Obdachlosigkeit in Irland und wie ich sie erlebt habe
... möglicherweise eins der größten Probleme des Landes
Während meines Aufenthalts in Irland habe ich für eine Organisation gearbeitet, die versucht den Obdachlosen Irlands zu helfen, sowohl aber auch das allgemeine Problem und die Ursachen zu beheben. Cork Simon Community besteht seit 1971 und ist damit ein Teil der Simon Communities in Irland (siehe meinen Artikel Simon Community auf Youthreporter).
Bevor ich nach Irland kam hatte ich keinerlei Erfahrung mit der Arbeit mit Obdachlosen oder hilfsbedürftigen Menschen im Allgemeinen. Und auch wenn ich früher immer versucht habe, Menschen gegenüber neutral und offen, d.h. vor allem ohne Vorurteile gegenüber zu stehen, wurde auch mein Denken durch allgemeines Klischee-Denken beeinflusst.
Obdachlosigkeit in Irland ist eins der größten Probleme, die das Land hat. Nicht nur das große Drogenproblem Irlands ist Ursache hierfür, sondern auch der Wohnungsmarkt. Keine passenden Wohnungen verfügbar, Hypotheken zu hoch, Vermieter pleite. All das sind Gründe, weshalb Obdachlosigkeit sich eher ins Negative entwickelt, als wirklich einen Fortschritt zu machen – und das obwohl viele Stimmen laut wurden und Wohltätigkeitsorganisationen nach staatlichen Maßnahmen verlangten. Anfang des Jahres wurden 769 Familien mit über 1570 Kindern obdachlos gemeldet worden … allein in Dublin.
„Die Obdachlosen seien ja selber schuld, wenn sie auf der Straße landen, das ist mehr eine Entscheidung als ein wirkliches Schicksal“ oder auch „Ich gebe ihnen definitiv kein Geld, nur damit sie sich davon Drogen und Alkohol kaufen können.“ waren nur einige bekannte Sätze, die fielen, wenn ich mich mal in einer Großstadt aufhielt. Hier, wo ich herkomme, aus einem kleinen Ort in Deutschland, findet man eigentlich keine Menschen, die auf offener Straße übernachten. Dennoch fand ich die Arbeit hörte sich an, als könnte ich etwas Gutes tun. Ich informierte mich also vor meinem Interview über die Situation, bekam die Stelle und wurde dann nach Irland geschickt, ohne je mit der realen Welt konfrontiert gewesen zu sein. Nicht nur, dass ich jetzt auf eigenen Beinen stand – zum ersten Mal in meinem Leben, sah ich auch Dinge, die ich vor allem in der Anfangszeit nicht einfach so auf Arbeit lassen konnte. Ich traf auf herzensgute Menschen, die mir ihre Lebensgeschichte erzählten, was mir in jenen Momenten einfach nur das Herz brach. Ich erinnere mich an viele Abende, an denen ich mit meinen „residents“ am Tisch saß und jemand war, dem sie Dinge anvertrauten. Ich baute Bindungen zu diesen Menschen auf, schloss sie in mein Herz und wollte den jetzigen Alltag für sie so schön wie möglich gestalten. Meine Einstellung zu Menschen änderte sich komplett. Ich lernte zum einen, dass es nicht immer nur schwarz und weiß gibt. Natürlich möchte man nicht, dass das Geld, was man einem Bettler auf der Straße gibt, in Alkohol oder Drogen investiert wird, andererseits kann man diese Menschen auch nicht nur verurteilen, für den Weg, den sie gegangen sind. Ab irgendeinem Punkt, Alkohol zu konsumieren, damit einem etwas wärmer ist, wenn man im Winter auf der Straße übernachtet, ist vielleicht nicht die klügste Entscheidung, aber definitiv auch auf einer menschlichen Ebene verständlich, oder? Suchtkrankheiten können nicht einfach verboten werden, genauso wie Gewohnheiten nicht innerhalb von zwei Tagen einfach abgelegt werden können.
All das, was ich mir vornahm, bevor ich nach Irland ging, gelingt mir jetzt, ohne dass ich wirklich was dafür tat. Ich stand plötzlich jedem einzelnen Menschen ohne Vorurteile gegenüber. Ich hatte plötzlich mit jedem Obdachlosen, in jeder Stadt, die ich besuchte, Mitgefühl zu haben. Ich begann die Menschen, die ich kennen lernen durfte und die ich in mein Herz schloss und somit auch die Gefühle, die ich für sie hegte, auf jeden andern Menschen zu projizieren. Ich lernte, dass Obdachlosigkeit jeden treffen kann und niemals verdient ist. Diesen Satz hörte ich vor dem Beginn meiner Arbeitszeit oft und lernte ihn durch meine Arbeit zu verinnerlichen.