonst gibt es in der weiteren Umgebung auch nichts, weshalb Julia, die einzige Freiwillige dort, sogar mit dem Auto Einkaufen fährt. Aber wir hatten ja uns. Es wurde also ein entspanntes Wochenende in deutsch-italienisch-spanisch-französischer EVS-Gruppe: Musik am Lagerfeuer, zahlreiche Werwolfrunden, spanisch und italienisches Dinner von den Jungs und ein polnisches Osterfrühstück mit gesegnetem Osterkorb. Leider habe ich den ganzen Ostermontag im Zug auf dem Weg nach Olsztyn verbracht, sodass ich von der Tradition des „nassen Montag“ verschont blieb. Nach und vor dem Kirchgang bespritzt man sich in Polen mit Wasser, was inzwischen zu richtigen Wasserschlachten mit vornämlich weiblichen Opfern in einigen Großstädten ausartet.
Das nächste Wochenende führte mich ins Baltikum. Lisa hat sich dort mit einer estnischen Freiwilligen ihrer Entsendeorganisation getroffen und mich kurzerhand nach Riga mitgenommen. Die Hinfahrt war allerdings etwas beschwerlich, da wir erst in die entgegengesetzte Himmelsrichtung mussten. Der Nachtbus von Ecolines fährt natürlich nur in Warschau ab… Von dort ging es dann mit Multimedia-Ausstattung (Internet, Filme, Musik – Busfahren in Osteuropa ist echt bequem) nach Lettland. Oder fast. Denn kurz hinter Vilnius hatten wir eine Panne, die uns einige Stunden Wartezeit im Nichts der litauischen Autobahn bescherte. Immerhin gab es nette Gespräche über die baltische Sicht auf die Ukraine-Krise. Nach fast 24 Stunden erreichten Lisa und ich dann schließlich unser niedliches Hostel, wo Krissi aus Tallin innerhalb von vier Stunden angekommen war. Uns blieb aber noch der Abend für einen kleinen Rundgang und die Zeit, den Sonnenuntergang am Fluss zu bewundern. Am nächsten Tag schlossen wir uns einer Free Walking Tour an, die ich wirklich empfehlen kann. Unser Guide war ein sehr witziger Student, der die junge Gruppe abseits der üblichen Sehenswürdigkeiten führte und sehr lustige Geschichten über Kirchen, Türme und die Speicher kannte. Dann stand ein bisschen Touri-Shopping an, denn Riga bietet außergewöhnliche Läden, wenn man schon eine Weile keine Hipster-Umgebung mehr gewohnt ist. Eine englischsprachige Buchhandlung lud zum Stöbern ein, außerdem wollten alle Daheimgebliebenen mit Postkarten versorgt werden. Den Sonntag entspannten wir im Stadtpark nach einer ausführlichen Schlemmerrunde in den berühmten Markthallen. Ich hätte nie gedacht, dass ich meine erste Sonnenbräune in diesem Jahr so weit nördlich bekomme! Die Rückfahrt über Nacht funktionierte dann dankbarerweise reibungslos. Als in Vilnius die ersten Polen einstiegen, bekam ich das wunderbare Gefühl nach vertrauter Heimat. Ich verstand wieder etwas und es waren sehr nette Leute – Polen, was sonst. Sogar das Bezahlen mit Euro in Riga kam mir ungewohnt vor. Warum ist der Fünfer denn ein Schein?
Am nächsten Wochenende, dem langen Maiwochenende ging es in südliche Himmelsrichtung – nach Krakau. Auch das war wieder eine Art kleine Freiwilligenversammlung, weil ich mich mit Tim aus Stettin bei Mattia (alles meine liebsten Torun-Leute <3) einquartiert hatte. Ich bin sehr neidisch auf diese 6er-WG! Sie verstehen sich alle sehr gut, die Wohnung liegt perfekt: nah an der Altstadt, nah an der Weichsel, nach an der Uni. Die Stadt war wegen der Feiertage voller Touristen, komplett ausgebucht und voller polnischer Tagesgäste. Es war also eine gute Entscheidung, die Tickets für die Salzmine Wieliczka vorzubestellen. Obwohl es unterirdisch fast Stau gab, hat sich der Besuch gelohnt. In diesem alten Salzbergwerk wird immer noch das weiße Gold abgebaut, doch heutzutage lebt es von den zahlreichen Touristen, die alle die aus Salz gehauenen Kunstwerke der Bergarbeiter besichtigen wollen. Wieliczka steht zu Recht auf der UNESCO-Welterbeliste. Die Kapelle aus Salz war am beeindruckensten, weil ein schwedischer Chor grade die besondere Akustik erprobte. Auch sonst sind wir einigen touristischen Pfaden gefolgt: natürlich durch die Altstadt mit den Feierlichkeiten zum 3. Mai, durch Kazimierz mit dem verwunschenen neuen Jüdischen Friedhof und einmal zum Königsschloss hinauf. Krakau ist die zweitgrößte Stadt Polens nach Warschau, aber trotzdem fühle ich mich dort nicht so verloren. Warschau hat dieses kalte Zentrum mit der seltsamen Verwebung von kommunistischer und kapitalistischer Kultur. Krakau dagegen hat eine unzerstörte Altstadt als lebendiges Zentrum und bietet im Gegensatz zu Olsztyn an jeder Ecke zahlreiche Kulturevents.
Nach diesen ganzen langen Busfahrten war ich über Irinas Einladung zu einer kleinen Radtour sehr froh, um etwas die nahe Umgebung Olsztyns zu erkunden. Ich lieh mir also Lauras Fahrrad und trotz der dunklen Regenwolken sind wir optimistisch gestartet. Nach einem kleinen Picknick an einem Fischteich gerieten wir noch in ein niedliches Dorfevent zu polnisch-ungarischen Freundschaft. Nach einer kleinen Militärparade mit Schießübung (ich glaube, ich kann mich als Deutsche nie an diese andere Auffassung von Nationalstolz gewöhnen) gab es Vorführungen von traditionellen Volkstänzen und Versuche derselben des lokalen Kindergartens. Außerdem hatten die Dorfmütter einen köstlichen Kuchenstand vorbereitet und ich habe mich tatsächlich etwas auf Polnisch unterhalten!
Dann folgte im Mai erst einmal ein bisschen Zeit in Olsztyn, was nicht bedeutet, dass sie weniger ereignisvoll gewesen wäre. Einerseits war schließlich Europawahl, für die ich mein eigenes kleines Projekt vorbereitet habe – die Fotos dieser Ausstellung findet ihr in den vorherigen Blogeinträgen.
Das Highlight des Jahres war für uns die Kortowiada, das Studentenfestival auf dem Unicampus. Leider konnte ich am Vormittagsprogramm nicht teilnehmen, aber jeden Abend gab es kostenlose Konzerte in Kortowo, dem Univiertel. Zugegebenermaßen war wohl polenweit die größte Attraktion, dass der Alkoholkonsum im Freien erlaubt – was dann auch in extremen Maßen ausgenutzt wurde. Die Obdachlosen kamen mit dem Einsammeln der Bierdosen gar nicht hinterher.
Trotzdem haben wir uns am nächsten Wochenende wieder an den (noch immer verdreckten) Kortowo-See getraut. In dieser kurzen Hitzeperiode im Mai habe ich die Seen im Stadtgebiet wirklich lieben gelernt. Was gibt es schöneres, als jeden Tag mit einem großen Obstkorb und Gitarrenmusik sich am Wasser zu sonnen?
Als wir dann schließlich eines Abends litauisches Bier probierten, setzten wir die dabei spontan entstandene Idee um, und fuhren auch noch nach Vilnius. Es war nur ein sehr kurzer Wochenendtrip, aber die Stadt begrüßte uns im strahlenden Sonnenschein. Wie schon in Riga hatte ich den Eindruck, dass das Baltikum voller attraktiver, sehr westlich orientierter junger Menschen ist. Die komplett sanierte Altstadt strahlt den stolzen Reichtum grade zu aus. Auf einem Folkloremarkt probierten wir typisches Essen, sahen die Vorführung von Trachtentänzern und bestaunten filigrane Schmiedearbeiten. Die Wohnung unseres Couchsurferhosts war zwar etwas merkwürdig, aber dafür trafen wir eine nette andere Zufallsbekanntschaft. Dieser Litaue, dessen Namen ich mir leider einfach nicht merken konnte, chauffierte uns noch zu einem Schloss in der Nähe, wo wir die Zeit des Sonnenuntergangs mit einer Tretboottour verbrachten.
So viele intensive Erlebnisse in so kurzer Zeit! Gut, wenn man diesen langen Bericht liest, ist doch so einiges passiert. Umso glücklicher bin ich, dass ich noch länger bleibe und den ganzen Sommer in den Masuren erleben werde. Vielleicht hilft das ja auch meinem weiterhin kümmerlichen Polnisch…
Liebste Grüße nach Hause, nach Deutschland!