Nordirland zwischen Frieden und Konflikt - Teil 1: Geschichte
Bevor ich einen EFD Platz in Belfast bekam, wusste ich relativ wenig über den Nordirlandkonflikt – im Sozialkundeunterricht hieß es, dass der Konflikt vorbei sei und wir ihn deshalb nicht für die Konfliktanalyse auswählen sollten und im Englischunterricht hörte man etwas von britischem Kolonialismus und Protestants und Catholics.
Und dennoch wurde Belfast erst kürzlich zur Stadt mit der größten Terrorgefahr in Europa ‘gekürt’ und gepanzerte Polizeiautos oder hohe Mauern zwischen einzelnen Stadtteilen sind immer noch alltäglich – gleichzeitig besitzt die Stadt aber auch eine aufstrebende Musikszene, es gibt viele Festivals und viele international Studenten.
Worum geht es hier also eigentlich? Ist das ein Religionskonflikt oder führen einen die Gespräche über “Protestants” und “Catholics” in die Irre? Was spürt man noch heute vom Konflikt und wie sieht hier die “Post Conflict Situation” aus? Wie sind Jugendliche davon betroffen und was hat das mit meinem Projekt zu tun? Und wieso fühlt man sich hier manchmal wie in einem Spezialgeschäft für Flaggen und Fahnen?
Obwohl ich mittlerweile seit über 10 Monaten in meinem zweiten zu Hause lebe, fällt es mir immer noch schwer, die Situation meinen Freunden oder meiner Familie zu Hause zu erklären und ich muss auch zugeben: für Außenstehende mag manches ziemlich banal klingen. Besonders in den ersten Wochen habe ich fast jeden Tag etwas Neues dazugelernt.
Deswegen fange ich jetzt erst einmal mit den Basics und ein wenig Geschichte an. So richtig kurzfassen werde ich mich wohl nicht können. ;)
Bereits im 12. Jahrhundert kamen englische Schiffe in Irland an und besetzten die Insel; unter Henry VIII, der übrigens auch die Kirche in England reformierte, wurde Irland England dann vollständig unterworfen und unterstand somit der englischen Krone. Im Zuge dessen wurde auch versucht, die katholischen Iren zum Protestantismus zu bekehren, notfalls mit Gewalt. Die meisten Iren blieben trotzdem katholisch, auch wenn sie ihre Religion nur noch geheim ausleben konnten. Irland war Englands erste Kolonie und die irische Bevölkerung wurde gegenüber der britischen Siedler extrem diskriminiert – sie durften ihre Religion nicht ausüben, ihre Sprache (Irisch) nicht sprechen, wurden enteignet und litten unter Hunger. Es gab sogar Fälle, in denen ihnen während der Hungersnot Kartoffeln angeboten wurden, um im Gegenzug zu konvertieren und sogar ihren Nachnamen zu ändern. (z.B. von O´Connor auf Connor) Zahlreiche Aufstände blieben erfolglos und nachdem der Adel floh, begann die sog. 'Plantation of Ulster' – ca. 100.000 schottische Siedler kamen nach Irland, v.a. in die Provinz Ulster im Norden (ein Großteil davon ist heute Nordirland), sodass sie dort nun in der Mehrheit waren. Der Norden der Insel entwickelte sich wirtschaftlich stärker und war protestantisch, während der Süden immer noch mehrheitlich katholisch, aber auch wirtschaftlich schwächer war.
Zeitsprung – während des 1. Weltkrieges kam es zu einem erneuten Aufstand (Easter Rising) der 'Home Rule'-Bewegung, die sich für eine politische Unabhängigkeit der Insel einsetzte, wogegen sich die Protestanten der Provinz Ulster massiv wehrten. 1916 wurde das Postamt in Dublin besetzt und eine provisorische Regierung ausgerufen, dieser Aufstand wurde jedoch vom britischen Militär niedergeschlagen, die Anführer wurden hingerichtet. Dies führte zu großer Sympathie und politischer Stärkung von Sinn Fein (politische Partei, die noch heute im Norden und Süden vertreten ist, dazu aber später mehr) und der IRA (Irish Republican Army; auch dazu später mehr) – Sinn Fein gewann darauf bei der Parlamentswahl 1918 80% der Sitze, nahm diese im Unterhaus jedoch nicht an, sondern bildeten ein neues irisches Parlament, welches von der britischen Regierung jedoch nicht anerkannt wurde. Es kam zum Unabhängigkeitskrieg und zu Verhandlungen – schlussendlich wurden 1921 aus 6 der 9 Counties der Provinz Ulster, Nordirland geschaffen. Die verbliebenen 26 Counties bilden die heutige Republik Irland.
Die Segregation der beiden Bevölkerungsgruppen im Norden nahm extrem zu – die britische/protestantische Bevölkerung sah sich der Gefahr ausgesetzt, dass auch Nordirland bald Teil der Republik Irlands werden würde, was zu einer Art 'Feindbild' führte.
„Catholics“ wurden beim Wahlrecht benachteiligt, was dazu führte, dass Nordirland bis 1972 durchgängig von der Ulster Unionist Party (UUP) regiert wurde, die pro-protestantisch ausgerichtet ist. Es kam außerdem zu Diskriminierung bei der Vergabe von Arbeitsplätzen oder Sozialwohnungen (teilweise lebten mehrere katholische Familien in einem Haus zusammen), Schulen waren segregiert und Ehen zwischen Catholics und Protestants gab es im Prinzip nicht. Gleichzeitig kam es immer wieder zu Gewalttaten und Anschlägen durch verschiedene paramiltärische Gruppen (auch dazu später mehr) und in den 70er/80er Jahren befand sich beinahe jeder erwachsene Mann mit katholischem Hintergrund im Gefängnis, da ihm eine Verbindung mit der IRA (Irish Republican Army) unterstellt wurde – ohne Beweise oder rechtsstaatliches Urteil. Unrecht geschah auf beiden Seiten und auch von Staatswegen aus, was aber meist nie komplett aufgeklärt oder juristisch verfolgt wurde (siehe „Bloody Sunday“, auch dazu mehr in einem weiteren Beitrag), dies führte zu einem generellen Misstrauen, ja sogar Hass, gegenüber der 'anderen Seite'. Etwa 3500 Menschen starben während des Konflikts (1969-1998), etwa die Hälfte davon waren Zivilisten.
1998 kam es zum Friedensvertrag, dem Karfreitagsabkommen (Good Friday Agreement), über welches sowohl in Nordirland als auch Irland per Referendum abgestimmt wurde. Es enthält Regelungen zur Stellung Nordirlands und gibt die Möglichkeit, dass Nordirland wieder Irland angeschlossen wird, falls dies die Mehrheit der Bevölkerung möchte. Außerdem ist die Entwaffnung der paramilitärischen Gruppen festgeschrieben, Großbritannien verringert seine Truppenpräsenz in Nordirland und auch ein neues Polizeisystem ging daraus hervor. Auch darüber werde ich später noch einmal berichten.
Um den Überblick über die verschiedenen Gruppen zu behalten, fasse ich das mal kurz zusammen:
„Protestants“
- Unionists (sehen sich als britisch, möchten weiterhin in der Union mit Großbritannien verbleiben)
- Loyalists (extremere Form; diese Gruppe steht der Krone loyal gegenüber und möchte auch weiter in der Union verbleiben, notfalls mit radikalen Mitteln)
„Catholics“
- Nationalists (sehen sich als irisch und streben die Vereinigung mit Irland an)
- Republicans (auch sie wollen ein vereintes Irland schaffen, notfalls mit radikalen Mitteln)
Hier sieht man also, dass es sich schon lange nicht mehr um einen wirklichen Religionskonflikt handelt, sondern Catholics und Protestants unterschiedliche Volksgruppen sind, die sich unterschiedlichen Staaten zugehörig fühlen.
Hier geht es weiter mit dem 2.Teil.