Nestflüchter
Der Europäische Freiwilligendienst in Ungarn war ein großer Schritt zum Erwachsenwerden. Wieso und was mich bewegt hat beschreibe ich hier!
Als ich nach Ungarn aufbrach, wusste ich, dass es alles werden würde, was ich mir gewünscht hatte. Mein Abenteuer. Als ich dann in den Zug stieg war ich unsagbar traurig. Ich dachte an all die Menschen und Orte, die ich zurückließ und fragte mich wieso ich ging. Und ich hatte Angst. Was wäre, wenn die Reise nicht nach Plan läuft? Was, wenn jemandem Zuhause etwas passiert, während ich weg bin?
Da saß ich also im Zug und war so unsicher, dass ich am liebsten wieder ausgestiegen und heimgefahren wäre. Das Nesthäkchen, das fliegen lernen will und sich im ersten Moment des Fallens frägt, wieso es gesprungen ist.
Doch dann streckte ich meine Flügel aus und spürte den Wind, der darunter fuhr.
Ich hatte mir vorgestellt, wie es wäre zu fliegen. Frei zu sein. Unabhängig von meinen Eltern. Bis zu diesem Punkt in meinem Leben war ich noch nie irgendwo alleine hingefahren. Ich genoss es, selber zu kochen, niemandem sagen zu müssen wohin ich gehe und mit wem. Aber ich stellte auch fest, dass ich das Bedürfnis hatte meine Vorhaben mit Anderen zu teilen. Als ich also mit dem Wind immer weiter aufstieg und den Flug genoß merkte ich, dass ich nicht zu hoch fliegen konnte. Die Luft wurde mir zu dünn und ich sehnte mich zurück nach Hause.
Ich bin in unserer Gruppe von Freiwilligen wohl diejenige, die ihre Familie am Ende dieser zehn Monate am meisten gesehen haben wird. Nicht zuletzt, da ich in einer Beziehung bin, von der ich wirklich will, dass sie funktioniert.
Dadurch habe ich mich ein wenig aus unserer Gruppe der Freiwilligen isoliert.
Pécs ist eine Stadt voller Leben (, solange es nur warm genug ist), die ich oftmals nicht erkundete weil ich mich für ein Skypegespräch verabredet hatte.
Einmal im Monat sehen mein Freund und ich uns persöhnlich und all diese Mühen lohnen sich, weil ich weiß, dass ich dadurch eine glückliche Zukunft mit ihm erleben kann.
Ich habe mich vielleicht nicht so auf mein Projekt hier in Ungarn eingelassen wie Andere, aber ich habe alles gegeben, was ich konnte.
Und es war es wert. Ich weiß jetzt, was mir wirklich wichtig ist, dadurch, dass ich es so vermisst habe. Ich habe gelernt, was mir Spaß macht, und was mir wichtig an meinen Freunden ist. Und ich habe gelernt, dass man sich manchmal nur einen Moment nehmen, einen Schritt zurücktreten und alles aus einer gewissen Distanz betrachten muss, um sich über Dinge klar zu werden. Ein großes Problem von mir ist immernoch, dass ich gerne überall wäre und alles machen würde. Hier habe ich zumindest gelernt mich zu entscheiden, ohne sofort das Gefühl zu bekommen etwas verpasst zu haben.
Leider gibt es jemanden, der nicht Zuhause auf mich wartet, denn mein Hund wurde krank und musste eingeschläfert werden. Ich habe mir so oft vorgestellt, wie es sein würde, wenn ich wieder Heim komme. Ich hatte mich auf lange Spaziergänge im Wald gefreut. Mir war klar geworden, wie glücklich ich war, dass er in meinem Leben war. Und ich kann es immer noch nicht recht fassen. Er hat mich durch den größten Teil meiner Kindheit begleitet und ist ein Familienmitglied. Zuerst habe ich mich schuldig gefühlt, dass ich nicht da war. Und jetzt erinnere ich mich an all die schönen Momente, die ich mit ihm erleben durfte und verspreche mir, sie nie zu vergessen. Ich habe trotzdem Angst davor, nach Hause zu kommen und ihn nicht bellen zu hören, nicht von ihm begrüßt zu werden.
Die letzten acht Monate hier in Ungarn habe ich mehr über mich selbst gelernt als je zuvor.
Ich finde es schwer genau zu beschreiben wer ich bin, aber ich kann sagen ich habe sehr große Fortschritte darin gemacht, mich selbst zu akzeptieren und zu respektieren. Irgendwann hat das Küken seine Flügel ausgestreckt und, obwohl es große Turbulenzen gab, hat es seine Reise fortgesetzt. Wenn es in seinen Heimatwald zurückkehrt ist es ein ausgewachsener Vogel, der nie vergessen wird, was sich auf seiner Reise alles zugetragen hat und wie schön das Leben ist.
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