"Libera" und der Kampf gegen die Mafia
Eine der Bewegungen, die die jungen Europäer am stärksten teilen, ist der Kampf gegen die Mafia. Das Bewusstsein dafür wächst, auch weil das Thema nicht mehr nur Italien, sondern ganz Europa betrifft: die Mafia hat sich gleichzeitig mit der Wirtschaft und der Gesellschaft globalisiert.
In den letzten Jahren hat der italienische Verein Libera – ein von Don Luigi Ciotti gegründeter Verein zum Sensibilisieren der Zivilgesellschaft hinsichtlich des Themas der organisierten Kriminalität und Korruption – seine europäische und transnationale Dimension durch die Gründung von Libera International gestärkt. Viele Initiativen in Schulen und Universitäten sollen diese Problematik näher bringen.
In Italien gibt es das Gesetz 109/96 über die soziale Nutzung des beschlagnahmten Eigentums: Libera hat es hauptsächlich für den Anbau von Bioprodukten und für die Organisation von Ferienlagern verwendet, in denen die Jugendliche an dem Aufbau der Lager mitwirken, sich aber vor allem gegenseitig kennenlernen, vergleichen und an Trainingseinheiten mit Fachleuten teilnehmen.
Aber es war nicht immer so. Bis vor einigen Jahrzehnten galt die Mafia noch als rein sizilianisches Problem. Nach dem Tod des Journalisten und Aktivisten Giuseppe Impastato, genannt Peppino, der in der Nacht vom 8. auf den 9. Mai 1978 in der sizilianischen Kleinstadt Cinisi, nahe Palermo, ermordet worden war, begann sich etwas zu ändern. Impastato war nur dreißig Jahre alt und ist inzwischen zu einer verehrten Figur der Antimafia-Aktivisten geworden. Er hatte damals eine Radiostation gegründet, Radio Aut, und in seinem Programm den Boss der lokalen Mafia, Gaetano Badalamenti, immer wieder verschiedener Verbrechen beschuldigt. Badalamenti vor allem war es, der beschloss, dass Impastato sterben muss. Die für den Mord Verantwortlichen ließen seinen Tod zunächst als Selbstmord erscheinen, indem sie seine Leiche auf den Gleisen der Bahnlinie Palermo-Trapani in die Luft sprengten. Zugleich wurde die Nachricht verbreitet, der sehr links eingestellte Impastato sei bei der Vorbereitung eines Attentats ums Leben gekommen. Man brachte damals die durch die Explosion unterbrochene Bahnlinie nicht mit Impastatos Verschwinden in Zusammenhang. Außerdem richtete sich an jenem Tag in Italien die Aufmerksamkeit besonders auf das Auffinden der Leiche des Vorsitzenden der Democrazia Cristiana Aldo Moro, was die Fahnder zunächst zu der Annahme veranlasste, Impastato hätte versucht, ein terroristisches Attentat zu verüben. Nur die Entschlossenheit der Mutter Felicia und des Bruders brachte die Aufklärung in dem Fall, allerdings erst ca. 20 Jahre später: 1996 wurde der Fall Impastato wieder aufgenommen aufgrund von Behauptungen des Kronzeugen Salvatore Palazzolo. Er nannte als Auftraggeber des Mordes Badalamenti und Vito Palazzolo.
Am 9. Mai 1979, dem ersten Todestag von Peppino, nahmen zweitausend Menschen, besonders Jugendliche, aus ganz Italien an der ersten Anti-Mafia-Demonstration teil. Dies war ein ganz neues Phänomen. Im Laufe der Zeit wurde diese Aktion im europäischen Sinne erweitert: ein Beispiel dafür ist der 21. März, nicht nur der erste Tag des Frühlings, aber auch der “Gedenktag für die unschuldigen Opfer der Mafia”, der in Italien und anderen europäischen Ländern organisiert wird. Seit 1996 organisiert Libera diesen Tag, der dem Gedenken der Mafiaopfer gewidmet ist und sich ihren Familienangehörigen widmet: Jahr für Jahr hat diese Bewegung der Zivilgesellschaft eine immer größere Anerkennung von Seiten der Institutionen gewonnen und seit 2017 ist der 21. März “Gedenktag der unschuldigen Mafia-Opfer” auch Gesetzesvorschlag. An diesem ersten Frühlingstag ziehen die Vereine, Schulen und Kirchengemeinden in einem Umzug durch eine italienische Stadt und verlesen die Namen derer, die gezielt ermordet wurden, sich am falschen Ort befanden oder aber fatalerweise einer Person ähnelten, die ermordet werden sollte.
Diese Veranstaltung und das Lesen von Namen werden in vielen Städten Europas organisiert: ein Zeichen dafür, dass sich die europäische Identität auch in der Erinnerung und dem Kampf gegen das organisierte Verbrechen konstituiert.