Mein französisches Ich oder: Wenn Französisch meine Sprache wäre
Wenn ich französisch spreche, bin ich anders. Ich sage andere Sachen und ich sage Sachen anders. Dabei habe ich immer das Gefühl, dass ein Teil meiner Persönlichkeit in der französischen Sprache keinen Platz findet. Von der Schwierigkeit des Französischsprechens.
Ich sitze im kleinen Wohnzimmer von meinem Kommilitone Clement zwischen Wein und zehn anderen Studierenden der Kulturanthropologie – alles Französ*innen. Es ist spät, die Diskussionen laufen heiß und die Worte scheinen in Lichtgeschwindigkeit über den Tisch geradewegs an mir vorbei zu fliegen. Zumindest kommt es mir so vor, denn ich verstehe noch etwa die Hälfte, von dem was da gesagt wird. Genau dann ist es wieder präsent, diese Gefühl, dass ich eben doch keine „normale“ Studentin aus dem Jahrgang bin, sondern irgendwie fremd. Weil ich zweimal nachfragen muss, wenn über aktuelle Politik diskutiert wird, weil ich den ersten Teil des Satzes nicht verstanden habe. Oder weil ich mich wieder ungeschickt ausdrücke und französische Vokabeln mit englischen ersetze und mich deshalb niemand versteht.
Dies Gefühl zu haben, ist ganz normal. Und sprechen und verstehen kann ich ja - „ La vache!“ Vor allem wenn ich mit ein*r Französ*in allein unterhalte, läuft es meist ganz gut. Dann sind wir eher auf einer Ebene und ich frage immer gleich nach, wenn ich ein Wort nicht kenne. Sobald ich aber versuche in ein Gespräch eizusteigen, das mehrere Franzö*innen untereinander führen, wird es schwierig. Das Sprachtempo ist doppelt so schnell, die Worte gehaucht oder genuschelt und in Dialekt und Umgangssprache unkenntlich gemacht, für mich oft schwierig zu verstehen. Ich habe dann auch mehr Hemmungen den Lauf des Gesprächs zu unterbrechen, weil ich eine Vokabel nicht verstanden habe oder ganz den Faden verloren habe.
Wenn die Gruppe nicht ausschließlich französisch ist, gibt es da noch das Problem mit den Erasmus-Gruppen. In der Welt der Erasmus-Studierenden, kennt man sich untereinander, organisiert gemeinsame Abendessen, Ausflüge und Bar-Besuche. Schließlich ist man von Anfang an in der gleichen Situation: Das Gefühl in der Fremde zu sein, schweißt zusammen. Man schließt Freundschaften und lernet sich kennen – auf Deutsch. Denn hier an der Universität in Bordeaux kommt der Großteil der Erasmus-Studierenden aus Deutschland. Und so lerne ich viel meiner Freunde in meiner Muttersprache kennen. Das ist auf eine Weise ein anderes Kennenlernen als mit den Franz*ösinnen und anderen internationalen Studierenden. Denn die Muttersprache ist meine Vertraute. Die Worte und ihre Bedeutung sind klar: Ich kann sie bewusst in Gesprächssituationen einsetzten, mit ihnen spielen, sie umdrehen und umstellen. Es ist so einfach, dass das Gesagte so unbeschwert fließt, dass man ganz bewusst Worte wählen kann und zeitnah auch ganz gekonnt die Möglichkeit hat den ein oder anderen ironischen Kommentar einfließen zu lassen. Wenn ich mit meinen deutschen Freunden zusammen bin, sprechen wir deutsch. Nichts fühlt sich unnatürlicher an, als mit andere Deutschen plötzlich französisch zu sprechen. Doch sobald französische oder andere internationale Studierenden mit dabei sind, sprechen wir nur noch Französisch. Das ist wie eine unausgesprochene Regel, schließlich sind wir eigentlich alle hier um Französisch zu sprechen. Problematisch wird es erst dann, wenn es plötzlich eine Person in der Gruppe gibt, die kein Französisch spricht. Das passiert meistens wenn Besuch aus Deutschland da ist. Eigentlich würde man dann Englisch reden, um alle am Gespräch teilhaben zu lassen. In Frankreich schließt man damit aber meist die Französ*innen erst recht vom Gespräch aus, den Englisch funktioniert gar nicht oder nur sehr schleppend. Und so bleibt das gemeinsame uni-linguale doch meist Utopie und jeder spricht irgendwie in seiner Muttersprache in einer kleinen Gruppe mitten in der großen Gruppe.
Sich präzise ausdrücken und bei einer anspruchsvollen Konversation voll dabei sein - das sind alles Dinge, die meinem französischen Ich oft noch schwer fallen. Und so habe ich das Gefühl, wenn ich Französisch spreche nicht ganz ich selbst – oder anders: eine andere Version meiner Selbst zu sein. Eine Version, die länger überlegt bevor sie etwas sagt, der die Worte fehlen, die zurückhaltender ist und die nicht mal so eben einen Witz macht. Denn auch wenn ich gut verstehen und problemlos fast jede Konversation des Alltags führen kann, so ist es immer noch mit Nachdenken und Vokabelsuchen verbunden. Und mit der wiederkehrenden Situation, eine Sache einfach nicht sagen zu können, weil man vorne und hinten nicht weiß, wie man sie ins enge Korsett der französischen Grammatik pressen soll. Französisch fühlt sich in diesen Momenten immer noch fremd auf meinen Lippen an. Anders als im Englischen, wo ich ohne mit der Wimper zu zucken, fast alles sagen kann, was ich will.
Und dann gibt es wieder die Gespräche, in denen plötzlich alles läuft. Ich bin plötzlich voll präsent in der Unterhaltung, werfe mit Fachbegriffen um mich, baue sogar den ein oder anderen Witz ein und merke, das sich dabei gar nicht mehr denken muss. Wenn ich dann meine Bedenken, was mein Französisch angeht, äußere, höre ich immer wieder, dass ich doch wirklich gut spräche. Ich weiß ja, dass ich dem Ganzen Zeit geben muss. Und wenn ich zum Anfang des Semesters zurückblicke, sehe ich auch, dass ich absolute Fortschritte gemacht habe. Die französischen Studierenden sind geduldig, helfen mir und manche verbessern mich sogar und das ist unglaublich wertvoll: Seit ich hier bin, erzähle ich aller Welt von meiner „collocatirce“, richtig „collocataire“, meiner Mitbewohnerin. In meinem Eifer die geschlechterkorrekte Form zu benutzen, habe ich kurzum ein Wort erfunden, dass es gar nicht gibt. Unbewusst natürlich und leider - denn sobald man auf den Fehler hingewiesen wird, merkt man sich automatisch die richtige Version, auch wenn es dem französischen Ego einen kleinen Stich versetzt. Mein deutsches Ich muss vielleicht ein wenig von seiner Eitelkeit ablegen und geduldiger mit meiner leiseren und weniger selbstbewussten französischen Version sein, damit ich auch sie kennen und verstehen lernen kann.
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