Interval 100: 100 Stunden Non-Stop House und Techno in Bukarest
Seit dem tödlichen Brandunglück im Bukarester Nachtclub Colectiv befindet sich das rumänische Nachtleben in einer Umbruchphase. Ausgerechnet zu dieser schwierigen Zeit möchten die Macher des Interval Festivals einen 100 Stunden Non-stop Rave organisieren und müssen dabei einige Herausforderungen bewältigen.
„The longest musical event in European nightlife history“ – dieses Statement begeisterte zahlreiche Medien der elektronischen Musikszene und lockte Technotouristen aus ganz Europa in die rumänische Hauptstadt. Trotzdem läuft der Ticketverkauf nur schleppend an. Um die mediale Aufmerksamkeit zu erhöhen stocken die Organisatoren auf – mit zahlreichen internationalen DJs im Line Up.
Doch seit dem tödlichen Unfall im Colectiv hat sich einiges verändert. Die Betreiber des Colectiv hatten die Behörden bestochen um trotz mangelnden Sicherheitsvorkehrungen den Club zu nutzen. Als es zu einem Brand kam starben mindestens 27 Menschen.
Das Dauerproblem Korruption geriet wieder in den Fokus und anhaltende Demonstrationen bewirken den Rücktritt des rumänischen Ministerpräsidenten Victor Ponta.
Doch auch das Nachtleben soll sich jetzt verändern. Der Club Colectiv hat nie eine Genehmigung für sein Sicherheitskonzept bekommen und konnte nur durch Korruption existieren. Nach dem Unglück änderten sich die Zustände: Clubs wurden kontrolliert und die Brandschutzregelungen erheblich verschärft.
Das betrifft auch das Interval Festival, denn die Suche nach einer Location wird deutlich schwieriger. Viele Clubs werden geschlossen, erhalten Geldstrafen und müssen mit ihren Sicherheitsmaßnahmen nachrüsten. Ursprünglich sollte der Event in 3 verschiedenen Clubs stattfinden. Ein paar Tage vor Veranstaltungsbeginn wird öffentlich, dass der neoklassizistische Palast bzw. Club Eden nicht sicher genug ist. Die Besitzer bekommen eine Geldstrafe und müssen dem Interval Festival absagen. Ein paar Stunden vor Veranstaltungsbeginn verkündet das Interval Festival über Facebook, dass es nur einen einzigen Club geben wird. Der Club Guesthouse hat es nicht rechtzeitig geschafft nachzurüsten um den neuen Sicherheitsbestimmungen gerecht zu werden. Somit muss natürlich auch ein großer Teil des Line Up’s gestrichen werden. Die wütenden Raver, die zum Teil große Distanzen angereist sind machen ihrem Ärger Luft. Sie kündigen an nicht zu kommen und ihre Karten zu verkaufen.
Währenddessen beschließen die Veranstalter das Festival trotz aller Rückschläge stattfinden zu lassen. Zu sehr haben sie sich darauf gefreut, zu viel Energie hinein investiert als das sie nun alles so kurzfristig absagen wollten. Während die ersten Tänzer ankommen beginnt der Veranstalter Verluste zu machen. Die wenigen Ticketverkäufe zu dem geringen Preis können die Gagen und die Miete nicht decken. Einige Interpreten befinden sich bereits in Bukarest als sie erfahren, dass ihr Gig gecancelt wurde. Viele DJs beschließen aus Solidarität auf ihre Gagen zu verzichten.
Trotz allem ist das Publikum zufrieden. Ein Line Up, wie es Bukarest noch nie zuvor gesehen hat bringt die Stadt tagelang zum Beben. Selbst am späten Morgen ist die Tanzfläche noch gut gefüllt, als die Resident DJs aus dem Berliner Berghain auflegen. Während der große Floor vor allem harten Techno auf einem soliden Soundsystem bietet, gepaart mit hypnotisierenden Visuals stellt der kleine Floor eine hervorragende Abwechslung dar. Hier sieht man weniger schwarzgekleidete Techno-Gothics mit ernsten Mienen, dafür ein ziemlich ausgelassenes Feierpublikum, das bei House und Disco Musik voller Euphorie die Hände in die Luft streckt.
Sehr angenehm ist die Atmosphäre, da der DJ hier oft selbst Teil der Crowd wird. Stundenlang sehe ich den französischen DJ Bambounou nachmittags neben mir tanzen, bevor er gegen Abend an die Decks geht. Besonders sympathisch: als ein paar Teenies auf der Tanzfläche auf ihrem Handys tippen statt zu tanzen, wird der Meister schon mal wütend und erteilt eine Lektion, wie man sich in einem Nachtclub zu benehmen hat ;-). Auch andere DJs zelebrieren sich nicht als Stars sondern sind zum Small Talk aufgelegt. Wer mal kurz auf die Bühne will um dem DJ beim Handwerk zuzusehen – auch kein Problem!
104 Stunden zählen die Veranstalter am Ende – das Versprechen, das längste Musikevent der europäischen Geschichte zu veranstalten haben sie damit gehalten. Das versprochene Line Up leider nicht. Nach dem Festival ist vor dem Festival – eine lange Zeit melden sich die Veranstalter erst einmal nicht. Doch es hilft nichts, wie oft man das Geld auch zählt, am Ende steht da ein Minus. Besonders hart: jetzt stehen einige Reklamationen an, von Ticketinhabern, die nicht am Festival teilnehmen wollten und jetzt ihr Geld zurück haben wollen – und das laut Veranstaltern auch bekommen sollen. Die Veranstalter bitten um Aufschiebung: statt der Angekündigten 30 Tage wollen sie nun 90 Tage Zeit bekommen, das Geld aufzutreiben. Die Augenringe, die die Veranstalter schon während dem Event geziert haben werden sicher weiter wachsen.
„Wir werden nicht aufgeben und das war nur der Anfang. Wir wollen in Zukunft zahlreiche weitere 100 Stunden Partys veranstalten.“
Viel Erfolg!
PS: Fotos gibt es diesmal nicht – wer hat denn schon Lust auf so einer Party seine Zeit zu verschwenden? Auf Facebook gibt es eine Bildergalerie: https://www.facebook.com/media/set/?set=a.467950730059686.1073741835.407652139422879&type=3
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