On air en France
Eine französischsprachige Radiosendung in Frankreich ohne Unterstützung von französischen Teilnehmern vorbereiten und moderieren: Cocosjuli hat sich Einiges vorgenommen.
Während der diesjährigen Sommerferien hatte ich mir etwas besonders Interessantes vorgenommen. Und zwar ging es um ein Projekt des Interkulturellen Netzwerkes mit dem Titel " Radio Trinational". Dem Konzept nach war die Idee ein Radioprojekt französischer, rumänischer und deutscher Jugendlicher in St. Julien Molin-Molette, einem kleinen französischen Künstlerdorf in der Nähe von Lyon.
Schon Wochen davor konnte ich an nichts anderes mehr denken als an das zehntägige Abenteuer. Als der Tag der großen Reise gekommen war konnte ich es kaum erwarten, mit gepacktem Rucksack am Berliner Ostbahnhof zu stehen und in den Nachtzug nach Paris zu steigen. Dort bekam ich kein Auge zu vor Vorfreude. Und als ich den Zug nach elfstündiger Fahrt endlich verlassen durfte, fand ich mich im verregneten Paris wieder.
Aber das Wetter verdarb mir die Laune nicht und zwei Stunden später saß ich auch schon im TGV Richtung Lyon. In Lyon erlebte ich leider eine böse Überraschung, denn mein Bus, der mich nach Annonay bringen sollte, fuhr nicht wie erwartet drei, sondern sechs Stunden später! Also erkundete ich, bepackt mit Rucksack und Taschen, den Gare de Lyon. Inzwischen kenne ich jedes Kaffee in der näheren Umgebung des Bahnhofes, habe mein Lieblingskaffeegetränk Nocciola (Espresso mit Nussaroma!) entdeckt und weiß, dass man sich von den baggernden Typen vor dem Eingang fernhält.
Total verschwitzt und fertig - immerhin waren es ungefähr 36°C im Schatten - saß ich schließlich im Bus nach Annonay und wurde nach der etwa einstündigen Fahrt von der netten Herbergsmutter Annette abgeholt und mit dem Auto nach St. Julien gefahren. Insgesamt brauchte ich für die Strecke Berlin-St. Julien 26 Stunden und war total froh, als das Auto vor einem großen, alten Mehrfamilienhaus anhielt.
Auf der gemütlichen Terrasse, in deren Ecke sich eine kleine Bar aus Strohmatten, Windspielen und einem kleinen Tisch befand, saßen auch die Anderen: Fünf deutsche Mädels und sieben Rumänen (unter denen sich auch ein renommierter Journalist befand) lernte ich kennen, sowie die Bewohner des Hauses und das halbe Dorf. Das hört sich viel an, es sind aber kaum mehr als 50 Leute. Nach wenigen Minuten Smalltalk löste sich der Sitzkreis auf und alle gingen nach und nach ins Bett.
Am nächsten Morgen weckte mich die wunderbare, südfranzösische Sonne mit zarten Strahlen. Voller Freude über meinen ersten Tag beim Radio hüpfte ich aus dem Bett und saß Minuten später, zusammen mit den Anderen, zur Teamsitzung auf der am Abend zuvor entdeckten Terrasse. Bei Baguette, Milch mit Pfeffisirup und La Bonne Vache (Käse) wurde das Konzept erklärt und die Rollen verteilt.
Es ging darum, den Bewohnern des Dorfes und der Nachbardörfer drei jeweils einstündige Radiosendungen mit einem bunten Unterhaltungsprogramm zu präsentieren. Da die Moderatoren gerade Sommerpause hatten und das Radio über die heißen Sommermonate deshalb nur Playlists spielte und Infos sendete, hatten wir die Chance, kreativ und aktiv zu werden. Der Name der Sendung wurde erfunden: " Rogerfra". Ab sofort waren wir also Mitarbeiter des Senders " Radio D´Ici", bei der Sendung " Rogerfra".
Da leider entgegen dem ursprünglichen trinationalen Konzept keine Franzosen dabei waren, nahmen wir die Hilfe der Übersetzerin und des rumänischen Journalisten in Anspruch, denn schließlich sollte ja alles auf Französisch sein!
Nach der Einweisung und Rollenverteilung- ich bekam prompt die Rolle der Moderatorin! - machten sich alle eifrig ans Werk. Reportagethemen wurden gesucht, die Räumlichkeiten besichtigt (zwei Schnittstellen und ein Studio) und Gruppen gebildet, denn jeder hatte neben seiner Aufgabe als Wetter- und Nachrichtensprecher, Techniker, Moderator, Musikmanager, oder Redakteur/Chef noch aufbekommen, mindestens eine Reportage oder ein Interview vorzubereiten - allein oder mit anderen.
Einen Tag später, um Punkt 17.00 Uhr, war es soweit und der Jingle "Roogeeeerrrfffra" war auf 105.7 FM zu hören. Das Programm beinhaltete Interviews mit Chansonsängern und Bands der Umgebung, eine Reportage über den im Dorf gastierenden Zirkus, Info, Météo und jede Menge Musik. Dazwischen war meine Stimme zu hören und bereits bei der Begrüßung und Vorstellung des Konzepts (wie zum Teufel kann man "cent cinq point sept" ohne Stottern sagen?) verhaspelte ich mich vor lauter Aufregung - die erste Radiosendung meines Lebens! Nervös rutschte ich auf dem Studiostuhl hin- und her und konnte mich irgendwie nicht konzentrieren.
Als der abschließende Jingle verklungen war, atmete ich zwar auf, war aber den Tränen nah. Das es SO schwer war eine Sendung zu moderieren, hätte ich mir nie erträumt, Schon platzen alle meine Glanztraumbilder als zukünftige Journalistin wie Seifenblasen.
Beim Abendbrot aber lobte uns Direktor Louis! Abgesehen von normalen Anfangsfehlern wie kurzen Blanks, Versprechern und Anderem hatten wir unsere erste Sendung hervorragen gemeistert, meinte er.
Für die Zukunft nahmen wir uns also vor, genauer zu arbeiten. In den nächsten zwei Sendungen, von der eine wiederum von mir moderiert wurde, bereiteten wir viele Reportagen vor: einen Slang-Report mit rumänischen, deutschen und französischen Schimpfwörtern, einen Bericht über das Palais du Facteur Cheval (der französische Briefträger Cheval errichtete vor Jahren ein Schloss mit Steinen aus aller Welt, sieht aus wie eine Kleckerburg ;) ), einen Beitrag zum Thema Fliegen (zu was taugen sie, wie betitelt man sie und hassen/lieben die Dorfbewohner diese kleinen schwarzen Surrtierchen- seeehr komisch!) und, und, und.
Es fiel mir auf, wie schwer es doch war, die Reportagen zu schneiden und sich mit anderen zu arrangieren, da jeder ein anderes Bild der "perfekten nächsten Sendung" im Kopf hatte und einige nur schwer Kompromisse schließen konnten, was die Zusammenarbeit erschwerte.
Nach jeder Sendung gab es eine Auswertung und ein dickes Lob vom Direktor und wir saßen abends stolz an der " Bar" und ließen uns von den Dorfbewohnern in den höchsten Tönen loben. Sogar die nette Madame im Lebensmittelladen um die Ecke war inzwischen ein Fan von Rogerfra geworden.
Als Belohnung für die gelungenen Sendungen fuhren wir an einem Abend in ein noch höher gelegenes Dorf namens Tence, um uns dort, vor der Kulisse der untergehenden Sonne und der Berge, ein wunderschönes Chansonkonzert des Dorfmusikers Julien und der Herbergsmutter Annette anzuhören.
Da ja auch der schönste Workshop einmal zu Ende gehen muss, hieß es schließlich Abschied nehmen. Alle bekamen ein Zertifikat (unterschrieben von Louis persönlich), eine Infomappe übers französische Radio und Tipps zum Weitermachen.
Der Rückweg verlief Gott sei Dank ohne überlanges Warten und ich verbrachte zum Abschluss noch einen wunderschönen Tag in meiner inzwischen am meisten geliebten Stadt Paris. Als ich am Ostbahnhof aus dem Nachtzug ausstieg - ich hatte die Fahrt an der Bar des Zuges mit Leuten aus aller Welt verquatscht und wäre beinahe mit dem sich abkuppelnden Teil des Zuges nach Hamburg gefahren - kroch der Gestank Berlins in meine Nase und ich musste tottraurig feststellen, zwar eine wunderbare Zeit im charmanten und fabelhaften Frankreich verbracht zu haben, aber leider wieder in den grauen Alltag zurückkehren zu müssen.
In Berlin kam dann auch das böse Erwachen, ich hatte in der Stadt der Liebe meinen gesamten Kram - Bücher, Tagebuch und Radiomappe samt Zertifikat - vergessen, alles lag auf dem Wohnzimmertisch meiner Freundin in Paris.
Abschließend ist zu sagen, dass solch ein Workshop einfach DIE Chance ist, neue Erfahrungen zu machen, nette Leute kennen zu lernen und den Geruch des Journalismus zu schnuppern. Ich bin meinem Zukunftsjob als Journalistin etwas näher gekommen und suche jetzt nach Möglichkeiten, hier in Berlin weitere Erfahrungen in diesem Bereich, ob nun beim Radio, beim Fernsehen oder bei der Zeitung, zu machen. Für Tipps bin ich dankbar ; )
Eure cocosjuli