Notizen
"Ich bin doch schnell in Warschau an- und, leider, über Lodz weggekommen." Johannson hat sich eingelebt und wird vor allem von der Arbeit in Anspruch genommen. Dennoch gibt es Zeit für einen Besuch.
1. Arbeit
Analysebüro
Im Parlament weiter keine Arbeit. Kollegen ausgesprochen nett, erklären einem alles, haben sogar einen sechsten Sinn was ich wissen will, ich brauch nichtmal fragen. Aber vermutlich zu jung um Praktikanten zu führen. Eine wahrscheinlich sogar jünger als ich. Ohne Zweifel bemüht man sich um uns. Der Chef des Analysebüros persönlich hat auf Bitten unseres Büros bei uns angerufen und stellt mir ein ganzes Programm intensiver Treffen mit den Analysten zusammen, also den Leuten, wegen denen ich mich hierfür beworben habe, die Ahnung haben was gerade wirklich läuft in diesem Land.
Fraktionsbesuche
Insbesondere die Leute, die selbst Praktikum im Bundestag gemacht haben, kümmern sich um uns, auch wenn sie eigentlich gar nicht zuständig sind. Zum Beispiel werden Besuche in den einzelnen Parteifraktionen organisiert, erst bei der PO und auf meine Initiative hoffentlich auch mal bei der PiS.
Experten & Ahnungslose
Und es ist nicht so, dass es nicht interessant wäre. Letztens lud uns der Ausschuss für Außenbeziehungen zu einem informellen Treffen, um unsere Erfahrungen zum Polnischangebot in Deutschland einzuziehen. Am nächsten Tag kam nämlich eine Delegation ihres Gegenüber im Bundestag, wo das besprochen werden sollte. Heute abend war eine Konferenz zum Ostpartnerschaft der EU, mit massivem gratis Abendbrot hinterher.
Mit unserem Praktikantenkärtchen haben wir praktisch Narrenfreiheit im Sejm, können überall rein, uns alles angucken, Ausschüsse und Unterausschüsse, wenn sie tagen, und wenn nicht, gibt es immer die Untersuchungsausschüsse zur allgemeinen Unterhaltung, wenn einem mal eine halbe Stunde langweilig ist, wo niemand niemals nichts wusste und auch keiner jemals für etwas verantwortlich war und gelangweilte Kameramänner neben ihren Maschinen schlafen. Aber man guckt eben nur und tut nichts.
Mein Abgeordneter
Endlich habe ich meinen Abgeordneten kennengelernt. Verabredungen für ein echtes Gespräch aber immer wieder verschoben. Sehr nett, sehr engagiert, sogar extrem kompetent. Ehemaliger Richter; ich habe kein Ahnung von Recht. Nimmt mich hoffentlich mal mit ins Verfassungsgericht. Ich versuche gerade einen Überblick über seine vergangenen und derzeitigen Projekte zu gewinnen.
2. Leben
Auch ohne Arbeit hat das Praktikum den gewünschten Effekt. Ich stehe früher auf und erledige endlich mal wichtige Aufgaben mit halbwegs akzeptabler Disziplin. Ich bin doch schnell in Warschau an- und, leider, über Lodz weggekommen. Weiterhin nicht begeistert, aber zu beschäftigt für Melancholie. Bei Sonne sogar ab und zu Farben. Ich gehe aber wenig in Kirche und zum Salsa. Ersteres ist schade, weil man sich auf Ostern vorbereitet und bereits überall Osterglocken verkauft werden. Jesus ist bereits überall verhüllt. Letzteres ist unmöglich, da ich zwar einen guten Kurs aber keine bezahlbaren Übungsmöglichkeiten habe. Letztens habe ich gelesen, dass Warschau nach dem Krieg so kaputt war, dass die Hauptstadt im ersten Jahr nach Lodz verlegt wurde.
3. Wohnen
Das Wohnheimzimmer bereitet keine Melancholie mehr. Ich lerne die Etage schnell kennen, Deutsche, Spanier, Iberistikerinnen, Germanistinnen und weiter oben wohnt noch mein Vorgänger, ein Mongole, der noch seine Doktorarbeit schreibt. Eine Toruner Ärztin auf Fortbildungbesuch hat mir versichert, dass die Angina ganz sicher vorbei ist. Im Nebengebäude hat die die geologische Fakultät einen Brunnen angelegt für Anwohner. Vier Hähne sauberes Wasser aus 269 m Tiefe.
4. Daria
Nachdem mein eigener Besuch in Wroclaw immer wieder verschoben wurde, kam am Freitag Daria überraschend zu mir, und zum ersten Mal nach Warschau. Ein echter Blitzbesuch, sechs Stunden im Zug, eine Nacht hier, sechs Stunden zurück. Dabei wurde dem Gastgeber auch rigoros der eigene Tagesrhythmus übergeholfen, 21 Uhr ins Bett und 5 Uhr aufgestanden! Ganz Warschau in drei Stunden durchrannt, mit Fazit, dass Daria von der Stadt Bauchschmerzen kriegt. Dabei hab ich ihr schon nur die schönen Seiten gezeigt.
Nachdem sie dann wieder nach Schlesien gestürmt ist, habe ich noch meine eigene Tour gemacht, ins ehemalige Gestapohauptquartier auf der Szucha und einem der schöneren Orte hier, dem Neustädter Marktplatz. Dabei lief ich auch in ein Konzert ukrainischer Liturgie. Sonntag war ich dazu in der Messer der Orthodoxen auf der anderen Flussseite. Die katholische Ostermesse "Bitterer Schmerz", also die mit Licht aus und Kreuzweg-Ablaufen aus dem letzten Jahr, habe ich leider verpasst, weil ich zu dumm bin Plakate zu lesen.