IRAN | “Wir lieben unser Land. Aber nicht unsere Regierung.”
Bedeckt mit einem Kopftuch, manchmal auch verhüllt von einem Tschador, hat Theresa den Iran erkundet. Egal ob bei Feierlichkeiten in einer Mädchenschule oder bei einer zoroastrischen Verlobung, ob in der Wüste oder in der Großstadt: Theresa wurde stets von lieben Menschen gastfreundlich empfangen und oft auch neugierig befragt.
Wir sitzen in einer Wartehalle im Frankfurter Flughafen. Auf einer Tafel steht groß “Iran Air - the airline of the Islamic Republic of Iran”. Und genau dort wollen wir hin. In den Iran. Wir kramen unsere Kopftücher aus den Taschen und warten.
Schließlich ruft eine Stimme den Flug auf. Zwei Stewardessen reißen die Tickets ab und zeigen den Weg ins Flugzeug. Inzwischen haben alle Frauen ihre Mäntel und Tücher an. Wir steigen die Maschine, setzen uns hin. Zwischen der Economy- und der Business-Class ist neben der Toilette noch ein kleiner Raum durch Vorhänge abgetrennt: der Flugzeug-Gebetsraum.
Nach einer Weile werden Bildschirme aus der Flugzeugdecke ausgefahren. Eine dunkle Stimme singt etwas, das wie Koranverse klingt. Auf dem Bildschirm erscheinen verschlungene arabische Schriftzeichen, dann Millionen Menschen, die die Mekkaer Kaaba umrunden, und schließlich eine Moschee. Ein Lichtblitz hebt sich vom Boden, umkreist die Erdkugel und verwandelt sich in ein Flugzeug. “Iran Air - the airline of the Islamic Republic of Iran” verkündet eine sonore Stimme. Dann machen Gebet und Moscheen den Sicherheitshinweisen Platz.
Neben mir sitzt ein Iraner, der aus geschäftlichen Gründen unterwegs ist. Er importiert Wurstmaschinen. Nach viereinhalb Stunden Flug, unterbrochen von Mittagessen und einem iranischen Liebes- und Eifersuchtsfilm, dessen einziger Unterschied zu deutschen Filmen dieser Art darin besteht, dass die Schauspielerinnen Kopftuch tragen, kommen wir endlich in Teheran an. Eine Stimme kündigt die Landung an, unter uns leuchtet die Millionenstadt und auch die letzten Frauen rücken ihr nach hinten gerutschtes Kopftuch zurecht. Das Flugzeug setzt auf der Landebahn auf - und wir sind da.
Hier in Teheran werden wir die nächsten Tage verbringen und dann von diesem Flughafen aus unsere Rundreise durch das Land beginnen. Inlandsflüge sind im Iran sehr üblich und kosten ungefähr so viel wie eine einstündige Bahnfahrt in Deutschland.
Am Flughafen holt uns unser iranischer Freund ab. Er hat einige Jahre in Deutschland gelebt. Jetzt ist er in seine Heimatstadt Teheran zurückgekehrt und hat uns bereits zum zweiten Mal eingeladen, sein Land und seine Familie zu besuchen und kennen zu lernen.
Schulbesuch in Teheran
Mit einer seiner Nichten, sie heißt Haleh, gehe ich am nächsten Tag in die Schule. Es ist eine der besten Schulen Teherans, wie ihre Freundin mir sagt, denn: “Wir sind frei hier. Wir können mit unseren Haaren machen, was wir wollen und kriegen keinen Ärger, wenn wir uns schminken.” Ich war vor drei Jahren schon einmal hier und habe mir iranischen Englischunterricht angeschaut, der nicht sehr anders war als Englischunterricht in Deutschland.
Heute allerdings findet kein Unterricht statt. Weil es einer der letzten Schultage vor den kurzen Ferien zum 25. Jubiläum der Islamischen Revolution ist, gibt es stattdessen einige Feierlichkeiten mit Erklärungen auf Farsi, die ich nicht verstehe, und iranische Popmusik, gespielt von einer Band, die offenbar extra hierfür eingeladen wurde. Neben mir sitzt ein Mädchen in meinem Alter, die mich sofort anspricht. Wo ich herkomme, will sie wissen, wie mir der Iran gefällt und was ich für Musik höre. Sie hört Marylin Manson, den findet sie “interessant”. Wir tauschen Email-Adressen aus.
Nach einiger Zeit Iran-Pop beschließen Haleh und ihre Freundinnen, dass der Sänger schlecht ist und zeigen mir und meiner Schwester die Schule. Groß ist sie nicht, nur etwa 200 Schülerinnen lernen hier, alles Mädchen. Gemischte Schulen gibt es im Iran nicht. In jedem der kleinen Klassenräume hängen zwei kleine Bilder von Khamenei und Khomeni, dem religiösen Führer des Landes und seinem Vorgänger. An der Tafel stehen mathematische Gleichungen in persischer Schrift. Die Mädchen lassen ihre Kopftücher herunterrutschen, begeistern sich für meine blonden Haare, erzählen und wollen viel über Deutschland und unsere Reise in den Iran wissen. Etwas Deutsch können sie auch schon: “Hallo” und “Ich liebe Dich.”
Halehs Schule liegt im reichen Norden der Stadt. Je weiter nach Norden und in Richtung der Berge man in Teheran kommt, desto wohlhabender sehen die Häuser aus, desto kürzer werden die Mäntel der Frauen und desto mehr Haar guckt unter den Kopftüchern hervor.
Basarbesuch im Süden Teherans
Im Süden der Stadt besuchen wir an einem der nächsten Tage einen Freitagsbasar. Ein Freitagsbasar ist eine Art Flohmarkt, der regelmäßig jeden Freitag, dem freien Tag in der muslimischen Welt, stattfindet. In Teheran gibt es mehrere davon. “Unser” Freitagsbasar findet in skurriler Atmosphäre in einem Parkhaus statt, die Luft ist dementsprechend schlecht. Auf dem Fußboden sind Decken mit allem möglichen Krimskrams ausgebreitet: wunderschöne alte Teekannen, Messingtabletts, verschiedenste Türklopfer, Schmuck, Kristallgläser, Silberdosen und so weiter. Zwischen den Decken drängen sich die Menschen, begutachten die angebotenen Dinge, verhandeln den Preis.
Ich, mit meinen blauen Augen, den blonden, unter dem Kopftuch hervorguckenden Haaren und mangelnden Farsi-(Persisch)Kenntnissen, werde gleich als Ausländerin identifiziert. Was daher sämtliche Preise, nach denen ich frage, in die Höhe treibt. Ich kaufe eine Messingkanne, die laut dem Verkäufer hundert Jahre alt ist, wie übrigens alles hier, einschließlich eines kleinen Plastikflugzeugs, dass unter leisem Quietschen im Kreis fährt. Auf einer anderen Decke stapeln sich Türklopfer, wie man sie an alten iranischen Häusern sieht. Es gibt zwei verschiedene Sorten: einen in Form einer Hand für Männer und einen herzförmigen für Frauen, die beim Klopfen unterschiedlich klingen.
Auf der Straße spricht mich ein Mädchen an: ”Where are you from?” “From Germany”, antworte ich. Wir werden häufig auf der Straße angesprochen, von Menschen, die uns als Ausländer erkennen und sich daher einfach für uns interessieren. Wo wir herkommen, wie uns der Iran gefällt, was wir hier machen oder was Menschen in Deutschland über den Iran denken, sind typische Fragen. Man freut sich einfach, Ausländer zu treffen. Manche wollen uns zu sich nach Hause einladen. “I am so glad to meet you” antwortet das Mädchen (“Ich freue mich sehr, Dich zu treffen”.) Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll. “Ich mich auch”, vielleicht?
Schreinbesuch in Quazwin
In Qazwin, einer Stadt westlich von Teheran, besuchen wir einen “Imamsadeh”, den Schrein eines Angehörigen eines Imams. Die Imame sind, folgt man der schiitischen Überlieferung, die Nachfolger Mohammeds. Der Zwölfte Imam ist “entrückt” und wird irgendwann wiederkehren und Gottes Reich auf Erden gründen. Alle Imame und ihre Angehörigen genießen im Iran extreme Hochachtung und sind in zahlreichen Schreinen im ganzen Land aufgebahrt.
In Qazwin steht das reich geschmückte Schrein-Exemplar eines Sohnes von Imam Hussain. Im Innenhof herrscht fröhliches Treiben. Der eigentliche Zugang zum Schrein ist in zwei Teile geteilt, einen Männer- und einen Frauenteil. Im Vorraum des Schreins geben wir unsere Schule ab und leihen uns einen Tschador, ein großes, unten rund geschnittenes Tuch, dass vom Kopf bis fast auf den Fußboden reicht und das man immer unter dem Kinn festhalten muss. Eine Iranerin zeigt mir, wie man sich den Tschador richtig umlegt, aber ich als Europäerin bin noch etwas ungeübt – mir rutscht unten drunter das Kopftuch weg.
So verhüllt betreten wir den Raum, in dem der eigentliche Schrein steht. Auf der rechten Seite des zum großen Teil verspiegelten Raums steht der Sarg des Imam-Sohns, halb hinter der Wand, die den Männer-Bereich abtrennt. Drumherum sitzen und stehen Frauen jeden Alters. Sie unterhalten sich oder beten, in einer Ecke schlafen zwei Frauen in ihre Tschadore gewickelt. Einige küssen das Gitter, das um den Schrein herum verläuft, und schieben Geldscheine durch dafür vorgesehene Schlitze. Andere trinken Tee aus einer Thermoskanne. Es herrscht eine Mischung aus unglaublicher Frömmigkeit und entspannter Natürlichkeit, die in einer Kirche in Deutschland nicht vorstellbar wäre. Ich stelle mich an den Rand und beobachte das Ganze, bis eine alte Frau mich antippt und mir bedeutet, ich könne ruhig näher an den Schrein kommen. Offensichtlich dachte sie, ich traue mich nicht richtig, in den Raum zu gehen.
Am Ausgang steht eine junge Frau, die jeder, die den Schrein verlässt, eine Rolle aus Brot, Feta und Sabsi (ein Kraut ähnlich wie Schnittlauch) in die Hand drückt. Wahrscheinlich sind ihre Gebete erhört worden, und sie bedankt sich auf diese Weise. Während wir im Innenhof stehen und uns unterhalten, kommt eine andere Frau mit einer Flasche Rosenwasser. Wir sollen unsere Hände öffnen, sie gießt etwas hinein und bedeutet uns, es auf unseren Kleidern zu verteilen. Auch ein Dank an Allah?
Wüstenbesuch in Yazd
Eine weitere Station unserer Reise heißt Yazd, eine Wüstenstadt mit wunderschöner Altstadt aus Lehmhäusern. Im Flugzeug dorthin lernen wir eine iranische Studentin kennen. Sie redet über ihr Studium, die kommende Parlamentswahl und die Situation im Allgemeinen. “Wir lieben unser Land. Aber nicht unsere Regierung”, sagt sie. Diese Haltung dürfte für viele Iraner stellvertretend sein.
Yazd hat neben zwei sehr schönen Moscheen auch einen wichtigen Feuertempel und ist das Zentrum der Zoroastrier im Iran. Der Zoroastrismus ist eine sehr alte Religion, wahrscheinlich die älteste monotheistische Religion der Welt, die auf den Propheten Zarathustra zurückgeht. Sie war die dominierende Religion im Persischen Reich, hat aber seitdem deutlich an Einfluss und Anhängern verloren. Die meisten Zoroastrier leben heute in Indien, wo sie als “Parsen” bekannt sind. In Yazd gibt es noch einige Tempel und Pilgerstätten, wo die Zoroastrier ihre Feste feiern können. Einige religiöse Zeremonien seien zwar verboten, aber die Situation habe sich schon deutlich entspannt, seit Chatami Präsident ist, erzählt mir ein Fremdenführer. Chatami kommt aus einem zoroastrischen Wohnviertel in der Nähe von Yazd.
Zoroastriern gegenüber sind die meisten Leute, mit denen wir sprechen, sehr tolerant. Der Nationalstolz vieler Iraner erstreckt sich auch auf diese “persische” Religion. Gegenüber Juden allerdings spürt man oft Ablehnung, obwohl Judentum, Christentum und Zoroastrismus als einzige Religionen außer dem Islam in der iranischen Verfassung als Buchreligionen anerkannt und damit erlaubt sind. Sie haben als religiöse Minderheiten auch Anrecht auf eigene Parlamentsabgeordnete.
In einem zoroastrischen Heiligtum findet, als wir es gerade besichtigen wollen, eine Verlobung statt. Hinter verschlossenen Türen wird gefeiert und getanzt. Wir werden hereingelassen, begrüßt und sollen uns mit den Verlobungsgästen in einer Reihe aufstellen und das Paar beklatschen. Ein älterer Mann führt uns in den eigentlichen Tempel, einen kleinen, weiß gekachelten Raum. In einer Ecke sitzt ein Mann und betet. Eine Frau liest in der Awesta, der Heiligen Schrift der Zoroastrier. Als wir wieder hinausgehen, kommt uns die Verlobungsgesellschaft entgegen, die fröhlich und musizierend in den kleinen Tempelraum einzieht. Man bietet uns Süßigkeiten, kleine Kuchen und ein Rosenwassergetränk an. Ein Mann will wissen, ob wir schon einmal in Mainz waren. Sein Sohn wohnt dort seit “ungefähr fünfundzwanzig Jahren”. Genau vor 25 Jahren war im Iran Islamische Revolution.
In Yazd, wie in den meisten Städten (abgesehen von Nordteheran), trägt ein Großteil der Frauen einen schwarzen Tschador. Das lange Tuch weht hinter ihnen her, wenn sie hinten auf einem der unzähligen Mopeds sitzen, die Irans Verkehr unsicher machen. Und wenn sie mal keine Hand frei haben, um es unter ihrem Kinn fest zu halten, klemmen sie es sich entweder zwischen die Zähne oder kaufen gleich die praktischere Version mit eingenähtem Gummiband.
Für manche Frauen mit wenig Geld ist der Tschador, der, anders als das Kopftuch, nicht gesetzlich vorgeschrieben ist, wahrscheinlich die einfachste Möglichkeit, sich zu kleiden. Andere legen aber durchaus großen Wert darauf, was sie unter dem langen Schleier tragen. Bei Einigen ragen spitze Stöckelschuhe heraus – frommer schiitischer Islam vermischt mit modernem Mode-Bewusstsein. Diese verblüffende Mischung begegnet uns immer wieder. Im Innenhof des Fatima-Mausoleums in Qom zum Beispiel, einem der heiligsten Orte im Iran, weist ein Schild auf einen Computerraum innerhalb der Schreinanlage hin, mit Internetzugang für die Pilger.
In den Straßen wurden inzwischen die großflächigen Transparente über den glorreichen Sieg der Islamischen Revolution vor 25 Jahren, die bei unserer Ankunft im Iran noch alle Plätze, Verkehrsinseln und Laternenmasten schmückten, durch schwarze, grüne und blutrote Fahnen für das nahende Ashurafest ersetzt.
Auf dem Weg von Yazd zurück nach Teheran übernachten wir in Kashan. In einem urigen und gemütlichen Teehaus, das noch vor dreißig Jahren ein öffentliches Badehaus war, empfängt uns sofort der Besitzer des Hauses, der sich sehr über seine deutschen Gäste freut. “Germans are nice”, findet er. Er kennt den deutschen Botschafter. Der war auch schon in seinem Teehaus, berichtet er stolz. Wir trinken Tee, rauchen Wasserpfeife und bestaunen seine beiden zahmen Vögel, von denen einer fast immer auf seinem Kopf thront und auf die Frage “Wie macht die Katze?” “Miau” antworten kann.
Nach zwei Wochen in einer ganz anderen Kultur geht es schließlich nach Deutschland zurück. Auf dem Frankfurter Flughafen setzte ich mein Kopftuch ab. Es ist merkwürdig, plötzlich ohne das Tuch auf die Straße gehen zu können. Der Verkehr wirkt gegen das unglaubliche Chaos auf den Teheraner Straßen ruhig. Keiner fährt auf der Gegenspur, nur weil da gerade frei ist. Im Flughafen gibt es keinen Pfeil in Richtung Mekka, und mittags ruft nicht der Muezzin von der nächsten Moschee. Wir sind nach zwei spannenden Wochen in einem Land voller Farben und Basare, voller politischer Probleme, die wir regelmäßig in deutschen Nachrichten hören, und vor allem voller lieber und gastfreundlicher Menschen, zurück in Deutschland angekommen.
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