Israel auf Persisch IV: Esfahan - Unerwartete Begegnungen
Monate der gewissenhaften und bis ins kleinste Detail ausgetüftelten Planung liegen hinter mir, denn ich habe eine aussergewöhnliche Reise unternommen: 2 Wochen Iran! Aber damit nicht genug - meine nächste Destination war ausgerechnet Israel...
Im Reisebus hatten wir die letzten drei Plaetze ergattert, also sassen wir ganz vorne. Bei der Abfahrt erhielten alle Fahrgaeste ein Saftpaeckchen und eine Schachtel mit Snacks, von denen bei allen als erstes Zutat "Zucker" gelistet war. Unsere weiterhin aufgeregten Gespraeche wurden vom Busfahrer sehr schnell eingedaemmt, damit die anderen Mitfahrenden schlafen konnten; wir selbst taten allerdings kaum ein Auge zu, da der Bus mehrmals nachts anhielt, um Pakete anzunehmen, Mautgebuehren zu bezahlen oder auf Routinekontrollen zu reagieren. So kamen wir ziemlich uebermuedet am Busbahnhof von Esfahan an und goennten uns erst einmal einen tuerkischen Kaffee. Die Stimmung am fruehen Morgen war merkwuerdig, die Menschen deutlich konservativer als wir es aus Teheran gewohnt waren; fast alle Frauen im Wartesaal trugen den Tschador.
Unsere Couchsurferin Mani holte uns mit dem Auto ab, auch ihr Kopftuch eng um Haare und Nacken gebunden; ihre Schminke stand derjenigen der teheraner Maedchen allerdings in nichts nach: Wohl auch, weil die Kleiderordnung den Frauen sehr wenig Raum laesst, sich auszudruecken (bei den Jungs uebrigens kein Problem, super enge Jeans und Hemden sind an der Tagesordnung), schminkt sich ein Grossteil der Maedels im Iran unserer Erfahrung nach bis an die Grenze der Unkenntlichkeit. Mehrmals wurden wir gefragt, ob wir denn ueberhaupt schon 18 seien, da wir ohne die obligatorischen zwei Kilo Make-up anscheinend deutlich juenger aussahen als die uns umgebenden Damen. Aber zurueck zu dem kalten, aber sonnigen Morgen in Esfahan!
Manis Wohnung entsprach wohl eher dem iranischen Durchschnitt; sie lebte hier mit ihren Eltern, ihrem aelteren Bruder und der juengeren Schwester. Alle schliefen auf den dicken, typischen Perserteppichen, die "Kinder" (alle ueber 18) wohnen noch bei ihren Eltern, bis sie selbst heiraten. Die Wohnung war sehr gross und hatte einen schoenen Blick auf die Stadt, aber leider war auch sie, wie gefuehlt alle Wohnungen im Land, vollkommen ueberheizt. Die Zentralheizung, die das ganze Haus waermte, war auf mindestens 30 Grad eingestellt, und unsere aus Deutschland als Gastgeschenk mitgebrachte Schokolade schmolz sofort.
Ob der doch sehr kurzen Nacht legten wir uns nach dem Fruehstueck (das typische iranische sehr duenne Fladenbrot "Lawasch", von uns liebevoll "Lappen" getauft, mit Marmelade) noch eine Runde auf den Teppich, waehrend unsere Gastgeberin zur Arbeit fuhr. Ihre Schwester begleitete uns anschliessend zum Fluss Zayandeh, beruehmt fuer die vielen schoene Bruecken, die ihn ueberqueren. Alle drei waren wir noch recht uebermuedet, und die kleine Gruppe von Minas Freunden, die uns diese als Guides fuer den Tag organisiert hatte, ueberanstrengte uns zunaechst mit ihrem Enthusiasmus. Nach einem weiteren Kaffee waren wir bereit fuer Konversationen und ausgiebige Fotosessions an der Khaju-Bruecke.
Im Anschluss zogen wir weiter in Richtung Bazar. Bei einem Toilettenstop in einem teuren Hotel stiessen wir wieder auf einen der vielen Weihnachtsbaeume, die sich in den touristischen Einrichtungen ueberall fanden und wie auch in der Tuerkei als symbole fuer das neue Jahr verstanden wurden. Zwei Frauen im Tschador fotografierten sich gegenseitig mit der kitschigen Tanne und sprachen uns an - in perfektem Englisch. Es stellte sich heraus, dass sie selbst schon viel gereist waren, und ich schaemte mich heimlich, dass ich alle Frauen in diesen zeltaehnlichen Gewaendern automatisch fuer religioese Hinterwaeldlerinnen gehalten hatte. Wir liessen uns zu einem Gruppenbild ueberreden und verabschiedeten uns herzlich.
Ein paar Meter weiter erwartete uns schon die naechste Ueberraschung: Ein kleines Kellercafe mit dem Namen "Kaffee Wien", dessen Besitzer uns in freundlichem und akzentfreien wiener Schmaeh begruesste. Da wir unseren Tag schon ziemlich verplant hatten, verabredeten wir, am naechsten Tag fuer einen Kaffee vorbei zu kommen, und er versprach, uns sein beruehmtes Tiramisu zu praesentieren.
Der Bazar in Esfahan umgibt einen grossen Platz mit Brunnen und Fontaenen hufeisenfoermig, und ganz hinten findet sich eine grosse und praechtige Moschee. Wir gingen erst einmal Mittagessen im schoenen Traditional Hotel, wo alle zusammen auf einem grossen Canape sitzen. Wir bestellten Reis mit Fesenjan, einem traditionellen Stew aus Walnuessen und Granatapfel, dazu Salat. Die iranische Kueche ist sehr fleischlastig, Kebap das Nationalgericht, aber auch Vegetarier werden von den traditionellen Gerichten immer wieder angenehm ueberrascht. Wer es nicht so eng sieht, kann sich das traditionelle (und super leckere!) Ghorme Sabzi ohne Fleisch bestellen; die Gemuesesosse wird mit grossen Fleischstuecken gekocht, kann aber ohne diese serviert werden. Wie in vielen Laendern der Region spielen Kraeuter eine grosse Rolle und werden oftmals als Beilage gereicht.
Auf dem Bazar kauften wir Postkarten und durchstoeberten die vielen Staende. Anders als in der Tuerkei oder anderen Laendern mit Bazarkultur wurden wir kaum bedraengt und konnten uns mit angenehmer Ruhe die vielen schoenen Waren ansehen. In einem Suessigkeitenladen durften wir sogar ein paar lokale Koestlichkeiten probieren, und in einem Porzellangeschaeft zeigte uns der Besitzer eindrucksvoll, dass die traditionell gefertigten Teller auch mit einem Schluessel nicht verkratzt werden koennen.
Als es dunkel wurde, trafen wir uns in der Stadt mit Mani und gingen auf einen Tee ins Abbasi Hotel, ein luxurioeses Gebaeude mit wunderschoenem Garten und prunkvoller Einrichtungen. Hier trafen wir Nima, einen amerikanisch-iranischen Business-Manager, der sich zu uns gesellte. Sowohl er als auch Manis maennlicher Begleiter hatten einen Hang zu ausschweifenden Reden, unter denen Mani mit ihrem eher schlechten Englisch komplett unterging. Erst auf dem Nachhauseweg konnten wir mehr mit ihr sprechen. Sie befand sich in dem Zwiespalt, den wir bei vielen erlebt hatten: Sie fuehlt sich eingesperrt im Iran, hat dort nicht die Moeglichkeiten, die sie sich wuenscht, kann sich aber auch nicht vorstellen, ihre Familie zurueck zu lassen. Trotzdem verbrachten wir den Rest des Abends damit, ihr Tipps zu geben, denn sie hatte ueberlegt, sich in Deutschland fuer einen Doktor in Elektrotechnik zu bewerben.
Am naechsten Tag waren wir endlich einmal alleine unterwegs - nicht, dass wir uns nicht ueber die Gesellschaft freuten und unglaublich viel ueber unser Aufenthaltsland lernten, aber doch sahen wir alles nur durch die Brille, die uns unsere Begleiter und Begleiterinnen aufsetzten. Zunaechst liessen wir uns mit einem Taxi zur Freitagsmoschee (auch Jame-Moschee) bringen, die allerdings gerade zum Gebet geschlossen war. Wir kauften schon Tickets und gingen erst einmal durch die engen Gassen eines grossen Marktes zum Bazar zurueck. Dort goennten wir uns einen Kaffee in einem hippen kleinen Cafe in einer Seitengasse und kauften anschliessend Souvenirs in einem Geschaeft, in dem die Besitzer von Hand Baumwollstoffe bedruckten und bemalten. Nach ausgiebigen aber freundlichen Verhandlungen waren alle Seiten zufrieden und wir zogen mit unserer Beute weiter.
Als wir den Laden verliessen, entdeckten wir verbluefft einen aelteren Mann, der eindeutig eine Kippa auf dem Kopf trug. Wir hatten im Reisefuehrer gelesen, dass es noch immer eine juedische Minderheit im Iran gab und der Bau und Erhalt von Synagogen sogar staatlich gefoerdert wurde, waren aber nicht darauf gefasst gewesen, dass die Religion so deutlich sichtbar ausgelebt wuerde. Wir folgten ihm in ein kleines Geschaeft mit Antiquitaeten, das er betrieb. Erst beim zweiten Hinsehen entdeckten wir juedische Artefakte unter den Waren, etwa Schachteln und Spiegel mit juedischen Symbolen und hebraeischen Schriftzeichen. Als wir ihn auf Hebraeisch ansprachen, verstand er uns augenscheinlich aber nicht, und auf unser Bekenntnis, wir seien in Israel gewesen, nickte er nur und preiste seine Ware an. Am Ende kauften wir nichts, machten aber ein Erinnerungsfoto mit dem Mann, dem die Bedeutungskraft der Begegnung von unserer Seite eindeutig entging.
Mittags gingen wir zur Moschee zurueck und kauften auf dem Weg einen frisch gepressten Saft und gebackenen Mais, typisches Street Food im Iran. Die Moschee war wirklich wunderschoen, der Innenhof alleine schon ein fantastisches Fotomotiv und die Innenraeume ein Zeugnis langer Geschichte und der caligraphischen Tradition des Landes. Ein ehemaliger Geschichtslehrer fuehrte uns fuer eine kleine Spende durch den Innenraum, und selbst als das Abendgebet begann, durften wir im Innenhof noch den Sonnenuntergang geniessen.
Im Kaffee Wien wurden wir anschliessend ueberschwaenglich begruesst und mit leckerem Kaffee sowie einem kleinen "Hausgemachten" versorgt. Der Besitzer erzaehlte von seinen Reisen und Parties in Europa und lud uns fuer unseren naechsten Iranbesuch ein, uns ein bisschen die Gegend zu zeigen. Als es ans Bezahlen ging, trafen wir zum ersten Mal auf ein Phaenomen, das uns der Reisefuehrer prophezeit hatte: Tar'of! Darunter versteht man eine gegenseitige uebertriebene Hoeflichkeit, oftmals an Gaeste gerichtet. So sagte uns der Kaffeehausbesitzer, wir braeuchten nichts zu zahlen, selbstverstaendlich in der Erwartung, wir werden selbstverstaendlich widersprechen. Gut also, dass wir darauf vorbereitet waren. Am Ende zahlten wir weniger, als die Getraenkekarte aufwies, aber dennoch genug, um alle Seiten zufrieden zu stellen.
Zurueck auf dem grossen Platz trafen wir wieder Mani und schlenderten noch einmal durch die nun am Abend halbleeren Gaenge. Mit einem Freund von ihr gingen wir gemeinsam im Restaurant "Bastani" essen, das in einer Ecke des Bazars liegt. Gemuetlich und ein bisschen kitschig mit Springbrunnen nebst Weihnachtsbaum (natuerlich) und fuer iranische Verhaeltnisse schon etwas gehobene Preisklasse, weshalb wir unsere Gastgeber zum Essen einluden. Alle assen Gorme Sabzi, einige mit, andere ohne Fleisch, alle mit grossem Appetit. Dazu tranken unsere iranischen Begleiter Doogh, ein Joghurtgetraenk aehnlich dem tuerkischen Ayran.
Teils zu Fuss, teils per Taxi gelangten wir anschliessend zu Manis Haus zurueck und unterhielten uns noch lange mit ihr und ihrer Schwester bei Tee und Obst. Wir bedankten uns herzlich bei der ganzen Familie und schenkten ihnen die leider ein wenig angeschmolzene Schokolade zum Abschied. Denn am naechsten Morgen wuerden uns Mani und ihr Vater vor der Arbeit zum Busbahnhof bringen - wir hatten den ersten Bus in die Wueste gebucht, auf zum naechsten Abenteuer - Yazd!