Kleines obligatorisches Touri-Programm – Wie wir uns unter die Japaner mischen
Ich bekomme endlich mal etwas außerhalb meines Fahrradradiusses zusehen, bin zum ersten Mal Gastgeberin in meiner eigenen Wohnung und mache Bekanntschaft mit französischen Augentropfen.
So, wie mein letzter Eintrag geendet hat, beginnt auch der nächste: Mit Geburtstag!
Samstag, 19.09.2015
Ich bin früh wach, M. Leider nicht. So muss ich irgendwie die Zeit totschlagen. Joggen gehen kommt nicht in Frage, denn wie soll ich ihn dann nach dem Aufstehen mit Kuchen und Kerzen überraschen? Gestern Abend war ich kurzzeitig noch am überlegen um zwölf Uhr direkt in sein Zimmer zu stürmen. Da das Geburtstagmuffel aber um fünf vor zwölf bereits ins Bett gegangen war, wollte ich keine negativen Stimmungen in unserem Haushalt durch lautes "Happy Birthday"-Singen provozieren. So trinke ich gemütlich meinen Tee in der Küche und beginne die diversen Infobroschüren aus dem Touristenbüro zu durchforsten. Nach einiger Zeit kommt das Geburtstagskind zur Tür (bzw. Eher nicht vorhandenen Tür; unsere Küchentür ist auf wundersame Weise abhanden gekommen. Aber um eins klarzustellen: daran waren wir nicht beteiligt!) herein geschlurft, will aber wieder die Flucht ergreifen als es die diversen Kerzen auf dem Küchentisch erblickt. Fairer Weise muss man allerdings sagen, dass der ganze Geburtstagstisch wirklich sehr zusammengewürfelt ausschaut. Die Teelichter, die ich als Geburtstagskerzen umfunktioniert habe, sind da noch das kleinere Übel. Mir persönlich ist eher die (nicht vorhandene) Geschenkverpackung ein Dorn im Auge. Aus Mangel an Alternativen habe ich meine kleinen Präsente in einen Umzugskarton gepackt. Ich gebe zu, die Dimensionen sind etwas verrutscht, denn in dem Karton befindet sich nicht etwa ein neuer Kaffevollautomat, sondern wie gewünscht nur kleine Aufmerksamkeiten. Nach einer kurzen Diskussion einigen wir uns auf ein Kompromiss. Ich darf eine symbolische Kerze anzünden. Na, das ist ja schon mal ein Anfang. Wir lassen uns den etwas verbrannten Kuchen schmecken. Das ist auch noch ein von mir unergründetes Rätsel. Warum brennt ein Kuchen überall an; nur nicht dort, wo sich die Kuchenform NICHT befindet? Geschmeckt hat er natürlich trotzdem. Es hat sich zumindest niemand über das zusätzliche Acrylamid beklagt.
Nach einem kurzen Spaziergang bei dem mir Jacques, mein Lieblingshund der Vermieterin, netter Weise Gesellschaft leistet, treffen M.s Eltern mitsamt seiner Schwester P. Ein. Großes Hallo. Glücklicher Weise haben sie es über die Grenze geschafft. Kurzzeitig stand das etwas in den Sternen. Die aktuelle Flüchtlingslage und die vielen noch verpackten Mitbringsel (darunter eine längere Matratze und ein Tisch) war für die Grenzbeamten Grund genug das Auto anzuhalten. Besagte Matratze und der Tisch werden direkt aufgebaut, das Zimmer von M. Mit Hilfe der Design-begeisterten Schwester hergerichtet und nachdem auch in unserem Bad Teppiche liegen, stellt M.s Mutter fest: "Mittlerweile ist es hier ja schon ganz gemütlich". M. Und ich sind mit ihr da vollkommen einer Meinung. Nur die Kälte macht unseren Besuchern etwas zu schaffen (Drinnen. Draußen ist es relativ warm...). Während sie in dicken Jacken in der Küche bei Kaffee und importierten Kuchen sitzen, schauen sich M. und ich in T-shirts nur ratlos an.
Nachmittags geht es dann mit Sack und Pack mit dem Auto nach Evian. Wem dieser Name irgendwie bekannt vorkommt, sollte mal einen Blick auf gewisse Wasseretiketten werfen. Und für die, die es noch nicht wussten: In Evian gibt es eine berühmte Wasserquelle. Für mich ist es einen glückliche Fügung, dass M.s Familie mich vollkommen integriert. Dadurch habe ich endlich die Chance die Gegend auch mal über meinen Fahrradradius erweitert erkunden zu können. Zum Glück sollen wir auch bald den Mini-Bus des Centres zur Verfügung haben. Aber solange heißt es dann noch Fahrrad fahren.
In Evian werden wir zunächst Zeugen einer riesigen und glamourösen Hochzeit. Er ist vermutlich Schweizer und sie Französin. Zumindest schließen wir das aus dem sehr großen Altersunterschied. Nachdem die Ferrarikaravane [korrigiere: es ist höchstwahrscheinlich, dass es sich NICHT um Ferarris handelte. Aber
1. verstehe ich herzlich wenig von Autos. Mir ist nur eins wichtig. Und zwar, dass sie fahren. Mein Autodesinteresse oder fehlendes Wissen bekomme ich im Laufe des Besuchs auch häufig zu spüren. Aber ich sehe es positiv. So kann M. Endlich mal mit jemandem über Autos fachsimpeln. Ich bin da leider die falsche Gesprächspartnerin. Nachdem er verzweifelt versucht hat mir das Prinzip einer Einspritzanlage zu erklären, hat er mich als hoffnungslosen Fall aufgegeben.
2. kann diese Beschreibung auch als sinnbildlich verstanden werden. Zum Ausdruck kommt auf jeden Fall die Szenerie, die vor uns liegt. Alles ist schick. Alles sieht teuer aus. Der ganze Karosseriezug wird sogar von einer sehr professionell aussehenden Kamera gefilmt und für die Ewigkeit festgehalten. Anfangs war unsere Schlussfolgerung darum, dass ein Promi sein Unwesen in Evian treibt. War dann aber vermutlich doch falscher Alarm. Insgesamt ist es aber sehr erstaunlich, wie nobel die gesamte Stadt und die Leute aussehen. Da fährt man mal ein paar Kilometer nach rechts und schon hat man mit einem ganz anderen Klientel zu tun. Erstaunlich.]
an uns vorbei gezogen ist, schlendern wir ohne Autogramme die Füßgängerzone herauf und herunter und schauen uns die alten Evianquellen an. In einer Halle scheint sich das Wichtige der Firma Evian abzuspielen. Zumindest früher einmal. Nun ist dort so gut wie tote Hose. Schön ist es trotzdem. Besonders weil wir feststellen, dass die Bodenkacheln fast die gleichen sind, wie sie auch unsere Badwände schmücken.
Nach einem vergeblichen Versuch uns eine französische (Nano) SIM-Karte zu organisieren und einem sehr aufschlussreichen Gespräch mit der Tabakladenbesitzerin, die uns empfiehlt doch einfach noch einmal in einem anderen Laden zu schauen, weil sie uns keinen ihrer Karten empfehlen kann (scheinbar wird in dieser Gegend von Frankreich Ehrlichkeit wortwörtlich groß geschrieben. Das merken wir auch immer daran, dass in unserem Örtchen scheinbar keiner – außer uns beiden – seine Haustür abschließt.), geht es ans Ufer. Nachdem die Wassertemperatur getestet wurde und für warm genug befunden wurde, gibt es einen (sehr kleinen. Wirklich seeehr kleinen) "Kaffee". Nach einem kurzen Päuschen, bei welchem sich die Mücken mal wieder über mich hermachen, fahren wir einkaufen. Letztendlich stellen wir aber fest, dass unser Lieblingssupermarkt viel billiger ist, als der in Thonon. Um den Geldbeutel etwas zu schonen wird darum entschieden, dass wir am Sonntag einfach noch einmal dorthin fahren.
Abends verschlägt es uns zum Essen gehen nach Thonon. Ursprünglich wollten wir die Tipps von unserem Kollegen T. Testen. Nachdem „L'Olivier“ aber heillos überfüllt und ziemlich unflexibel und „Ma femme est formidable“ scheinbar Insolvenz gegangen ist, landen wir in einem anderen Restaurant in der Innenstadt. Es ist Rushhour. Wir müssen warten. Draußen. Unserem Besuch ist sowieso schon kalt. Aber der Kellner erkennt unser Zittern als das einzig Richtige an: Kältesymptome. Darum finden wir uns kurze Zeit später an der Bar wieder. Der Barkeeper ist etwas mysteriös. Scheinbar redet er nicht mit einem, schaut lethargisch durch die Gegend, bloß nicht die Kundschaft fixieren. Dann stellt sich heraus, dass er uns gerade gefragt hat, ob wir wirklich das salzige Wasser bestellen wollen und nicht lieber das gute Thonon-Wasser. Während wir an der Theke ausharren mache ich die Entdeckung des Tages. Draußen nimmt eine Person Platz, die mir sehr bekannt vorkommt. Neugierig wie ich bin, schaue ich noch einmal genau hin (natürlich nicht zu auffällig). Und dann bin ich mir sicher. Draußen sitzt – (an dieser Stelle folgt leider kein Promi, den wir in Evian nicht getroffen haben, sondern...) unser WLAN-Mann. Ich freue mich unglaublich. Die Welt ist klein. Auch hier. Und Thonon scheint wirklich sehr klein zu sein. Anders kann ich es mir nicht erklären, dass ich bei wirklich jeder noch so kleinen Exkursion, die ich unternehme, mindestens ein bekanntes Gesicht treffe. Schließlich bekommen wir einen richtigen Tisch zugewiesen. Ich habe mich schnell entschieden. Der Anzahl der vegetarischen Gerichten nach zu urteilen, scheint hier noch nicht so ganz angekommen zu sein, dass in Holywood bereits vegane Ernährung „in“ ist. Aber umso besser für mich. Die Entscheidung fällt nicht schwer. Als die Kellnerin unsere Gerichte bringt, wird zunächst mit dem Besteck für die Pommesschale gekämpft. Schließlich sind wir aber alle satt und zufrieden. Kaum sind wir aus dem Lokal draußen frage ich mich aber auch schon, wieso ich nicht noch einmal auf Toilette gegangen bin. Vermutlich wäre es schlauer gewesen dem stillen Örtchen noch einmal einen Besuch abzustatten, nachdem ich von den vier Wasserflaschen gefühlt drei alleine geleert habe. Der Weg nach Hause ist aber nicht weit und dank des vorhandenen Autos muss ich mich auch nicht mehr den Berg hinauf quälen. Erschöpft falle ich ins Bett.
Sonntag, 20.09.2015
Ich wache mal wieder früh auf. Alle schlafen noch. Ich schleiche mich darum raus und gehe in der schönen Morgensonne eine Runde joggen. Herrlich wie ich meinen Beinen und den Gedanken freien Lauf lassen kann. Glücklich kehre ich wieder zu den Schlafenden bzw. aktuell Erwachten. Beim Frühstück zeigt sich sehr klar noch einmal der Unterschied zwischen den verschiedenen Baguettesorten (für mich eher uninteressant, da ich sowieso nicht viel Baguette vertrage. Die Verdauung macht das nicht so mit. Aus diesem Grund bin ich inzwischen auf selbst gebackenes dunkleres Brot umgestiegen. Es wirklich dunkel zu nennen wäre etwas übertrieben.
Gestärkt stürzen wir uns in den Intermarché, kaufen leckeres frittiertes Gemüse und statten der Schule in Orcier und dem Centre noch einen kurzen Besuch ab. Schließlich soll auch P. Wissen, wo wir unsere ganze Zeit verbringen. Bei den Lamas angelangt rätseln M. und ich woher plötzlich das ganze frische Heu kommt. Das war am Freitag noch nicht da. Und uns wurde erklärt, dass man auch das Stroh an die Lamas verfüttern könne. Wir waren da nicht so der Meinung, aber was soll man machen? Jedenfalls sind wir heilfroh, dass es wieder „richtiges“ Futter für unsere Lieben gibt.
Dann heißt es beim Mittagessen Energie für den anstehenden Ausflug nach Yvoire tanken. In schönstem Sonnenschein kommen wir in dem malerischen Städtchen an. Es reiht sich Häuschen an Häuschen. Spontan denke ich bei der Landschaft an ein Bilderbuch. Vorwitzig ragt der schillernde Turm der Kirche über die Dächer des Dörfchens. Beinahe könnte man sagen, dass es sich bei seiner Fassade um zerbrochene Spiegel handelt. Das glitzernde Schauspiel fasziniert mich. Man sollte meinen, dass es Orte gibt, die sehr malerisch sind und nicht von zahlreichen japanischen Touristen besucht werden. Eins steht nun jedoch fest: Yvoire gehört nicht dazu. Neben Japanern treffen wir noch viele Engländer, die in Hotpants versuchen jeden noch so kleinen Sonnenschein aufzufangen. Es ist warm. Aber dann doch nicht so warm. Am Steg, an dem auch die überteuerte Fähre in die Schweiz ablegt, stelle ich verwunderst fest wie schnell sich der See und die Landschaft verändert. Da fährt man mal ein paar Kilometer am Ufer entlang und plötzlich hat man das Gefühl am Mittelmeer zu sein. Zum einen ist es warm, zum anderen sind die Wellen unglaublich hoch und klatschen mit lautem Getose an die Wand der Stadtmauer. Den historischen „Jardin des Cinq Sens“ gucken wir uns nur von außen an. Mehr Zeit bleibt nicht mehr. Kuchenessen und Heimfahrt steht an. Schnell wird noch einmal geschaut, dass die Wäsche richtig gewaschen wird und dann ist unser Besuch auch schon wieder von dannen gezogen.
Abends skype ich noch einmal ausführlich. Zunächst mit einer Freundin, dann mit meiner Familie. Ich erfahre, dass mein Bruder kein wirkliches Verkaufstalent auf dem Flohmarkt ist und höre mit Staunen, dass meine Großeltern ab nächstem Wochenende auch mit mir skypen können sollten. Über den Fernseher. Wie das funktioniert ist nicht nur mir, sondern auch meinem Vater und später, als ich es meinem Mitbewohner erzähle, auch M. ein Rätsel. Ich bin mal gespannt auf nächstes Wochenende.
Montag, 21.09.2015
Eigentlich dachte ich, dass ich früh aufwachen würde. Nachdem ich meinen Wecker aber im Halbschlaf ausgeschaltet habe, erwache ich letztendlich aber erst um halb zehn. Für mich schon fast Mittag. Da ich davon ausgehe in den nächsten zwei Tagen zumindest vor der Arbeit dazu keine Zeit zu haben, gehe ich raus ein bisschen Morgenluft schnuppern. Und netter Weise kommt Jacques mit. Mit ihm zusammen erkunde ich den Wald und beginne es zu bereuen, dass ich meine Eltern in meiner Hundephase nicht noch mehr bekniet habe, dass wir uns einen Vierbeiner anschaffen. Jacques und ich sind ein eingespieltes Team. Er rennt vor, ich hinter her. Wenn ich ihn nicht mehr sehe, rufe ich nach ihm. Daraufhin bleibt er stehen oder dreht sogar um. Auf diese Weise laufen wir eine Halbestunde durch den Wald und kehren wohlbehütet wieder im „Chalet“ ein. Wieder auf dem Grundstück entscheidet Jacques dann aber nicht mehr folgsam sein zu müssen und verschwindet spontan in einem fremden Haus, bei dem die Tür offen steht. Auch meine „Jacques, vient!“-Rufe können die hundliche Neugierde nicht ausschalten.
Abgeholt werden wir heute -mal wieder- etwas später als verabredet. Für heute haben wir uns überlegt Noisette endlich mal nach draußen zu setzten. Als wir L. von unserem Plan erzählen, ist er hellauf begeistert. Entweder ist vorher niemand auf die Idee gekommen, sie mal auf die Wiese zu setzten, oder es ist sowieso vorgesehen und er freut sich, dass wir von selbst auf diese geniale Idee gekommen sind. Wie dem auch sei. Gesagt getan. Das Vorhaben stellt sich aber auf etwas schwieriger raus als gedacht. Weder wollen wir, dass Noisette den Berg hinunter kullert, wenn wir ihren Käfig lüften und sie neugierig schnell heraushoppelt, noch wollen wir Stunden warten, bis sie durch die kleine Öffnung in ihren Außenkäfig hüpft, sodass wir sauber machen können. Irgendwie schaffen wir es dann aber, dass unser Häschen freudig im Klee rumhüpft und wir uns unserem Klimawandelprojekt widmen können.
Nachmittags in der Schule erlebe ich eine große Überraschung. Um genau zu sein mehrere.
- Die Kinder scheinen langsam verstanden zu haben, dass ich genauso viel zu sagen habe wie T.
- Als wir ankommen, stürmen mehrere Kinder auf mich zu und umarmen mich. Wobei von den Dimensionen her eher meine Beine. Ob es sich dabei wirklich um Zuneigungsbekundungen oder nicht eher um Aufmerksamkeitserregung handelt, habe ich noch nicht näher erörtern können.
- In der Turnhalle drehen logischerweise alle wieder durch. T. Ist damit beschftig sich mit den schwierigeren Kindern auseinander zusetzten. Als dann H. Glaubt ein „Wie-verhalte-ich-mich-in-TAP“-Schildern (Nichts schmeißen, nicht schreien, nicht schubsen, etc.) zerreißen zu müssen, platz T. Endgültig der Kragen und ich soll mit den Kindern „Chef d'orchestre“ alleine weiter spielen. Es klappt erstaunlich gut. Ich kann ca. zehn bis fünfzehn Kindern gleichzeitig bespaßen, mit ihnen spielen und sie zum Sitzenbleiben bewegen. Ein großer Erfolg. Und sie sind sogar dann still, wenn ich es sage. Zwar erst nach mehrmaligem Auffordern, aber immerhin. Sind das dieselben Kinder, die ich am Freitag ins Wochenende entlassen habe?
Wieder bei uns merke ich, dass mein Auge höllisch juckt. Wäre ich in Peru, hätte ich vermutlich Parasiten. Hier bekomme ich eine Bindehautentzündung. Ich habe ständig Probleme mit den Augen. Gerstenkörner sind bei mir keine Seltenheit. Nervig sind sie trotzdem. Und was mich persönlich noch mehr nervt: Ich habe natürlich keine Augentropfen dabei. Ich fühle mich schlecht. Nicht nur das Auge tut mir total weh. Mir ist außerdem total kalt und ich habe gleichzeitig das Gefühl Fieber zu haben. Der Blick in den Spiegel bestätigt meine Befürchtung. Mein linkes Auge ist knalle rot und ca. nur noch halb so groß wie das rechte. Erst will ich eine Nacht drüber schlafen. Als es aber immer und immer mehr weh tut, beginnt M. In seiner Apotheke herumzukramen und befördert eine Augensalbe zu Tage. Gegen die Bindehautentzündung ist die zwar unbrauchbar, dafür weiß ich dann aber beim nächsten Gerstenkorn, an wen ich mich wenden muss. Und unerwarteter Weise finden wir sogar Augentropfen. Allerdings sind sie seit anderthalb Jahren abgelaufen. Ich nutze die Gelegenheit und fahre mit dem Rad los in Richtung Supermarkt um mir meine eigenen Tropfen zu kaufen. Eine Apotheke habe ich in Allinges bis jetzt noch nicht gesehen und ich habe nur wenig Lust in meinem Zustand runter nach Thonon und wieder hoch zu fahren. Außerdem bezweifle ich, dass ich die Tropfen in einer Apotheke ohne Rezept bekomme. Auf dem weg zum Supermarkt stolpre ich aber beinahe über das „Pharmacie“-Schild und hoffe einfach mal das Beste für mein Vorhaben. Die Apothekerin versteht mich auf Anhieb (angesichts meines zugeschwollenen und roten Auges ist das aber vermutlich auch nicht allzu schwer) und glücklich verlasse ich die Apotheke mit frischen Augentropfen. Es geht mir schon viel besser. Nachdem ich die Tropfen drinnen habe, ist die Kälte und das vermeintliche Fieber verschwunden. Mein Auge entspannt sich und mit ihm auch ich selbst. Hach, wenn einem etwas nicht wehtut, weiß man es gar nicht zu schätzen, dass es nicht weh tut. Aber wenn es weh tut bereut man, dass man sich im gesunden Zustand nicht daran freut, dass einem nichts weh tut. Das ist irgendwie merkwürdig. Ich stelle es aber immer wieder fest.
Aufgrund vermehrten Internetproblemen muss mein angesetztes Skypetelefonat auf Whatsapp verschieben. Als auch dass nicht funktioniert, mache ich es mir in der Küche bequem und schlage Vokabeln nach. Diese trage ich in mein kleines, türkisfarbene Vokabelheft ein, in welchem ich jeden Tag neue Wörter notiere. Zum Wiederholen komme ich meistens leider nicht. Man sollte meinen, dass ich ganz viel Zeit habe. Aber irgendwie ist das gar nicht so.
Nachdem ich von diversen Personen Ratschläge zu meinem derzeitigen Augenzustand und Ermahnungen bekomme, damit ja aufzupassen da ansteckend, kuschel ich mich mit einer Wärmflasche in mein schönes, großes Bett.
Dienstag, 22.09.2015
Ich wache auf. Zumindest probiere ich es. Mit dem rechten Auge klappt das ganz gut. Das linke ist aber so zugegklebt, dass ich mich schlaftrunken und halb blind ins Bad tasten muss. Nachdem mein Auge von Tonnen von Schlafsand (hoffen wir mal, dass es sich nur darum handelte...) befreit ist, habe ich wieder den vollen Durchblick. Und die Augentropfen tun ihr Übriges.
Nach einem kurzen Spaziergang mit Jacques durch den Wald, stelle ich erfreut fest, dass die Heizung angestellt ist. Uns ist ja mittlerweile ziemlich warm. Aber für den Besuch ist das doch schön zu wissen.
Wir dürfen ein paar unserer Überstunden abbauen und fangen darum später an. Offiziell sollen wir um halb zwei mit der Arbeit beginnen. In Wirklichkeit kommt T. Uns aber erst um zehn nach halb abholen (Wir stehen immer wie bestellt und nicht abgeholt vor dem Gebäudekomplex, in dem wir wohnen. Die Vorbeifahrenden denken sich sicherlich auch ihren Teil. Ich lächle aber immer alle nett an und bewege meine Lippen, als ob ich „Bonjour“ sage. Es gibt ja viele philosophische Sprüche. „Ein Lächeln ist das Einzige, was sich vermehrt, wenn man es teilt“ trifft hier besonders zu. Jedem Auto schaue ich erwartungsvoll entgegen. M. Hat mittlerweile natürlich schon einen Überblick über die verschiedenen Abholmöglichkeiten unserer Kollegen. Aber ich kann diese ganzen Autos wirklich nur schwer auseinander halten. Und dann sehen die Autos, die hier herum fahren auch alle immer noch verdächtig nach eben jenen Gefährten aus. Zumindest in meinen Augen. Heute darf ich meine Bindehautentzündung aber mal als Sichthinderungsgrund vorschieben.). Ich erkläre T. erst einmal, dass ich eine Bindehautentzündung habe und Angst habe die Kinder anzustecken. Er meint dazu nur mit einem Augenzwinkern, dass ich zur Strafe an die unartigen Kinder meine Viren verteilen darf. Jipphie! Wegen Ansteckungsgefahr macht sich keiner Sorgen. Das wiederum bereitet mir jedoch etwas Sorgen... Auf der Hinfahrt zum Centre berichte ich T. Von meinem Vorhaben irgendeine Sportart zu beginnen. Volleyball, Kickboxen, Badminton und Flagfootball stehen unter anderem zur Diskussion. T. Rät mir aber dazu Rugby auszuprobieren. Vermutlich komme ich dann nicht nur mit gut durchtrainierten Beinen, sondern auch breit wie ein Türsteher nach Deutschland zurück.
Im Centre steht das Übliche an und da wir erst relativ spät mit unserem Arbeitstag angefangen haben, geht es auch verhältnismäßig schnell nach Orcier.
Mir ist es ein Rätsel wieso, aber heute sind wirklich alle Kinder sehr kuschelbedürftig. Ich bekomme jedes Mal fast die Krise, sobald sie in die Nähe meines Gesichts kommen. „Kinder, da sind tausende von Viren in meinem Auge drin! Lasst mich endlich in Ruhe und hört auf euch selbst die ganze Zeit in die Augen zu tatschen!“ schreit eine laute schrille Stimme in meinem Kopf. Ohne nennenswerte Zwischenfälle überstehe ich die Kinderbespaßung und habe beim Anleiten und der Durchführung sogar beinahe die Aufmerksamkeit aller Kinder. Nur H. Denkt mal wieder aus der Reihe tanzen zu müssen. Kurzer Hand verfrachtet T. Ihn zu den Älteren und wir haben endlich Ruhe. Ein Problem bleibt da allerdings noch: M. Hat so dollen Durst, dass er permanent am Weinen ist. Vermutlich hat es ihm am Freitag so viel Spaß gemacht (als er mit mir und drei anderen Kindern auf Toilette gegangen ist) aus dem Pissoir zu trinken. Ich fand das alles andere als lustig. Vorallem lässt mich diese Geschichte hart bleiben. Nein, M. Darf jetzt nichts trinken. Nachdem er erfolgreich ins Spiel eingebunden ist, scheint der Durst auch nicht mehr ganz so stark zu sein.
Als endlich auch L. Von seiner Mutter abgeholt wurde, warte ich noch auf T. Und stehe dumm in der Gegend herum. Neugierig beginne ich einen Zettel an der Eingangstür zu lesen und weiß plötzlich ganz schnell, woher meine akute Bindehautentzündung kommt. In der Schule ist momentan sowohl eine virale als auch eine bakterielle Bindehautentzündungsepedimie unterwegs. Na super. Dann werde ich die vermutlich in den nächsten Wochen nicht mehr los. Im Kopf mache ich mir mit rosa Textmarker eine Notiz: „Desinfektionsmittel mit in die Schule nehmen und ständig benutzen!!!“
Wieder in l'Ermitage lädt uns A.-M. Zum Himbeerpflücken ein. Das muss man sich mal vorstellen. Wir haben Ende September... Doch nachdem ich beim Pflücken auch noch Erdbeeren entdecke, wundert mich nichts mehr. M. Geht mit einer ziemlichen Ladung Himbeeren wieder rein und ich schwinge mich aufs Rad und besorgen neuen Salat, da in in dem alten gestern Abend eine Raupe und ihre kleinen Kinder gefunden habe. Frische hat manchmal auch ihre Nachteile.
Der Gegenwind, dem ich auf dem Hinweg nach Allinges begegne ist stark. Aber ich bin stärker. Zum Glück. Wie soll das sonst was mit meiner Rugby-Karriere werden? Im Supermarkt mache ich den Fortschritt der Woche. Ich denke daran, dass ich den kleinen Einkaufskorb nur bis vor die Kasse mitnehmen darf. Bereits schon drei Mal ist es mir passiert, dass ich ihn mit zum Bezahlen nach vorne genommen habe. Leider ging daraufhin immer ein Alarm los, da die Körbe scheinbar beliebtes Diebesgut sind und darum durch einen Chip gesichert sind. In Deutschland gibt es meines Wissens nach so etwas nicht. Ich war darum sehr schockiert und dachte, dass sich etwas von den Waren in meinen Rucksack gemogelt hat. War aber wie gesagt doch nicht so. Erfreut darüber, dass auch ich zu der Spezies Mensch gehöre, die aus Fehlern lernt - wenn auch erst nach mehrmaligem Begehen des Fehlers - , geht es auf dem Drahtesel in Richtung Wohnung.
Mehrere verzweifelte Versuche das Internet und diverse gescheiterte Whatsapp-Anrufe später ist der Abend auch schon beinahe vorüber.