Kulturelle Neuentdeckungen
Oft braucht man das Fremde, um neue Erfahrungen machen zu können. Das erlebt Lockenjule in Moldawien nur allzu oft. Sie kann von gleich drei neuen kulturellen Entdeckungen berichten.
Je länger ich in Moldawien bin, desto mehr fällt mir auf… dass ich hier mehr interkulturelle Erlebnisse habe als in meinem ganzen niedlichen Leben davor in Deutschland. Natürlich liegt das einerseits daran, dass ich hier mit vielen anderen Freiwilligen aus ganz Europa zusammen bin. Man lernt verschiedene Traditionen, Anschauungen, Sprachen und Witze kennen. Zum Beispiel bekomme ich jetzt einmal die Woche von einer Belgierin, die Latein und Altgriechisch auf Lehramt studiert hat, Altgriechischunterricht. Grundkenntnisse dieser antiken Sprache brauche ich nämlich fürs Lateinstudium.
Worauf ich aber eigentlich hinaus will ist die Tatsache, dass ich durch meinen eigenen Anspruch, in der Zeit hier möglichst viel zu erleben und von Chisinau zu sehen, durchaus unerwartete Entdeckungen mache. Zum Beispiel gibt es in Moldawien, das einem ja eher in post-sowjetischem (das Wort hab ich gestern gelernt) Licht erscheint, das so genannte 'Art-Labyrinth'. Eine ehemaliger Bunker, umgebaut zum Muschebubu-Hippie-Keller, in dem Töpfer- und Trommelkurse angeboten werden und sich zum abendlichen Beisammensein und rhythmischen musizieren (mit allen möglichen Trommel-ähnlichen Instrumenten) getroffen wird.
Letzte Mittwoch habe ich solch einer Session beigewohnt. Es war interessant zu sehen, dass es auch in diesem Land eine winzige Hippieszene gibt… mit Männern in Leinenpullover, langen Haaren und Vollbart und Frauen mit groben Lederschuhen, weiten Hosen und vollkommen ungeschminkten Gesichtern. Allerdings waren an diesem Abend auch viele nicht so sehr nach dieser Szene gekleidete Leute dort, eher normal in deutschem Sinne (und das kann man bezüglich der hiesigen Mode schon als Alternativ bezeichnen). Allerdings wirkte mir die ganze Kommunenatmosphäre doch recht aufgesetzt. Aber zumindest gibt es auch hier Menschen, die aus dem Einerlei der Gesellschaft heraustreten wollen.
Ein anderes, zum Thema kulturelle Neuheiten passendes Erlebnis hatte ich vorgestern Abend. Relativ spät beschlossen Rosi und ich uns anderen Freiwilligen anzuschließen und in eine Bar namens 'Flying Pig' (fliegendes Schwein) zu gehen. Und siehe da… anders als die meisten entweder recht muffigen oder versifften Bars entpuppte sich diese Einrichtung (eigentlich ein Restaurant)als äußerst groß, sauber und… deutsch! Die gesamte Speise- und Getränkekarte war auf Deutsch, mit englischer und rumänischer Übersetzung. Natürlich wurde in dem Restaurant ganz wunderbar das Klischee des Sauerkraut- und Eisbein-verschlingenden, Bier-saufenden Deutschen bedient. Aber den Leuten schien es zu gefallen und zu schmecken, ebenso wie sie die Livemusik genossen. Nein, kein Musikantenstadl, sondern eine moldawische Studentenband, die Beatles und Co –Lieder sangen und das sogar sehr gut.
Ein drittes und für diesen Artikel letztes Erlebnis aus der Reihe Neuentdeckungen: Gestern war ich zusammen mit der Freiwilligen Romy auf dem, man mag es bei diesem homogen-orthodoxen Land nicht glauben, jüdischen Friedhof. In Schlummer einer unberührten weißen Schneedecke wirkte dieser Ort der Ruhe direkt verwunschen. Eine alte verfallen Synagoge, in die wir durch einen Spalt in der verrosteten Pforte gelangten, übte auf uns eine ebenso große und stille Faszination aus die wie die unzähligen Gräber, in die in hebräischer und kyrillischer Schrift die Namen der Toten gemeißelt waren. Besonders faszinierten und amüsierten mich die Namen selbst, die dort in kyrillischen Lettern standen: Schwarz, Rosenfeld, Silbermann… sie alle klangen eher nach einem anderen Teil der Welt als Moldawien oder Israel.