Interview mit Lisa in Frankreich
Vor dem Finalspiel waren sich die Franzosen noch ganz sicher, dass der WM-Pokal diesmal wieder bei ihnen landen wird. In Radio SPUTNIK erzählt Lisa live aus Frankreich vom Place de la Bastille, wie französische Auto- und Busfahrer mit einem Hupkonzert ihre Mannschaft anfeuern.
[file 2 left][file 3 right]Chez Luigi hieß die Bar, in der wir letzten Endes doch noch ein Plätzchen fanden, um das Spiel Frankreich gegen Portugal zu sehen. Und relativ schnell wurde uns klar, warum dieser Italiener nicht genauso ausgebucht war wie die anderen Kneipen in der Umgebung - allein ein Blick auf das Team reichte dafür: ein dynamischer, junger Kellner, eine Hochschwangere und zwei Omis. Eine von den Omis bereitete in der Küche die Speisen zu, kam zwischendurch mal nach vorne, um die anderen anzupfeifen, die andere Omi versuchte, die Gäste zu bedienen, wobei sie teilweise Bestellungen zweimal aufnahm, weil ihre Schrift unlesbar war oder sie einfach nur vergessen hatte, was die werten Gäste wollten.
Der einzige Dynamiker im Team packte sich regelmäßig an den Kopf, erzählte uns, dass er sich eventuell am Ende des Abends eine Kugel in denselben jagen würde und rannte verzweifelt vom einen Ende des Saales zum anderen, um die Gäste doch noch zufrieden zu stellen (selbst wenn diese zuvor von der verwirrten Großmutter bedient worden waren). Gleichzeitig schleppte Monsieur (leider haben wir vergessen zu fragen, ob er der berühmte Luigi sei) einen Stuhl mit sich herum, auf den er bei Bedarf die Karte des Hauses stellte, die aus einer großen Kreidetafel bestand und von der es nur eine gab. Das machte natürlich die Einzigartigkeit des Hauses aus – genauso wie die Tatsache, dass es obwohl Italiener keine Pizza bei ihnen gab: „Pizza machen hier alle“, meinte Luigi dazu. „Wir haben uns auf Nudeln spezialisiert.“ Was nicht hieß, dass die Auswahl an Nudeln besonders groß gewesen wäre, sie beschränkte sich auf vier Gerichte, was vielleicht jedoch ratsam erschien angesichts der Dynamik des Restaurantteams.
Völlig begeistert von dieser High-Tech-Stimmung pflanzten Natalya, Marion und ich uns an einen der Tische, gerade noch im Blickfeld des einzigen Fernsehers des Raumes. Der war sichtlich auch nicht mehr der Jüngste, funktionierte mit Antenne und jedes Mal, wenn eine U-Bahn vorbeifuhr, fing er an zu rauschen, das Bild wurde schwarzweiß und verschwand teilweise komplett. Schlimmer wurde dieser Zustand, als Luigi in den Keller musste, denn die Klappe zu diesem befand sich unter dem Fernseher, der daraufhin auf die Theke verfrachtet wurde. Dort befand er sich aber nicht mehr wirklich in unserem Blickfeld und nachdem ich die imaginäre Schlammschlacht mit einem der Befürworter des Thekenplatzes verloren hatte, einigten wir uns darauf, den Fernseher wenigstens etwas in unsere Richtung zu drehen.
Unser nun eingeschränktes Blickfeld wurde noch weiter eingeschränkt dadurch, dass Luigi zwischendurch immer wieder Bier- und Weingläser auf die Theke stellte, die Lampe im Weg stand oder auch Luigi selber sich zwischen Fernseher und uns postierte. Letzten Endes jedoch verpassten wir keins der Tore (gab ja nur eins) und wussten mindestens durch die Jubelschreie der anderen, wann Barthez mal wieder ein gegnerisches Tor abgewehrt hatte.
Die Niederlage der Deutschen am Abend zuvor hatte ich noch nicht so ganz verkraftet und dementsprechend fiel es mir schwer, die Franzosen zu unterstützen, die sich doch am Tag zuvor alle so für Italien gefreut hatten. Letzten Endes blieb mir aber keine Wahl, wollte ich doch nicht, dass alle Franzosen urplötzlich über mich herfielen oder Luigi die Freude über sein Thekenteam an mir ausließ.
So hob ich beim Tor mechanisch die Arme und jubelte mit den anderen Gästen am Ende des Spiels und winkte den vorbeifahrenden Feiernden nach dem Spiel zu. Zu Hause angekommen schloss ich aber dann doch das Fenster und legte mich ins Bett - süße Träume einem wilden Franzosenhupkonzert vorziehend.
L.
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Wie King-Kong...
...bin ich gestern nach Hause gelaufen: mit erhobenen Händen und ouuuu schreiend. Schließlich musste ich ja all den hupenden und schreienden Menschen auf Rollern, in Autos, ja sogar in Bussen antworten. Und begeistert waren die natürlich von dem drei zu eins Frankreichs gegen Spanien im Achtelfinale.
Das Spiel hatte ich bei Cécile und JB gesehen, mit Céciles kleiner Schwester Lucie und Marion. So sitzen wir also Pizza mümmelnd vor dem Bildschirm, beobachten, wie die weiße Kugel von einem Ende ans andere geschossen wird. „2:1“, prognostiziert Cécile den Spielausgang und gespannt wie Flitzebogen sitzen die kleinen Franzosen neben mir, hüpfen jedes Mal in die Höhe, wenn der Ball auch nur in die Nähe eines Tors kommt. In der 28sten Minute ist es dann soweit: David Villa schießt das eins zu null für Spanien - trotz aller „bonnes ondes" (gute Wellen), die die Franzosen neben mir auf das Feld schicken.
Enttäuscht schreit JB „A, nooon!" und packt sich an den Kopf. Cécile sackt auf ihrem Stuhl zusammen. „Naja, ist ja auch nur Fußball", meint sie. Und eigentlich wär’ sie sowieso dafür, dass der Bessere gewinne. „Schließlich ist es nur ein kleiner, weißer Ball", fügt Marion neben mir hinzu.
Ganz verdattert von der Hoffnungslosigkeit um mich rum bin ich, hoffe nur, dass die Franzosen bald ihren französischen Allerwertesten in Richtung spanisches Tor bewegen und den kleinen, weißen Ball im spanischen Netz versenken - sonst sehe ich mich schon vier Franzosen auf einmal trösten...
Ribery setzt der Trauer in der 41. Minute endlich ein Ende, schießt den Ausgleich. Ein Freudentaumel bricht aus, in der kleinen Wohnung im Quartier Latin. Von draußen hören wir Siegesschreie, die Party hat ihren Anfang gefunden.
Beim drei zu eins hüpft sogar Marion in die Höhe und schreit „Yeah" - Marion, die bei den Toren davor (für Frankreich) nur glücklich vor sich hingrinste und -gluckste.
Und als der Abpfiff ertönt, ist ganz Paris nicht mehr zu halten: von überall her ist ein Hupen zu hören, Leuten schreien laut, liegen sich in den Armen und ich bin sicher, diese Nacht gibt es mindestens doppelt so viel Verkehr wie normalerweise in unserer kleinen Hauptstadt.
So werde ich von dieser Woge der Begeisterung förmlich in die U-Bahn getragen, sie begleitet mich hinein und bis nach Villejuif an mein Haus. Ob die mich heute Nacht wohl schlafen lassen? frage ich mich nur, als ich durch meinen kleinen Vorgarten auf mein kleines Haus zulaufe.
L.
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Franzosen: heimliche Deutschland-Fans?
Lisa hat sich entschieden, in Paris zu bleiben, ihren Master zu machen und als freie Journalistin dort zu arbeiten. Deshalb ist sie ständig auf der Suche nach Themen, Neuigkeiten und Events. Perfekte Voraussetzung für das WM-Special vom Youthreporter, um sich als WM-Berichterstatterin zu behaupten. Lisa freut sich sehr, von der WM-Stimmung zu berichten, da sie der festen Überzeugung ist, dass Fußball die Menschen vereint.
Lisa ist von Paris begeistert: „Dort gibt es einfach so vieles zu entdecken, dass ich nie genug davon bekomme“, sagt sie. An der Fußball-Stimmung schätzt sie den Zusammenhalt, der neu entsteht: „Für eine kurze Zeit haben alle dasselbe Ziel, fiebern alle mit ihrem Land mit und drücken die Daumen, dass das nächste Tor nicht ins eigene Netz geht“, erzählt sie. Ein direkter Fußballfan ist Lisa nicht. Trotzdem schaut sie sich gerne Fußball mit anderen Menschen an, „einfach, um die Stimmung mitzubekommen und mitzufiebern“, wie sie es nennt.
Wie ist die WM-Stimmung in Frankreich?
Im Alltag hat die WM in Frankreich laut Lisa nicht viel verändert. Große Vorbereitungen finden in Paris nicht statt. Nur in den Medien und im Handel nimmt die WM viel Raum ein. „Was man überall sieht, sind Fernsehwerbungen, die sagen: „Nur bei uns können sie alle Spiele live miterleben": Außerdem sind da natürlich Geschäfte, die versuchen, mit der WM Werbung für ihre Produkte zu machen, stellt Lisa fest.
In Frankreich hat Deutschland als WM-Gastgeber einen guten Stand, berichtet Lisa, trotz der verbreiteten Klischees. „Die Deutschen gelten in Frankreich als ordentlich, kalt und streng.“ Diese Plattitüden beeinflussen jedoch keineswegs das Urteil, das die Franzosen über die Chancen der deutschen Elf bei der WM fällen. „Für die deutsche Mannschaft sehen die Franzosen eine größere Chance zu gewinnen als für die französische. Dies tun sie allerdings nicht öffentlich, sondern heimlich“, sagt Lisa.
Die drei Wenn’s eines Nicht-Fans
Wenn ich keine Lust auf Fußball habe, „dann spiele ich Tennis oder laufe Inliner."
Wenn es Fußball nicht gäbe, „dann würden Kneipen nur halb so viel verdienen."
Wenn mich einer nach der Abseitsregel fragt, „dann fang ich an zu singen."
Und der schönste Fußballspieler? „Ich weiß, er ist der Trainer und kein Spieler – aber ich find Jürgen Klinsmann super!“