Kulturschock: Fußball
Gefüllte Stadien, jubelnde Fans, millionenschwere Sportler. Als Deutsche in Estland erlebt man den Fußball, die eine Sportart, welche man als deutscher doch zu kennen meint, plötzlich von einer anderen Seite. Denn Fußball ist nicht gleich Fußball.
Der Fußball hatte es lange schwer in Estland. Anders als beispielsweise in Spanien oder Deutschland ist er in dem kleinen und kalten Estland populärer Konkurrenz wie Skilanglauf oder Basketball ausgesetzt, die nicht wenige junge Esten begeistert. Auch haftete dem Fußball lange Zeit ein Stigma an, denn er galt als Russensport. Während der Unterdrückung der Sowjetunion wurden viele estnische Fußballvereine umbenannt oder sogar verboten, sodass bis heute noch viele Einwohner das Spiel mit dem runden Ball negativ mit der Vergangenheit in Verbindung bringen. Die singende Revolution im Jahr 1991 gab den Esten zwar ihre Unabhängigkeit wieder, die Erinnerungen an die Verluste und Unterdrückung blieben jedoch. So dauerte es in dem baltischen Staat zwar einige Jahre, doch heutzutage hat sich der Fußball wieder zu einer der beliebtesten Sportarten der 1,3 Millionen Einwohner avanciert. Große sportliche Erfolge auf internationaler Bühne bleiben trotzdem sowohl auf Vereins- als auch auf Nationalteamebene weiterhin aus.
Andere Dimensionen
Die Meistriliiga, welche 1992 nach der Wiedererlangung der Unabhängigkeit gegründet wurde, ist die höchste Spielklasse im estnischen Fußball. Anders als in der Bundesliga oder anderen bekannten europäischen Ligen beginnt die Saison in der Meistriliiga bereits im März und endete im November, um dadurch die kalten Wintermonate umgehen zu können. Die Meistriliiga besteht aus nur zehn Teams, wobei jede Mannschaft jedoch viermal pro Saison gegeneinander spielt. Am Ende steigt die letzte Mannschaft in die Esiliiga, dem Pendant zur deutschen zweiten Bundesliga, ab. Die vorletzte Mannschaft muss währenddessen, wie aus Deutschland bekannt, in der Relegation um einen Platz in der höchsten estnischen Fußballliga kämpfen. Trotz der verhältnismäßig wenigen Mannschaften, fehlt es der Meistriliiga bis heute jedoch an Leistungsdichte, was sich auch an den Titelgewinnern zeigt. Innerhalb der letzten zehn Jahre entschied sich der Meistertitel zwischen nur vier verschiedenen Spitzenteams, wobei all diese aus verschiedenen Stadtteilen Tallinns stammen. Wenn man daher jedoch spannende Derbys und starke Fanunterstützung erwartet und an Stadtrivalen wie den Hamburger SV und St. Pauli oder Hertha BSC und Union Berlin denkt, so wird man enttäuscht. Die Meistriliiga kämpft nicht nur mit einem für europäische Verhältnisse geringem fußballerischen Niveau, kein estnischer Verein konnte sich bisher auch nur für die Europa League qualifizieren, sondern auch mit geringem Interesse der estnischen Bevölkerung. Selbst die Tallinner Stadtderbys locken nicht mehr als einige hundert Zuschauer an, wenn man an Atletico Madrid und Real Madrid denkt, scheint dies beinah unvorstellbar. Vergangene Saison lag der Zuschauerschnitt in der Meistriliiga beispielsweise bei 301 Zuschauer und selbst der Topverein FC Flora Tallinn konnte im Schnitt gerade einmal 606 Fans mobilisieren. Wenn aber sogar die Einheimischen die Meistriliiga als unattraktiv bezeichnen und lieber nach England, Spanien oder Deutschland schauen, so ist es auch kein Rätsel, weshalb sich bisher noch kein Topspieler nach Estland verlaufen hat oder wieso junge estnische Talente schnell das Weite suchen. Ein gutes Beispiel für Letzteres bietet dabei der Verteidiger Ragnar Klavan, welcher nach zwei Jahren bei Flora Tallinn mit zwanzig Jahren ins Ausland wechselte und unter anderem auch mehrere Jahre beim FC Augsburg unter Vertrag stand. Klavan wird trotz dessen, dass er die Meistriliiga früh verlassen hat, in seiner Heimat geschätzt und ist mit sechs Gewinnen Rekordhalter der Auszeichnung bester estnischer Fußballspieler. Für die höchste estnische Fußballliga spricht sein Werdegang jedoch trotzdem nicht.
Die Erfolge bleiben aus
Doch nicht nur die estnischen Fußballclubs kämpfen darum, den Anschluss an den europäischen Spitzenfußball zu erreichen, sondern auch das Nationalteams Estlands ist auf der Suche nach Erfolgen. Bisher konnte sich weder die Damen- noch die Herrennationalmannschaft für eine Endrunde der Europa- oder Weltmeisterschaft qualifizieren und bildet mit Platz 97 beziehungsweise Platz 104 der Fifa-Weltrangliste stets eines der schlechtesten europäischen Teams. Auch findet sich im Herrenteam mit Kapitän Ragnar Klavan gerade einmal ein Spieler wieder, der derzeit in Italien und damit in einer der höheren europäischen Ligen aktiv ist. Das größte Fußballstadions Estlands, die A Le Coq Arena, wird von der Nationalmannschaft nur selten und wenn dann auch nur bei attraktiven Gegnern wie beispielsweise während der EM-Qualifikation 2019 gegen die Niederlande oder Deutschland gefüllt. Besonders brisant mit dem Wissen, dass das Stadion sowieso nur gerade einmal 15.000 Zuschauern Platz bietet und damit vergleichbar mit der Bremer Brücke, der Spielstädte des Zweitligaaufsteigers VFL Osnabrück, ist. Trotz deutlich höherer Ticketpreise lockt die deutsche Nationalmannschaft nämlich selbst bei Freundschaftsspielen nicht selten dreimal so viele Zuschauer in die Stadien. Großes Interesse oder tiefe Leidenschaft der Fans fehlen dem estnischen Fußball wohl offensichtlich hierbei. Damit aber auch die estnische Nationalmannschaft zum Zuschauermagnet wird, benötigt es vermutlich klare internationale Erfolge. Doch diese bleiben, nicht zuletzt aufgrund der erneut verpassten Qualifikation für die Europameisterschaft 2020, wahrscheinlich in den nächsten Jahren weiterhin erst einmal aus.
Quellen:
https://www.spiegel.de/sport/fussball/em-qualifikation-das-ist-deutschlands-gegner-estland-a-1291301.html
https://www.weltfussball.com/zuschauer/est-meistriliiga-2018/1/
http://blog.worum.org/2009/02/17/fusball-in-estland/
https://en.wikipedia.org/wiki/Meistriliiga
https://en.wikipedia.org/wiki/Ragnar_Klavan
https://de.fifa.com/fifa-world-ranking/ranking-table/men/
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