Man reist nie allein
Ich hab' endlich mal mein neues Heimatland ein wenig kennengelernt. Und so viele neue Leute getroffen.
Hey, Leute! Ich bin so wahnsinnig erschöpft! Die letzte Woche habe ich aus dem Rucksack gelebt und bin zum ersten Mal in meinem Leben komplett allein gereist, durch das ganze Land neun Tage lang. Es war wahnsinnig anstrengend. Und wahnsinnig toll. Die beste Reise meines Lebens.
Ich kann euch schonmal vorweg sagen, dass ich hier nicht auf das momentane politische Klima in Rumänien eingehen werde. Nicht, weil es mich nicht interessiert - im Gegenteil. In Cluj ging ich vor meiner Abreise eine Woche lang jeden Tag zu den Demonstrationen, auf meiner Reise habe ich mich aber bewusst von den Protesten ferngehalten. Ich kannte die Städte nicht, kannte die Leute nicht und spreche die Sprache nicht, und die Demos beginnen immer erst nach Anbruch der Dunkelheit. Hier musste ich meine eigene Sicherheit in Betracht ziehen. Zurück in Cluj werde ich wieder protestieren, aber in diesem Reisebericht werde ich die politische Lage außen vor lassen.
Erster Streich
Samstag fuhr ich hoch nach Baia Mare, um dort Lorena, Alex und Katja zu besuchen. Das sollte man Genies wie mir nicht zutrauen, denn sofort fand ich erstmal deren Wohnung nicht, obwohl mich das Taxi bis direkt vor ihre Tür fuhr. Die arme Lorena musste in Hausschuhen in den Schnee hinauskommen, um mich zu finden… na, immerhin.
Die drei haben eine wirklich schöne, gemütliche Wohnung. Es gibt eine kleine süße Küche, das Bad; zwei Einzelzimmer und das Wohnzimmer (in dem Alex schlafen muss, der arme Junge, ahaha). Als sie mir Tee machten (eine einschüchternde Aufgabe mit einem Briten im Haus), dachte ich mir, wie sowas wohl die Stimmung beeinflusst. Hätten wir eine richtige Wohnung abseits vom Arbeitsplatz und einen solchen gemeinsamen Raum, ständen wir uns bei Csemete sicherlich auch so nah wie die drei. Sie strahlen Geborgenheit regelrecht aus.
Na ja, ich denke, wir vier sind auch etwas distanzierter, weil Cluj einfach in jeder Beziehung mehr zu bieten hat. Baia Mare ist KLEIN! Klein und sehr grau im Winter. Mit den dreien hat man trotzdem eine schöne Zeit - sie warfen Eisblöcke durch die Gegend, zeigten mir die zweitbesten Sandwiches Rumäniens und stiegen mit mir auf einen Turm - aber als Tourist würde ich garantiert nicht zurückkehren. :D Außerdem regnete es, weswegen wir zum Ende einfach zu ihrer Wohnung zurückkehrten und uns mit Tee eine britische Spielshow ansahen. Bei der Rückfahrt war ich etwas melancholisch. Das Projekt der drei ist Ende des Monats vorbei… das war also mein erster und letzter Besuch.
Während ich dort war, wurde übrigens sowohl Trumps Muslimbann als auch das rumänische Korruptionsgesetz aufgehoben! Ein rundum guter Tag also.
Zweiter Streich
Sonntagmorgen ging es nach Iasi, und hier beginnt meine erste Reise komplett allein. Ich hätte mich nicht besser vorbereiten können - alle Zugtickets und Hostels gebucht, ich komme überall morgens oder vormittags an, Passkopien und Bargeld an vier verschiedenen Orten, Packliste dreimal überprüft, und genug Leute wussten wann ich wo bin. Und trotzdem wurde mir am Abend zuvor fast schlecht vor Nervosität. Die erste Solo-Reise… aber im Grunde freute ich mich doch. Auch wenn ich am Flughafen erstmal meine Wasserflasche zerdepperte. Toller Start, Lena!
Trotzdem kam ich irgendwie an und schnappte mir ein Taxi zum Hostel. Da gingen die Überraschungen direkt weiter… das Hostel am Rand der Stadt war ganz süß eingerichtet, aber auch menschenleer. Keine Rezeption, keine Angestellten, keine Gäste außer so eine telefonierende spanische Frau. Ich rief schließlich eine angepinnte Nummer an und die Frau am Telefon wirkte sehr überrascht und planlos, dass überhaupt Gäste da sind. Als sie vorschlug, dass ich das Geld in einen Umschlag packe und in den Briefkasten werfe, wurde es mir ein bisschen zu gruselig - ich schnappte mir meine Sachen und mietete mich spontan in einem anderen Hostel ein. Hier war alles ganz normal und toll. Leute, falls ihr je in Iasi seid, geht ins Bicycle Hostel - es ist klasse!
Auch wenn mein erster Eindruck von Iasi kein guter war, begann es mir zu gefallen, sobald ich die echt schöne Hauptstraße fand. Dort gibt es in Teo’s Cafe WIRKLICH guten Kaffee und am Ende der Straße ist der Kulturpalast, meiner Meinung nach der schönste Ort der Stadt. Drinnen gibt es vier Museen, die eigentlich Eintritt kosten, aber ich lief einfach hinein und es störte niemanden. :D An dem Tag gab es eine Kunstausstellung von Constantin Tofan, die mich wirklich berührte.
Gegen 16 Uhr ging ich zu einer Free walking tour, und dort war ich auch die einzige. :D So wurde es mehr zu einem Spaziergang als zu einer Tour. Das Mädchen hieß Andreea, sie spendierte mir einen Tee im Art Georgie und wir tauschten Facebook aus, weil wir uns gut verstanden. Sie schwärmte von Erasmus, sie hat ihres in Italien gemacht… es war echt witzig mit ihr!
In Iasi wurde natürlich auch demonstriert, aber ich muss zugeben, dass ich diesmal nicht mitgelaufen bin. Ich kenne die Stadt nicht, die Leute nicht… lieber nicht. Stattdessen kam ich abends im Gemeinschaftsraum mit zwei Leuten bis Mitternacht ins Gespräch. Und ich schätze, das ist Hostelkultur: über Rotwein aus Plastikgläsern erfuhr ich echt viel über die zwei. Er möchte alle Länder der Welt bereisen, hasst den Verlobten seiner Schwester, hat seine Ex auch in einem Hostel kennengelernt, mag die “Strandkultur” Australiens, wo er lebt, überhaupt nicht. Sie kommt aus China und nimmt diese Kultur auch auf, war im gleichen Flugzeug nach Iasi wie ich, liebt Süßigkeiten, arbeitet mit rumänischen Schülern und möchte sich nicht zum Kommunismus bekennen. Das einzige, was ich nicht erfuhr, waren ihre Namen. :D
Montag hatte so ziemlich alles in Iasi zu, wie Andreea mich schon gewarnt hatte. Tolles Timing… offen war allerdings das deutsche Kulturzentrum, das abgesehen von Sprachkursen allerdings nicht viel zu bieten hat, auch wenn ich dort supersüß begrüßt und rumgeführt wurde. Im Copou Park war eine Fotografieausstellung. Solche inspirieren mich immer, aber diese fand ich zum ersten Mal auch… bestätigend. Manche Werke erinnerten mich an meine Arbeit. Das war ein tolles Gefühl!
Ich ging in ein Cafe namens Fika - ah, willkommen zurück in Schweden - und dann noch ein bisschen Windowshoppen in der Palas Mall, wo ich auch die Chinesin vom Abend zuvor traf. Ihr Name ist übrigens Jessie. :D Sie war genauso froh, mich zu sehen, denn ihr Handyakku war leer und sie fand den Weg zum Hostel nicht, also gingen wir gemeinsam. Zum Glück! Es war dunkel, das Hostel liegt etwas abseits vom Zentrum und Google Maps zeigt jedes Mal andere Wege an. Außerdem ist sie echt süße Gesellschaft!
Der Plan war dann eigentlich, früh schlafen zu gehen, allerdings kam ich in der Küche noch mit einem Mädchen aus Frankreich, Adéle, ins Gespräch. Eins führte zum anderen, und letztendlich kochten wir gemeinsam ein veganes Gericht mit völlig verkochtem Reis und viel Curry. Sie war wirklich süß, und sie lebt in dem Hostel! Sie und ein paar andere Leute, mit denen sie zur Uni geht und mit denen wir am Ende aßen. Alle total witzig und gesellig. Es war ein echt schöner Abend.
Dritter Streich
Der Nachteil war, dass ich am nächsten Morgen mit nicht einmal drei Stunden Schlaf zum Flughafen aufbrechen musste. Dafür aber wenigstens mit Jessie und ihrem Freund, die beiden erzählten mir den ganzen Weg über von China, ohne auch nur Luft zu holen. Was wirklich interessant war! Ich hoffe, ich kann den Kontakt halten, aber Facebook ist in China blockiert, und diese ganzen Umgehungs-Apps funktionieren nicht immer.
Weiter ging es nach Bukarest. Einmal muss man da wohl hin, wenn man in Rumänien lebt, aber einmal reicht auch. Die Stadt ist genau so hässlich wie ihr Ruf. :D Die vermeintlich “schöne” Calea Victorei ist voller Minimärkte und Kettenrestaurants, die Piatas sind oft nur große Kreisverkehre, na, ich mochte es nicht besonders - vielleicht auch wegen der Eiseskälte. Nur eins war absolut perfekt, und das waren die Leute, die ich kennenlernte. Am ersten Tag wurde mir an drei verschiedenen Orten Kaffee spendiert, einmal wurde ich sogar stundenlang in ein Gespräch (auf französisch!) mit dem Inhaber eines kleinen Cafés verwickelt, der mir seine ganze Familie vorstellte.
Trotzdem gab mein Körper irgendwann auf und ich musste zurück ins Hostel, um zumindest ein, zwei Stunden Schlaf nachzuholen… geweckt wurde ich von einer lauten männlichen Stimme mit starkem britischen Akzent. Die gehörte zu Sean, der sich energisch bei allen vorstellte. Mit ihm, einer Belgin namens Femke und einem Griechen namens Angelos gingen wir was essen.
Von diesem Moment an bis zu meiner Abreise waren wir unzertrennlich - “the Bucharest team” nannten wir uns. Ich war selten mit so einer witzigen Gruppe an Leuten unterwegs! Femke studiert an ihrem Sexologie-Master in Belgien und ging nach Bukarest für ein paar Tage nach Timisoara (ach, bin ich neidisch). Sean ist der lauteste, extrovertierteste Mensch, den ich je getroffen habe. :D Er hat die verrückteste Lache der Welt und findet alles “craaazyyyyyy”. Angelos war wahrscheinlich der ruhigste, er kennt sich gut in Rumänien aus und spricht fließend Rumänisch, und ist einfach ein herzerwärmender Kerl. Ständig spendierte er uns irgendwas, Essen, Trinken, Süßigkeiten, Heizlüfter (!)... wir vier überlebten zusammen Schnee, laut schnarchende Mitbewohner und Eiseskälte, das verbindet! Ja, die drei nahmen mich zu den teuersten Touristenorten mit und raubten mir viel Schlaf und Entspannung, aber das war es wert!
Wegen dem Wetter verbrachten wir einen Großteil unserer Zeit am zweiten Tag in Cafés, alles Geheimtipps, aber den Parlamentspalast nahmen wir natürlich noch mit. Ich habe ihn mir ehrlich gesagt faszinierender vorgestellt, haha. Nachdem wir dort waren, entwickelte sich der Schnee zu dem heftigsten Schneesturm, den ich je miterlebt habe! Wir suchten Zuflucht in einem Coffeeshop, Femke und ich teilten uns einen Cheesecake, und guess what - der Sturm verursachte Stromausfall in 25% der ganzen Stadt. Später fanden wir zusammen eine riesengroße, wunderschöne Buchhandlung… da hätte ich stundenlang bleiben können. Oh, und Livemusik gab es beim Mittagessen im Caru cu bere auch, Angelos freute sich. :D Am letzten Tag gingen wir noch ganz mutig zur Walking Tour, bei der wir lustige Leute aus den Niederlanden und England kennenlernten, mit denen wir den letzten Abend verbrachten.
Vierter Streich
Dann stieg ich auch schon in den Zug nach Craiova, ein bisschen melancholisch, das “Team” zurückzulassen. Hier fühlte sich nach der summenden Hauptstadt und der ununterbrochenen Gesellschaft zunächst alles klein und einsam an, besonders da ich ein Einzelzimmer bezog (meine Unterkunft nennt sich zwar Hostel, aber es ist eigentlich in allen Belangen eine Pension). Das eiskalte Wetter tat auch seinen Job.
Viele Sehenswürdigkeiten gibt es nicht. Aber Craiova hat seinen eigenen Charme, und bietet das, was alle Hipster-Backpacker suchen: eine authentische, lokale Erfahrung einer rumänischen Stadt.
Die Innenstadt hat wirklich schöne Straßen Architektur, die mich an Sibiu und Timisoara erinnerte. Noch schöner wäre sie gewesen, wenn ich meine Handschuhe nicht in Bukarest verloren hätte… dafür bekam ich hier die besten, handgemachten Cupcakes meines Lebens in einer winzigen Konditorei. Es gibt viele Kirchen, in die ich wegen der beißenden Kälte sogar hineinging (dass ich da nicht auf der Stelle drin verbrannt bin für meine Sünden… ), eine Uni, in der ich mich sofort mal für eine Stunde verlief, und mehrere kleine Parks.
Und natürlich auch einen großen Park, der Parcul Nicolae Romanescu ist sogar berühmt für seine Größe, und das zurecht! Die drei Kilometer Fußmarsch an wütenden Hunden haben sich gelohnt, denn es ist traumhaft! Mehrere Seen und Flüsse, ziemlich lächerliche Skulpturen und ein gruseliges Schloss. Ohhhh, und ein kleiner Zoo. Der hat mir gefallen, besonders die Pfauen!
Fünfter Streich
Und dann war meine Reise auch schon zu Ende, beziehungsweise nicht ganz. Am Sonntag ging es heim, und in Targu Jiu stieg ich um, mit drei Stunden Puffer. Mehr als genug Zeit für einen Erkundungsgang in der kleinen, dorfähnlichen Stadt. Der wäre deutlich angenehmer gewesen ohne meinen planlos gepackten, schweren Rucksack auf dem Rücken, aber irgendwie geht es ja. Die Kirchen waren wegen der Sonntagsmesse natürlich alle voll - ich Genie vergesse das erstmal und stolpere direkt in den Gottesdienst - aber ich schaffte es zur unendlichen Säule (Lügenpresse, die ist nur 30 Meter hoch!) und zur Touristeninformation. Die Frau da war ganz begeistert, dass mal jemand vorbeikam, und dementsprechend übereifrig. Sie gab mir etwa eine Millionen Broschüren und eine lange Rede über den Künstler Constantin Brancusi, der sich eine Violine aus Orangenkartons bastelte und für die Kunst in der Stadt verantwortlich ist.
Als ich rausging, stieß ich auf einen kleinen Wochenmarkt, auf dem nichts außer Honig verkauft wurde. Wie kurios… es waren über zwanzig Stände! Danach ging ich noch zum Tor des Kusses und zum Tisch des Schweigens, zwei Kriegsdenkmale. Hier verabschiedeten sich die Soldaten von ihren Familien, und die Kälte passte zur Atmosphäre - die wurde eher durch die schnatternden, posierenden Touris mit Selfiestangen zerstört.
Und… ja, das war Targu Jiu. Drei Stunden sind genau richtig. Auf in den Bus nach Cluj!
Welche Bilanz kann ich aus dieser abenteuerlichen Woche ziehen? Nicht im Winter reisen! Ab jetzt packe ich meinen Rucksack nie wieder bei unter fünf Grad Celsius. Aber noch viel wichtiger: diese Reise, da bin ich mir ganz sicher, stand und fiel durch die Menschen, mit denen ich sie verbracht habe. Ob liebenswerte Cafe-Besitzer, alte Freunde und Bekannte oder neue Leute, aber ganz besonders letzteres. Noch nie habe ich so viele Reisende so schnell kennengelernt und so viel Spaß mit praktisch Fremden gehabt. Besonders das Bukarest-Team ist mir wahnsinnig ans Herz gewachsen. Ich glaube nicht, dass irgendetwas davon geschehen wäre, wenn ich in Begleitung gekommen wäre. Und ich könnte nicht glücklicher sein!
Also, Bilanz Nummer zwei: man reist nie allein. Man fährt nur allein los.
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Meine Reise könnt ihr euch in Bildern auch beim youthreporter Instagram Takeover anschauen. #sixromania! Gebt euch!
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