Norge 2010 - März bis Juni
Russetid - das ist ein Monat, in dem in Norwegen alle Abschlussklassen Narrenfreiheit genießen. Doch das Ganze will gut "organisiert" sein. Mojo_jojo aus dem Land des Chaos!
Mitte April ist mein bester Freund zu Besuch gekommen, als erster Besucher überhaupt, was natürlich ganz, ganz toll für mich war. Ich konnte ihm meine heurige Heimat zeigen, und wir trafen uns in Bergen, damit wir nicht nur Landluft schnuppern mussten.
Danach sind wir mit dem Expressboot nach Nordfjordeid gefahren, und sind von dort aus ans Vestkapp und dann auch gleich zum Kannestein und auf die Selje-Insel gefahren, wo alte Klosterruinen zu finden sind. Dieser Ausflug war wirklich ganz besonders schön. Wir haben uns das Auto meiner Chefin ausgeliehen und haben dafür einen coolen Roadtrip-Soundtrack dazugekriegt, besonders haben uns die alten The Who-Kassetten gefallen :), die mit der guten Klangqualität.
Außerdem waren wir beim Gletscher, und haben da eine kleine Wandertour gemacht. Sonst habe ich ihm mein Dorf und alle wichtigen Dinge dort gezeigt und ihn auch ein paar mal zur Arbeit mitgenommen.
Seine Abreise war dann leider nicht so reibungslos, da er genau in der Zeit der Aschewolke kam. Er musste deswegen fast die ganze Strecke von Oslo nach Österreich mit dem Zug bestreiten, was teuer und aufwändig, vor allem aber total umständlich war.
Wieder eine Woche später bekam ich Besuch von einer deutschen Freiwilligen, Vicky, die in Dale i Sunnfjord in der "vidaregaaande skule" stationiert ist. An dem Wochenende musste ich zwar arbeiten, aber sie hat einfach mitgeholfen, dadurch hat sie gratis Eintritt und so bekommen. Bei uns fand nämlich das Bundeslandfinale vom Jugendkulturwettbewerb statt. Und ich muss sagen, die Norweger sind vielleicht talentiert! :) Ich bin ziemlich neidisch geworden. Valerie war zu dieser Zeit in Trondheim auf Schwimmwettkampf. Ich sollte eigentlich am Sonntagabend nach Trondheim, aber es gab dumme Komplikationen mit der Übernachtung weswegen wir dann doch nicht gefahren sind.
Mittlerweile ist in Norwegen die "Russetid" (Russzeit) ausgebrochen. Russ (ausgesprochen rüss) ist ein aus dem lateinischen abgeleiteter Begriff für die Abschlussklasse, bzw. die Zeit zwischen dem 17. April - 17. Mai (Nationalfeiertag).
In dieser Zeit genießen die norwegischen Abschlussschüler (sowohl des Gymnasiums als auch die der Berufsschulen) absolute Narrenfreiheit. Man kann sich das Ganze als eine Ein-Monats-Party vorstellen. Die Schüler haben erst danach ihre großen Prüfungen, müssen also noch in die Schule gehen, aber dort dürfen sie sich fast so aufführen wie sie wollen.
Für das Ganze gibt es ein Komitee, das diverse Sachen entscheiden bzw. organisieren darf/muss. Zum Beispiel gibt es auch ein eigenes Verzeichnis mit Streichen, die gemacht werden dürfen (fast schon sollen). Es gibt also 100 Streiche, die mehr oder weniger peinlich, schwierig oder böse sind. Das reicht von "100 Leute in einer Stunde umarmen", über "25 Bier am Tag trinken" bis hin zu "Nackt durch die Hauptstraße laufen".
Nun gut, warum so was denn machen? Für jeden durchgeführten Streich darf man sich etwas (irgendeinen Gegenstand) an den Quastenfaden der Russhaube knoten. So kann man verdeutlichen, wie brav oder schlimm man seine Russezeit verbracht hat.
Das Ganze wird allerdings dann zum Wettbewerb, da eine Gruppe oder ein einzelner etwas gewinnen kann. Eine Gruppe wird dadurch definiert, wenn sich mehrere zusammenschließen und zusammen ein Russauto besitzen. Das sind große rote Transporter oder Kleinbusse, die sich durch Sponsornamen, Russenamen oder Auto-Spitznamen in weißer Schrift auszeichnen. Man könnt's auch Partybus nennen, da meistens laute Musik aus den Fenstern dröhnt.
Nicht jeder hat ein Russeauto, aber die, die eins haben, können wirklich damit angeben (auch in mir wurde plötzlich der sehnsüchtige Wunsch wach, ein Partymobil zu besitzen, das Ganze ist also ziemlich beeinflussend).
Der 1. Mai ist in den meisten europäischen Ländern für Proteste oder Märsche bekannt, hier in Norwegen wird in der Nacht vom 1. Mai die erste große Russparty geschmissen. Bei uns war die im Park, mit einem ziemlich großen Aufstell-Zelt.
Das Ganze hatte was von Dorf-Party, allerdings war das echt cool. Leute, die man normalerweise brav in der Schule herumgehen sieht, sind ausgelassen, meistens stark betrunken, überraschend zutrauend (wobei sie sich am nächsten Tag an nichts davon erinnern können) und tanzen tun sie sogar auch. Die Musik kommt natürlich aus dem Auto, aber mit großen Verstärkern, Alkohol wird natürlich selbst mitgebracht und Freundschaften für einen Abend geschlossen.
Valerie und ich, als Nicht-Russler und Nicht-Norweger hatten natürlich nicht die totale Einbindung, durften aber feststellen, dass die Fremdsprachenkenntnisse von Schülern (besonders in deutsch) proportional mit dem Alkoholspiegel zunehmen (Valerie war wirklich plötzlich ganz stolz auf ihre Deutschschüler).
Wir hatten wirklich viel Spaß, da es eines der ersten Feste war, die unserer Art ähnlich waren, weswegen wir uns eigentlich sehr wohl gefühlt haben.
Eine Woche später, am 8. Mai, allerdings fühlten wir uns nicht so wohl. Dies ist nämlich der Tag, an dem Norwegen 1945 von den Deutschen Nationalsozialisten befreit worden war, und auch wenn wir doch nicht mehr die Generation sind, die das betreffen sollte, fühlten wir uns ein wenig seltsam, bei einer Feier (ja, wie alles dieser Art, wurde auch der Befreiungstag gefeiert) zur Erinnerung dieses Ereignisses mitzuhelfen.
Nun gut, wie schaut so eine Feier aus? Mit Umzug, voran das Rote Kreuz (8. Mai ist auch Tag des roten Kreuzes), dahinter Militär (was meiner Meinung immer irgendwie... gewisse negative Reize auslöst, aber Norwegen ist leider einfach militärisch), die Bürgermeisterin, und liebe kleine Mädchen, die mit Stöckchen herumwerfen.
Ja, dieser Umzug, geht durch das Dorf und kommt dann zu einer Gedenkstätte des 2. WK. Dort werden Ansprachen gehalten, die Nationalhymne gesungen und noch ein paar Reden geschwungen. Ich durfte Fotoreporter spielen, für die örtliche Zeitung, da der Wochenend-Redakteur beim Fußballspiel war (interessante Prioritäten, aber mir hat's Spaß gemacht). So sind also sechs von meinen acht Fotos in der Zeitung am nächsten Tag gekommen, überall mit meinem Namen versehen. :)
In der Woche danach sind meine Eltern zu Besuch gekommen. Sie sind am Mittwoch in Oslo gelandet und haben dort drei Tage verbracht, bevor sie mit dem Zug eigentlich (dank einer Lawine mussten sie aber dann auf den Bus umsteigen) nach Bergen gekommen sind, wo ich sie getroffen habe. Das war am Sonntag.
Montag war der absolut wichtigste Tag im ganzen Jahr: Nationalfeiertag! Österreicher, aber auch Deutsche assoziieren Nationalfeiertag nur mit freiem Schultag und eventuell einer Ansprache des Bundespräsidenten. Nun gut, die Norweger, als sehr junge unabhängige Nation, feiern diesen Tag, als wären sie gerade erst wieder von den deutschen Truppen befreit worden.
Im ganzen Land, in jedem Dorf und jeder Gemeinde passiert etwas. Jede Gemeinde hat ein Nationalfeiertagskomitee, es gibt ein festes Programm, meistens nicht nur einen, sondern zwei oder drei Umzüge (einen Hauptumzug und einen für die Kinder, eventuell auch einen mit Flaggen am Abend).
In ganz Norwegen werden um 7 Uhr früh die ersten Schüsse abgegeben, sprich das ganze Land aufgeweckt, und die Flagge um 8 Uhr gehisst. Ohne Flagge bestückt auf die Straße zu gehen, ist quasi rechtswidrig, also mindestens eine kleine Flagge in der Hand zu haben ist schon Pflicht.
In Bergen dauerte der Hauptumzug ca. drei Stunden, schließlich gibt es jede Menge Sport,- Musik-, Studenten-, aber auch andere Vereine, die alle mitgehen dürfen. Das Land feiert sich selbst, auch bei mir sind die patriotischen Gefühle für Norwegen an dem Tag enorm gestiegen.
Menschen, die nicht original norwegisch sind, feiern mit, oder ihr eigenes Land (was oft zu Diskussionen führt kurz vorm 17. Mai). Die Russen feiern ihren letzten Tag als Russ, sie dürfen also auch im Umzug mitlaufen, allerdings als letzte. Danach kann man überall Eis oder anderes süßes Zeug essen, meine Eltern und ich sind aber auf den Flöyen, um die Aussicht zu genießen und einen kleinen Rundgang durch Bergen zu machen.
Wir waren alle drei ziemlich beeindruckt gewesen, weil 90% des Landes auf den Beinen war. Ich war besonders von den norwegischen Trachten angetan, den Bunad, und hab mir von meinen Eltern sehnlichst eine gewünscht (so ein Teil kostet zwischen 1000 und 4000 Euro), die wiederum gemeint haben, wenn ich mich schlussendlich hier verheiraten würde, würd ich eine bekommen (sie haben sich also ziemlich gut aus der Affäre gezogen).
Wir waren aber ziemlich schnell sehr müde und haben eine 17. Mai-Mittagspause gemacht und sind erst nachher wieder ein bisschen in die Menge gegangen. Es hat Gott sei Dank nicht geregnet, aber warm war es auch nicht, was die Norweger in ihren Woll-Trachten nicht gestört hat, meine Eltern, die trotz 6x des Aufmerksammachens (5. Mai 2010, Skype-Gespräch "Aaaah, es schneit hier immer noch! Bitte nehmt ganz ganz warme Sachen mit, es ist immer noch a**** kalt da!) nur dünne Jacken mitgenommen haben, aber schon.
Am nächsten Tag sind wir über Dale (inkl. erfolgreichem Dale of Norway-Outlet Besuch) und Laerdal (längster Tunnel Europas mit 25 km) nach Nordfjordeid gefahren.
Am Mittwoch hab ich gearbeitet, während meine Eltern ans Verstkapp gefahren sind, und am Donnerstag sind wir nach Alesund, und am Freitag ging es nach ausführlicher Nordfjordeid-Tour (mit Schule, Frivilligsentralen und anderen wichtige Plätzen) Richtung Geirangerfjord, wo wir mit schönem Wetter eine atemberaubende Schifftour durch den Unseco-Fjord genießen durften.
Angekommen in Geiranger-Dorf, haben wir ein spektakuläres Ablegemanöver der MS Deutschland miterlebt. Der Kreuzer konnte nämlich nicht wirklich den Anker einholen, was gar nicht gesund für Schiff und Anker ausgesehen hat. Mir wurde später mitgeteilt, dass das Schiff in Alesund wegen eines Motorschadens evakuiert werden musste... scheint also nicht der beste Trip für das Schiff gewesen zu sein.
Wir sind über eine wirklich spektakuläre Straße in den Schnee zurück über den Strynberg gefahren (die gerade erst geöffnet wurde, es lagen nämlich noch ca. zwei Meter Schnee auf der Seite), und die Temperaturen sind wirklich langsam auf die 20 °C gestiegen (und mir die ersten Schweißperlen auf die Stirn).
Am Samstag hat meine liebe Mutter mich ein bisschen gecoached, weil es für mich bald für's Aufnahmeverfahren nach Österreich ging. Am Nachmittag sind wir aber nach Sandane ins Volksmuseum, und haben die letzten gemeinsamen Stunden genossen.
Am Sonntag sind die beiden dann Richtung Bergen gefahren, um am Montag in der Früh nach Österreich zurückzukehren. Ich packte daweil meinen Koffer, da ich mit dem Nachtbus nach Oslo, auch Richtung Österreich, sollte. Die ganze Situation war wirklich seltsam, aber dafür war's nicht so schwer, meine Eltern in Norwegen zu verabschieden.
Am Sonntag stand aber plötzlich die MS Fram von der Hurtigruten-Flotte bei uns im Fjord, was wir gleich mal 100-fach fotografiert haben, weil wir es nicht für möglich halten konnten.
In Österreich bin ich genau vier Tage gewesen, zwei davon ganz konzentriert auf der FH in St. Pölten, um mich dort für drei Studiengänge zu bewerben, die da wären "Medien und Kommunikationsberatung", "Medienmanagement" und "Soziale Arbeit".
Wobei mir das Letztere am meisten zusagt, einfach aus allem, was ich in diesem Jahr gelernt hab. Beide Tage waren ganz ok, nicht besonders schlecht und nicht besonders gut, aber jetzt heißt's einfach warten. :)
30. Mai ging es bei uns in der Wohnung ziemlich seltsam zu. Mit einer deutschen Mitbewohnerin, die nach dem Eurovision Songcontest außer Rand und Band war, hatten wir es sehr sehr lustig.
Vor der Punktevergabe haben wir eigentlich nur aus Spaß (weil wir nicht erwartet hatten, dass Deutschland gewinnt) ausgemacht, falls Deutschland gewinnt, würden wir nächstes Jahr zusammen im Publikum sitzen. Nun gut, ich fürchte, ich muss bald Flugticket und Karte bestellen. :)
Am 1. Juni hatten wir in Norwegen unseren Norwegisch-Test. Das ist so ein Bergenstest (vergleichbar mit Cambridge Certificate) auf Level B1. Das war, weil ich schon Ewigkeiten nicht beim Norwegischunterrricht war, gar nicht mal so leicht wie ich erhofft habe, vor allem der schriftliche Teil. Auch diese Ergebnisse bekommen wir drei erst im Juli - also wieder warten. :)
Als neuer internationaler Fan von norwegischem Rap / Hip Hop, hab ich spontan meine deutsche MB als auch Vicky aus Dale motiviert, mit mir nach Förde zu fahren, um dort auf's Karpe Diem Konzert zu gehen.
Und vielleicht war es wegen der mangelnden Abendaktivitäten in meinem Dorf, aber das Konzert war wirklich sehr, sehr gut, die zwei Osloer Sänger haben eine super Show gemacht (von der ich mir sicher bin, dass der Großteil des norwegischen Publikums das gar nicht wertzuschätzen schien) und das neue Album wirklich gut rübergebracht (weswegen ich's mir gleich am nächsten Tag gekauft hab).
Wir sind mit dem Schulauto gefahren, voll gepackt mit Plakaten und Festivalzeitungen, da ja bald unser Rockfestival über die Bühne gehen wird, und wir Teil des Promotion-Teams sind. Wir sind jetzt alle ausgestattet mit coolen, kuscheligen Sweatshirts und normalen T-Shirts, mit denen wir Malakoff omnipräsent machen dürfen.
Auf's Festival selbst freue ich mich nicht so besonders, weil's in erster Linie Rock Musik ist, das heißt in Norwegen viel Metall, was nicht unbedingt mein Geschmack ist, aber da auch andere Freiwillige, die wir vom On-Arrival kennen, sich dort als Freiwillige gemeldet haben - sprich wir kriegen Besuch, und weil wir gratis zuschauen dürfen, wird's wohl schon ziemlich cool werden - als letztes großes Event vor unserer Abreise am 10. August.
Zur Zeit gehen gerade die letzten Schultage über die Bühne, und somit auch unsere ersten "letzten Male", da viele unserer Aktivitäten an Schultage gebunden sind. In den Ferien werden wir uns besonders mit Malakoff als auch mit der Arbeit beim Nationalen Volkstanzfestival beschäftigen. Uns wird also nicht langweilig werden.