Jäger und Sammler
meine ersten Erfahrungen mit dem Medizinstudium in Norwegen und den Alternativen zu haarsträubenden Supermarktpreisen
Ich beginne mit meinem Bericht am besten genau da, wo ich letzte Woche aufgehört habe: mit dem Beginn meiner ersten richtigen Univeranstaltungen letzten Dienstag. Es stellte sich in der Einführungsveranstaltung heraus, dass unser internationales Semester hier (auch die Norweger müssen ein Semester auf Englisch studieren, haben aber die Wahl vor Ort zu bleiben oder für diese Zeit ins Ausland zu gehen) aus 35 Internationalen und ca. 80 Norwegischen Studenten besteht. Nach ein paar organisatorischen Infos wurden die Einheimischen schnell entlassen, während für uns noch Nachmittagsprogramm anstand. Wir wurden von unserem Dozenten in Kinderheilkunde (der selbst ursprünglich aus Deutschland stammt und nach seinem Studium ausgewandert ist) in Árdna empfangen. Dies ist ein besonderes Gebäude der Universität Tromsø, ein Zentrum für die Kultur der Sami und in deren traditionellem Stil erbaut. Dort saßen wir alle um eine offene Feuerstelle herum und aßen einen köstlichen Rentiereintopf, den unser Dozent für uns zubereitet hatte. Während wir das besondere Mahl genossen (Rentierfleisch schmeckt etwa wie unser Wild zuhause, eher würzig, aber zart), erzählte er uns etwas zum norwegischen Gesundheitssystem.
Die Norweger müssen bei jedem Arztbesuch eine kleine Gebühr zahlen, ab einem gewissen Jahresbetrag jedoch nichts mehr darüber hinaus. Medizinisch ist außer zahnärztlicher Behandlung fast alles abgedeckt, dies müssen die Norweger ab Erwachsenenalter allerdings selbst bezahlen, da man hier der Meinung ist, jeder sei für seine Zahngesundheit selbst verantwortlich. Um den horrenden Summen zu entgehen, gibt es jedoch die Möglichkeit, sich von den zahnmedizinischen Studenten zum Bruchteil des eigentlichen Preises behandeln zu lassen. In Norwegen gibt es keine niedergelassenen Spezialisten, die normale Gesundheitsversorgung übernehmen die GPs (General Practitioner = auf Deutsch Allgemeinärzte, also unsere Hausärzte). Das bedeutet hier allerdings, dass die GPs hier auch Aufgaben eines Gynäkologen, Dermatologen, Kardiologen, Kinderarztes etc. übernehmen und nur bei Notfällen und selteneren Krankheiten überwiesen wird, dann aber direkt ins Krankenhaus, wo die entsprechenden Spezialisten vor Ort sind. Transportmittel ist aufgrund der weiten Distanzen häufig der Helikopter oder das Flugzeug.
Daraufhin musste jede Ländergruppe noch ein paar Sätze zu ihrem Gesundheitssystem und den Vorteilen, aber auch zu den vorhandenen Schwierigkeiten, erzählen. Ich erfuhr, dass Dänemark trotz seines hervorragenden, durch Steuern abgedeckten Gesundheitssystems, einen Landstrich besitzt, der von den Dänen selbst als „rotten banana“ (verfaulte Banane) bezeichnet wird. Dies ist die westliche Gegend von Jutland in Form einer Banane, in der im Gegensatz zu den Städten größere Armut und auch eine schlechtere Gesundheitsversorgung herrscht. Das ist zum großen Teil darauf zurückzuführen, dass junge Ärzte nach Abschluss ihres Studiums keine Lust haben, auf das Land zu ziehen und dort als Arzt tätig zu werden und lieber in den modernen Städten bleiben. Diese Problematik, der Ärztemangel in ländlichen Gegenden, wurde in fast allen Vorträgen aufgeworfen. In Italien gibt es (ganz im Gegenteil zu Norwegen) kaum Allgemeinärzte, es wird immer sofort ein Spezialist aufgesucht, während in Spanien jede Facharztgruppe staatlich verteilt wird. Die Medizinstudenten, die nach ihrem Abschluss die besten Noten mitbringen, dürfen zuerst ihre Disziplin wählen und wer am Ende der Liste steht, wird Hausarzt. In Tschechien bekommt jeder Bürger die gleiche medizinische Grundversorgung, für die der Staat nur einen recht geringen Teil seines Haushalts aufbringt – entsprechend ist es jedoch dort kaum möglich eine Versorgung über dem Standard zu erhalten und die geringen Kosten gehen zu Lasten des medizinischen Personals, was schlecht bezahlt wird.
Nachdem wir etwas über jedes Land erfahren hatten, lernten wir unsere Buddies kennen. Das sind norwegische Medizinstudenten, die sich bereit erklärt haben, uns Internationalen in kleinen Gruppen das Ankommen im fremden Land und an der fremden Uni zu erleichtern. Meine Buddies luden unsere Gruppe gleich zu einer Tour durch das Krankenhaus am Freitag ein. Dort zeigten sie uns, wo welche Station zu finden ist und wie man sich allgemein durch die Nummerierung der Stockwerke und Gänge zurechtfindet.
Für den darauffolgenden Tag war strahlender Sonnenschein vorhergesagt und da dies hier wirklich die absolute Ausnahme ist (mal ganz davon abgesehen, dass wir die Sonne in ein paar Monaten gar nicht mehr zu Gesicht bekommen werden) beschloss fast die gesamte Gruppe von uns internationalen Medizinern, anstatt der Vorlesung lieber eine Wanderung auf den höchsten Berg der Gegend, den Tromstalstinden, zu unternehmen. Im Internet hatten wir zuvor gelesen, dass die Tour auch für Kinder geeignet sein und dass vor einigen Wochen sogar ein Rennen auf den Gipfel stattfand. 1238m klingt für mich jetzt eher nach einem mittelhohen Schwarzwaldberg, aber dadurch, dass wir hier auf Meereshöhe starteten und insgesamt noch 16km Distanz zum Gipfel hin und her zurücklegen mussten, wurde es auch für die Wandererprobten unter uns eine anstrengende Tagestour. Unsere brennenden Muskeln wurden jedoch mit atemberaubenden Ausblicken über die Fjorde und schneebedeckten Spitzen der Lyngenalpen belohnt, beim Abstieg erblickten wir Rentiere auf saftig grünen Hängen und konnten unsere Wasserflaschen an klaren Gebirgsbächen füllen.
Die darauffolgenden Tage und das Wochenende ließ ich dann eher entspannt angehen, ich besuchte die Vorlesungen, die jedoch hauptsächlich aus einer Wiederholung des Stoffes meiner Semester in Freiburg bestanden. Neu für mich war dann doch der klinische Teil, wo es um die Durchführung einer gynäkologischen Untersuchung und um die Vorsorgeuntersuchungen bei einer Schwangerschaft ging. Auch hier wurden wir mit den Unterschieden der verschiedenen Länder konfrontiert, diesmal anhand der Anzahl der Ultraschalluntersuchungen während einer Schwangerschaft: während z.B. in Deutschland oder Frankreich 3 Ultraschalls in den 9 Monaten vorgesehen sind, finden in vielen osteuropäischen Ländern (z.B. Serbien) eine Vielzahl von ihnen statt, während in Norwegen bei einer komplikationslosen Schwangerschaft ein einziger nach 17-19 Wochen ausreicht.
In unserer Zeit außerhalb der Uni sind wir inzwischen alle dazu übergangen unsere tägliche Essensbeschaffung zu optimieren. Die Deutschen hier backen alle ihr eigenes Brot und Rezepte werden fleißig ausgetauscht. Auch ich probierte mich gemeinsam mit zwei anderen deutschen Medizinerinnen daran und das Ergebnis war sehr zufriedenstellend :) Die Jungs hingegen zog es eher hinaus ans Meer zum Fischen und im Wald hinter meinem Wohnheim trifft man ständig auf Studenten, die ihre Tüten mit Heidelbeeren füllen, um diese weiter zu Kuchen oder Marmelade zu verarbeiten. Gestern habe ich dann noch eine weitere der vielen Apps hier ausgetestet, die sich „to good to go“ nennt. Dort kann man sich morgens für wenig Geld ein Überraschungspacket bei einem Cafe oder Restaurant der Stadt bestellen. Dieses nach Ladenschluss übrig gebliebene Essen kann man dann abends abholen und ich war sehr glücklich über meine drei riesigen süßen Teilchen, die mir überreicht wurden :)
Heute ist meine liebe Schwester Toni nach ihrer langen Reise von Südschweden bis hier hoch nach Nordnorwegen angekommen und während sie noch schläft, schreibe ich meine letzten Sätze. Ich berichte euch dann mehr von unserer gemeinsamen Woche, die bestimmt sehr schön und spannend wird. Bis bald!
Bildquellen (Ardna): https://uit.no/Content/536282/transformation=scale10000x560/ardna.jpg, http://jurddabeassi.no/wp-content/uploads/2013/04/ardna_rundt_baalet_8001.jpg