In einem Land vor unserer Zeit – Die Yorkshire Dales & Leeds
Vier Tage auswärtiger Arbeitseinsatz haben Johannson körperliche Schwerstarbeit abverlangt. Doch er wäre nicht Johannson, hätte er diese Gelegenheit nicht beim Schopfe gepackt, um bei Bergwanderungen und während des anschließenden Wochenendes die Gegend um York zu erkunden.
Das Grüne Tal
Kennt Ihr noch „In einem Land vor unserer Zeit“? Diesen Disney Zeichentrickfilm mit Dinosauriern? Als ich mir damals meinen Arm gebrochen hatte und im Krankenhaus Vorzugsbehandlung bekam, lag ich in einem Zimmer ausgestattet mit neuester High-Tech: einem Videorekorder. Dort hab ich mir diesen Film so exzessiv und wiederholt rein gezogen wie es nur Kinder können. Mit Littlefoot, dem kleinen „Langhals“, und Zora, dem kleinen aggressiven „Dreihorn“-Mädchen. Und Petri! Der kleine tollpatschige Flugsaurier. Pitri, Pitri! Immer wieder mussten sie vor dem bösen Scharfzahn fliehen. Und wozu das alles? Weil ein Meteor sämtliche Eltern, Verwandten und bekannten Saurier effektiv auf den Weg zur Braunkohle geschickt hatte und die Erde als globales Middlesbrough zurück ließ. Kein leckeres Laub mehr für den kleinen Littlefoot. Jetzt mussten sie den einzigen Ort finden, an dem noch Futter wuchs: „Das Grüne Tal“. Ich bin da gewesen!
Entscheidungsdruck
Wie ich in den letzten Einträgen eher weniger angekündigt hatte, war ich letzte Woche von Dienstag bis Freitag für einen Arbeitseinsatz auf einem anderen National-Trust-Besitz eingeplant: Upper Wharfedale in den Yorkshire Dales, das ist nordwestlich von York. Organisiert von Peter Brabban wurden mir genaue Zieldaten erst kurz vorher geliefert. Und ich selbst hatte es schon halb vergessen, bis ich dann eines Nachmittags ganz plötzlich nach Durham fahren musste, um noch verbilligte Frühbucher-Tickets zu kaufen. Natürlich ein netter Weg, seine Arbeitszeit zu füllen.
Vorher fiel mir aber noch ganz plötzlich ein, dass ich ja über Leeds fahre und ich dort doch Leute kenne, bei denen ich vielleicht das anschließende Wochenende bleiben könnte. Also ran ans Telefon und glücklicherweise gleich Dana aus der Slowakei am Apparat. „Hey, ich bin Johannes, der große blonde Deutsche von den Trainings. Du erinnerst Dich wahrscheinlich nicht an mich, aber kann ich nächstes Wochenende bei Euch bleiben?“ „…“ „Tut mir leid, aber Du musst Dich sofort entscheiden.“ „…“ „Ja? Super!“
Tja, was hab ich Euch über Europäische Freiwillige erzählt? Na gut, um genau zu sein konnte sie sich erinnern und noch nichts völlig garantieren. Aber ich hab mir meine Rückkehr trotzdem auf letzten Sonntag gelegt und einfach mal vorausgesetzt, dass alles klappt. So konnte ich dann letzten Dienstagvormittag los.
Bahnhof
Weil Paul noch auf einem kleinen Urlaub war, konnte ich leider nicht Montagabend verschwinden. Was ärgerlich war, wo ich ohnehin schon so wenig Zeit in Yorkshire hatte. In York wäre ich dann fast noch verloren gegangen, weil auf der Zug dort auf einmal spontan endete und wir wechseln mussten. Die einzige so lautende Nachricht wurde per Lautsprecher durchgegeben, was mit Kopfhörern natürlich eher schlecht zu verstehen ist. Dann haben die uns zuerst über eine Brücke auf Plattform 10 gescheucht, wo wir uns wunderten, warum der nächste dort angekündigte Zug laut Plan zurück nach Newcastle fuhr. Eine Minute später kam dann die nächste Durchsage. Unser Fehler. Zurück über die Brücke zu Plattform 5. Normalerweise wäre das nicht mehr als nervig, aber versucht mal mit dieser bleischweren Reisetasche über Treppen zu sprinten.
Dienstag: Schöner wohnen
So bin ich erst Dienstagmittag in Skipton angekommen, wo ich vom örtlichen Warden abgeholt wurde, Peter Kadic. Noch Essen für vier Tage eingekauft und ab ging es in die berühmten Yorkshire Dales. Eine halbe Stunde Fahrt offenbarte, weshalb sie so bekannt sind: Lange, grüne Täler mit kleinen, steingrauen Dörfern wie Perlen an der Schnur der Flüsse in der Mitte zwischen den Bergen. Auch hier ist Mareen schon vor mir gewesen.
Mit Peter Brabbans Zuständigkeit bis dort unten reichend ist das Upper Wharfdale property scheinbar eine allgemeine Anlaufstelle für Europäische Freiwillige aus Durham. Denn neben Mareen war auch Lisa Reinbothe schon dort gewesen, nur beide weit länger als ich. Dafür wurde mir Premium-Unterkunft zuteil. Gewohnt habe ich nämlich in einem zum Wohnhaus konvertierten ehemaligen Stall mit allem Komfort. Gerade erst vor zwei Jahren eingerichtet war alles topmodern. Er ist für bis zu zwölf Freiwillige auf working holidays ausgelegt; mit Bädern, Küche, großem Wohnzimmer. Und ich hatte alles ganz für mich allein.
Normalerweise wohnt dort eine 40-jährige Azubine, Mel, die gerade von Sozialarbeiterin auf praktisches Arbeiten in der Natur umsteigt. Lieber Gott, lass mich weise genug entscheiden, nicht in der Mitte meines Lebens umdrehen zu müssen.
Wo die Reichen Urlaub machen
Mein Wohnort selbst hieß Buckden und ist ein typisches, winziges Dorf mit einem Pub, einem kleinen Laden sowie einem ebenso kleinen Geschäft für Kunst und Souvenirs. Wie die ganze Region, ist es ziemlich wohlhabend. Wobei das wahrscheinlich für die halbe Welt zutrifft, wenn man Easington Colliery als Standard nimmt. Natürlich viele Touristen, hauptsächlich Holländer, und ich schätze mal, ich war der einzige unter 50.
Bevor man sich einen Urlaub geschweige denn ein Haus dort leisten kann, muss man nämlich einige Jahre arbeiten oder etwas Illegales tun. Der Trust besitzt dort aufgrund einer massiven Schenkung fast das gesamte Upper Wharfdale und noch weiteren Grundbesitz in anderen Tälern. Wie in Wallington schließt das neun Farmen und ganze Dörfer mit ein. Ein altes Haus wurde zu einer Urlaubsherberge für Bestverdienende umgebaut, die man sich für tausend Pfund die Woche mieten kann. Bei den ohnehin irrsinnigen Hauspreisen in diesem Land würden einige Verkäufe auf dieser Besitzung den Trust vermutlich aus sämtlichen Finanzsorgen katapultieren.
Nostalgieabend
Am Tag meiner Ankunft hab ich mich aber erst einmal nicht mit solchen Gedanken aufgehalten, sondern nur meine Sachen in den Raum meiner Wahl geschmissen und bin zur Nachmittagsschicht gefahren. Das war nicht mehr zu tun, als ein neues Tor aufzuhängen und einige Löcher in einem Zaun zu stopfen. Dann war auch schon Feierabend.
Ich wurde wieder nach Hause gefahren, was auch ganz gut war, denn ich war verdammt müde. Ich hab meine Sachen auch weiterhin nicht geordnet, sondern nur Abendbrot gemacht und einen Film geguckt. Ja gut, die sinnloseste Beschäftigung wenn man nur drei Tage in einer der schönsten Landschaften der Insel ist. Aber Ihr habt keine Ahnung wie fertig ich war. Jeder noch so schöne Eindruck wäre reine Verschwendung gewesen, da gar nicht erst in mein Bewusstsein vordringend. Auf der anderen Seite ganz gut, wenn man sich „Captain Morelli’s Mandolin“ antut. Das war übrigens auf V-I-D-E-O. Kennt Ihr das noch? Diese klobigen Dinger mit Bändern und so? Mit Vor- und Zurückspulen müssen? So ohne Menü und Szenenwahl. Ich hatte das mal im Krankenhaus als ich klein war…
Kneipenkultur
Danach bin ich noch für eine Stunde in den örtlichen Pub gegangen. Mensch, war das schön. Ein richtiger, ordentlicher, gemütlicher Pub fast nebenan. Natürlich recht teuer, aber wo man nur drei Abende da ist und sonst nur Easington hat... Keine Gefahr von Charverpräsenz. Nur reiche alte Holländer und ich mit einem Buch bis mir die Augen fast zugefallen sind. Ach ja, meine aktuellste Wahl ist Conrads „Heart of Darkness“, „Herz der Dunkelheit“ oder wie der deutsche Titel sein mag. Hab ich eher zufällig in einem Buchladen gefunden und sofort erfasst, dass das die Vorlage zum besten Film aller Zeiten, Apocalypse Now, sein muss. Hat mir ja vorher keiner gesagt.
Mittwoch: Wikingerpoetik
Am Mittwochmorgen stellte ich erstmal viel zu früh fest, dass a) ein Schlafzug ohne Decke dann doch etwas kühl ist und b) die Mücken scheinbar schon aktiv sind. Na zum Glück konnte ich noch zwei Stunden schlafen. Nach dem Aufstehen bin ich im Morgenlicht mit der romantischen Vorstellung von frisch gebackenem Brot und Obst blinzelnd zu diesem Dorfladen getorkelt, dann aber desillusioniert mit nur vier Postkarten gegangen. Also Frühstück ganz normal mit Cornflakes und Toast aus der Tüte, bloß kein Porrigde. Dafür Frühstückfernsehen, dass BBC-Kinderprogramm – das einzige Erträgliche, weil gar nicht erst Anspruch vortäuschend.
Kurz nach neun wurde ich dann abgeholt und zu Peter Kadics Haus/Basis gebracht. Das war eine Ansammlung von drei Häusern: Eins von ihm, zwei von Bauern, mit dem Namen Yokkentwhaite. Das heißt soviel wie „Jochens Rodung“ und stammt von den ursprünglich wikingerischen Siedlern, welche die hierzulande so erfolgreiche Tradition des Bäumefällens einführten. Daher übrigens auch der Name Wharfedale, wobei Wharfe „Fluss“ und dale „Tal“ bedeutet. Nicht besonders kreativ, zugegeben. Aber die waren eben sehr mit Bäumefällen beschäftigt.
Sachen kaputt machen III: Zerhacken
Ganz in der Tradition der Wikinger wurde mir dann auch eine Axt in die Hand gedrückt. Ihr könnt Euch vorstellen wie ich mich gefreut hab. Unsere Hauptbeschäftigung war nämlich die Demontage eines umgestürzten Baums. Nein, das war kein Wikinger, sondern der gleiche Sturm, der uns damals Anfang Januar um einige Schuppen ärmer gemacht hat. Peter hat zu meinem Neid die Motorsäge rausgeholt, aber ich war mit meiner Axt ja mehr als zufrieden. So hab ich den ganzen Vormittag seine abgesägten Baumscheiben in tragbare Stücke gehackt. Nicht anspruchsvoll, aber befriedigend.
Mittags dann Lunchpause auf einer kleinen Veranda seines Hauses und Büroteils. Äußerst angenehme Art sich zu erholen, mit Blick auf die Berge und seinen Garten. Mach das Wetter etwas besser und diese grauen Steinhäuser wären nicht zu unterscheiden von Dörfern in der Provence. Direkt davor lief sogar ein kleiner Fluss mit bizarr ausgewaschenem Bett durch den Fels, der sah original wie der Wildbach aus unseren Italienurlauben aus. Nur zu kalt halt und es gab auch so genug Wasser, von oben.
Dieser Peter Katic scheint ein äußerst sympathischer Mensch zu sein und wir konnten uns hervorragend unterhalten. Sein Vater war in den 40er Jahren aus Serbien emigriert, sodass nicht nur er die üblichen Fragen nach woher und wie lange stellen konnte. Seine Familie lebt heute an den schicksten Plätzen der Insel: London, Edinburgh und eben den Yorkshire Dales. Und schau an, der Ruhm des Elephant House’s reichte sogar bis dort unten.
Bergwandern I: Buckden Pike
Am Nachmittag haben wir nur weiter gesägt und gehackt, aber wegen eines Meetings hatte ich um drei Feierabend. Das war großartig, denn so konnte ich auf meine erste Wanderung gehen. Wobei man dort ohnehin nicht so die Auswahl hatte was die Freizeitbeschäftigungen angeht. Nachdem ich in Edinburgh gerade meinen ersten englischen Hügel erklommen hatte, ging es jetzt höher hinaus. Ich wohnte gleich neben dem Buckden Pike, dem höchsten Berg der näheren Umgebung. Nicht, dass der deswegen jetzt hoch war, nur etwas über 2000 Fuß, aber hey, besser als Durham. Also, Rucksack gepackt – ok, noch etwas Fernsehen – und rauf auf den Weg.
Ein Vogel?! Ein Flugzeug?! Nein, Meter-Mann!
Der führte mich nicht gleich aufwärts, sondern erstmal in die Dorfgalerie. Die wollte ich mir auch mal angucken. Eine Mischung aus lokaler Kunst und Souvenirs wurde geführt von einem älteren Mann, mit dem ich mich ein wenig unterhielt. Ziemlich vorsichtig sogar, da ich meinen ersten Weltkriegsveteranen vor mir hatte. Der hat mir ein wenig über die Gegend erzählt, über die Holländer, die besten Wanderrouten. Und er sah gleich, dass ich ein „Meter-Mann“ sein muss, der nichts mit Angaben in Fuß anfangen kann. Was inzwischen nicht mehr so ganz stimmt, aber trotzdem ziemlich lustig war. Meter-Mann, das bin ich. Seitdem lauf ich nur noch in einem blau-gelb-roten Kombi mit einem dicken roten M auf der Brust rum.
Der Berg blökt
Jetzt aber wirklich den Pfad hinauf, gleich nebenan und steinig. Um mich herum dutzende Hasen; Eltern und Babys und noch blutige Kadaver. Neben Hasen gibt es vor allem eins: Schafe. Tausende. Allein in unserem Tal halten die Bauern 1000 Schafe und jedes davon hat im Moment etwa zwei Lämmer. Wenn man einen Moment anhält und lauscht – und ich tat das oft – hörte man ein einziges Kontinuum von Blöken. Von fern und nah, laut und leise, dies- und jenseits des Tals.
Ansonsten war es nämlich still. Nach einigen hundert Metern hörte die begleitende Steinmauer auf und ich traf die letzten zurückkehrenden Touristen. Dann war ich allein mit dem Berg. Um fünf sind nämlich sämtliche anderen Besucher auf dem Rückweg oder längst zu Hause, in ihren warmen Wohnungen, oder bereits Essen in einem feinen, beheizten Pub. Nur Meter-Mann wandert in den Abend.
Ein Berg für mich allein
Der Abend war zwar nicht besonders warm oder sonnig – ehrlich gesagt sogar Regen versprechend – aber selbst für mich, von einer Farm, war der Natureindruck berührend. Immer höher und immer kühler und einsamer wurde es. Wie kann man es beschreiben, wenn man bereits eine Woche wieder zu Hause ist? Ich sollte meine Gedanken direkt abtippen können. Man vergisst soviel und zu Hause ist nicht mehr dieser Schwung und Elan.
Als ich erstmal den Hauptweg verlassen hatte, ging es eher auf einem Trampelpfad quer über die Felder und moorigen, felsigen, grünen Wiesen voller Büschel von starrem, dunklem Wildgras und weichem, nassem Moos. Auf den kahlen Hängen, zwischen hohl pfeifenden Windstössen, mit grauem Himmel und grauen Steinen, zwischen grünem Gras soweit man blicken kann; mit Schafen, denen jeder Besucher egal ist, hat man die größte Einsamkeit, die man sich wünschen kann.
Und so steige ich einen weiteren Weg hinauf, mit dem Gefühl, das Wesentliche nicht zu erfassen. Wie lang muss man in einem Ort bleiben, um es zu finden? Zu lang für ein Leben, wie ich fürchte.
Rentnerrandale?
Immer wieder musste ich stehen bleiben und schauen. Zurück ins Tal, die Hänge hinauf. Die anderen Hügel so kahl wie meiner, grün und grau mit den rostbraunen Flecken vertrockneter Farnfelder und vereinzelten Bäumen Über mir Vögel, die in den seltsamsten Tönen quieken wie ein C64. Ausgeblichene Hasenknochen überall, am Wegesrand hunderte lebende Exemplare, die in meinen Augenwinkeln in ihre Löcher huschen. Kein einziger weißer darunter, sehr schade. Ab und zu komme ich an National Trust Schildern mit hilfreichen Karten vorbei. In seinen 13 Jahren hier hatte Peter Kadic nur ein zerstörtes Schild. Und selbst das wundert einen ob den Bewohnern des Tals. Sind da mal durchgedrehte Rentner den Hügel hoch und haben das mit Keulen niedergeknüppelt? Ein einziges Stück Müll lag da rum. Ich hab es in einem Anflug von Verantwortungsgefühl als National-Trust-Freiwilliger eingesammelt.
Oben auf dem Hügel möcht ich sein
Die Hälfte des Aufstiegs hinter und einige schwarze Erdflecken vor mir. Ohne groß drauf zu achten geh ich darüber hinweg. Und zack, plötzlich ist mein ganzer Fuß weg. Verdammtes tiefes Schlammloch! Wie durch ein Wunder ist kaum was in meine Schuhe geraten. Weiter bergauf. Hinter mir beginnen sich, die nun unter mir liegenden Täler langsam mit Regen zu füllen. Plötzlich wird der Weg flacher und ich stehe vor dem Gipfelkreuz. Eine Schande, dass das Wetter keine besonders weiten Blicke zulässt.
So mache ich nur ein paar Beweisfotos, eine kleine Pause und schon geht es weiter, in der sinkenden Sonne dem weit längeren Abstieg entgegen. Der ist erstmal nett und flach, entlang einer Steinmauer die den gesamten Kamm entlang führt. Immer wieder halte ich an und versuche die Einsamkeit dieser Heidelandschaft zu begreifen. Es ist komisch zu wissen, der einzige Mensch auf diesem Berg zu sein – und dass auch auf keinem anderen der sichtbaren Gipfel jemand ist.
Dieses Panorama war immer für Familienurlaube reserviert. Und hier stehe ich, mal schnell nach der Arbeit. Nur Schafe sind mit mir, natürlich. Die endlose Mauer entlang langsam abwärts. Vorbei an einem Denkmal für fünf hier oben abgestürzte polnische RAF-Flieger aus dem Krieg und irgendwann eine Tür durch die Mauer nach rechts. Gerade rechtzeitig, nachdem ich schon seit langem keine Wegzeichen mehr gesehen habe. Von nun an geht es steiler bergab, mehr schwarze Schlammlöcher und versunkene Füße; Schafe, Knochen, Hasenhälften. Sogar Handyempfang, was ich ausnutze, um Dana anzurufen. Die Yorkshire Dales sind nämlich ein Land, wo keiner Handys hat. Sinnlos, kein Empfang.
Raucher schlafen schneller
Irgendwann komme ich in Starbotton an, dem Nachbarort Buckdens. Wenigstens bin ich nicht verloren gegangen. Über den Komfort einer Asphaltstrasse, die letzten zwei Meilen mit den wirklich letzten Sonnenstrahlen nach Hause. Stolz und hungrig nach einer ordentlichen Wanderung von fünf Stunden. Ein verdientes Abendbrot, später wieder in den Pub bis der zumacht und wieder zurück in mein trautes Heim.
Oder besser: bis an seine Tür, denn – oh je – es war inzwischen dunkel und ich konnte die Ziffern des Zahlenschlosses nicht mehr erkennen. Sinnlos zu erwähnen, dass auch meine für solche Fälle immer im Rucksack liegende Taschenlampe jetzt nicht ging. Zum Glück lief mir ein Raucher über den Weg, der mir sein Feuerzeug lieh. Das selbstverständlich gerade dann den Geist aufgab, als ich die letzte Nummer einstellen wollte. Auch wenn ich so durch Ausprobieren Erfolg hatte, Murphy hatte seinen Spaß. War ich vielleicht müde.
Donnerstag: Erster Abschied
Schon war es Donnerstag. Und wieder verbrachten wir den ganzen Tag mit dem Zerhacken von Bäumen. Zur Abwechslung nicht nur auf Yokkenthwaite, sondern auf den Feldern an den Hängen. Als kleine Erinnerung an unsere Probleme sind wir auch noch einmal kurz zu dieser National-Trust-Herberge, die in ein paar Stunden Bewohner bekommen sollte, und wo plötzlich der Öltank ausgefallen war.
Mein Gott, was für eine Nobelunterkunft! Wobei sie mir ja eher ein wenig Angst gemacht hat. Denn ich mag das gar nicht, allein in alten Häusern zu sein. An diesem Tag gab es keinen frühen Feierabend, sodass ich erst viertel sechs zu meiner nächsten Wanderung aufbrechen konnte. Vorher musste ich mich aber noch von Peter Kadic verabschieden, denn ich würde schon am nächsten Tag wieder abfahren. Zumindest hab ich ihm noch ein paar Fotos von der Farm zeigen können, so weiß er jetzt, wo diese ganzen Leute herkommen.
Bergwandern II: Die Moorlands
Danach führte mich eine neue Wanderung auf die entgegengesetzte Seite des Tals, wo es einen Weg durch ein Moor geben sollte. Diesmal war es etwas flacher und die Landschaft sehr ähnlich: voller Schafe, nur eben mooriger und feuchter mit gelegentlichen Bächen, über die man springen konnte. Dafür war das Wetter weit besser, wärmer und vor allem kein Regen. Nach und nach kam sogar die Sonne durch. Das Land war wieder durchzogen von verwitterten grauen Mauern und Gebäuden und Ruinen von Mauern und kleinen Gebäuden. Eine Landschaft, die so seit Ewigkeiten ausgesehen haben muss. Und wer weiß, wie lange noch so aussehen wird.
Falscher Ort, falsche Zeit
Ganz zu Anfang meines Jahres sollte ich mal ein Recyclingsystem für die Farm entwerfen, das inzwischen weitgehend in Vergessenheit geraten ist. Monatelang haben wir nach ein paar Holzpaletten für die Komposthaufen gesucht und nichts gefunden. Und jetzt, in 2000 Fuß Höhe, inmitten der Wildnis, steigen hinter eine Kuppe plötzlich acht Stapel vor mir auf und stehen mit der größten Selbstverständlichkeit am Wegesrand. Sie waren offensichtlich die Behälter für diverse Steinplatten, die vor mir einen Weg formten, der die letzten Meter zu einer äußerst bequemen Angelegenheit machten.
Gleich empfängt mich hier oben auch wieder eine graue Mauer. Über den Kamm schnell ins nächste Tal geschaut und wieder zurück auf den Mittelweg. Halb acht und schon stehe ich wieder am Gipfelkreuz.
Kein Vorsprung durch Technik
Man hätte dort auch in einer Stunde sein können, aber ich habe diese Angewohnheit, alle zehn Sekunden den Pfad nach rechts und links zu verlassen, zu gehen und zu schauen. So hab ich auch diesmal etwas gefunden: in einer Kuhle nach dem Gipfel liegt, versteckt unter Steinen, ein großes Glas voll mit komischen Dingen. Flugblätter von Hotel, Flummis, Bleistifte, gebrauchte Zugtickets und ein Notizbuch. Scheinbar war das eine Art Versteck einer Gruppe, die hier einzeln hochgekommen sind. Ausgestattet mit GPS haben sie sich gegenseitig zu diesem Platz gelotst, jeder etwas genommen und etwas dagelassen, seit zwei Jahren. Wer braucht GPS in nur 2000 Fuß Höhe? Zumindest verriet mir ihre Technik, dass ich hier genau 703 Meter hoch stand.
Im Trockenmoor
Ich hinterließ nur einen kleinen Eintrag und wanderte weiter. Die lange Mauer auf dem Kamm entlang. Graue Steinmauern, sie sind Dein ewiger Begleiter und Leiter, mit ihnen brauchst Du keine Karte. Von jedem Ort in die Wildnis, auf jeden Gipfel und wieder zurück, von einem Horizont zum anderen. Sie sind die Strassen der Yorkshire Dales.
Zwischen den unebenen Heidehügeln immer wieder kleine und große flache Becken schwarzer Erde. Im Winter müssen dort kleinen Wasserlöcher sein, die das Moor bilden. Ich hätte das zu gerne gesehen, auch wenn das den Weg vollkommen in einen Schlammalptraum verwandelt hätte. Wieder waren hier Vögel, die in den merkwürdigsten Geräuschen singen und schnarren, sobald man sich hinsetzt und still ist. Was man wirklich machen sollte.
Das Grauen... Das Grauen...
Trotz meiner hehren Worte bin ich dann vom Weg abgekommen und daher wortwörtlich querfeldein abgestiegen. Was nicht besonders schlimm war, wo mich ein gefundener Pfad auf meinen Aufstiegsweg zu führen schien. Nur hatte ich gar keine Lust auf den gleichen Weg zurück. Zum Glück wusste ich ziemlich genau, wo ich war und was unter mir lag. Nämlich ein Wald und dahinter ein Weg, direkt nach Buckden, auf dem wir noch am Vormittag gearbeitet hatten.
Zwischen ihm und mir lag jetzt nur noch ein Kuhfeld. Voller Kühe, die einem, anstatt verängstigt wegzurennen, eine nach der anderen folgen, bis man es fast mit der Angst zu tun bekommt. Jetzt aber schnell über das verschlossene Tor gestiegen und durch den dunklen Wald auf dem Weg, der zu diesem großen verlassenen Haus hinter mir führt, nach unten laufen.
Himmel, ich hab mich gar nicht wohl gefühlt. Meine vom Fernsehen verdorbene Generation erwartet da doch ständig plötzlich das Galoppieren des kopflosen Reiters hinter sich zu hören.
Gesundes Misstrauen
War ich froh, dort wieder raus zu sein. Immerhin, es war wirklich eine Abkürzung und hat mich direkt zum Bilderbuchfluss in der Mitte des Tals gebracht, gar nicht weit von Buckden. An dem bin ich dann über angenehm flache Wege und Schaffelder entlang geschlendert, bis ich halb zehn wieder bei mir vor der Tür stand – hungrig und völlig kaputt.
Ich bin ja ein guter Läufer, aber zwei Tage hintereinander fünf Stunden Bergwanderungen mitten in der Arbeitswoche sind dann doch recht viel. Aber gut fühlt man sich, keine Frage. Ich glaub, ich hab noch nie so gesund gelebt. Leider war trotz des Einkaufspreises schon fast kein Essen mehr im Haus.
Was noch merkwürdiger war: als ich auf das Haus zulief, bemerkte ich auf einmal Licht im Haus. Da bin ich aber ganz vorsichtig reingeschlüpft. Vor allem, als niemand auf meine Fragen antwortete. Am Ende war das dann doch nur Mel, die vorzeitig zurückgekommen war. Na, zumindest war ich nicht mehr allein daheim, war schon etwas langweilig. Allerdings ließ Mel nicht viel von sich blicken, weshalb ich wieder in meinen Pub marschiert bin, um für viel Geld das zweite lokale Bier auszuprobieren. Was im Übrigen besser war als das erste. Kenner trinken Folly Ale!
Freitag: Niemand hat die Zeit, eine Mauer zu reparieren
Freitagmorgen war mein Nacken dann zerstochener als je zuvor. Gegen halb zehn erst wurde ich von meinem heutigen Arbeitgeber abgeholt, Ross vom benachbarten Besitz „Malham Tarn“. Wobei Tarn die Bezeichnung für einen kleinen See ist. Malham Tarn ist weit größer als Peter Kadics Basis: mit Werkstätten, Büros, Pausenräumen und einem Dutzend Leuten.
Besonders viel gearbeitet habe ich dort nicht, weil mir erstmal die Gegend gezeigt wurde. Sehr nette Ecke. Mit dem besagten See und etwas Wald sieht es fast wie die Uckermark aus, nur leicht hügeliger. Besonders eindrucksvoll war ein mittelgroßes Feuchtgebiet oder Moor, durch das man auf Holzpalettenwegen laufen konnte. Unsere eigentliche Arbeit bestand im Ausbessern einer Trockensteinmauer. Endlich konnte ich auch das mal machen. Die letzten Tage und die dürftigen Nahrungsreserven ließen mich aber vollkommen erschöpft zurück. Grad meine Beine konnten mich kaum tragen, und vormittags wäre ich fast zusammengesackt.
Zum Glück kam dann die Lunchpause, in der ich die allerletzten Reste verspeiste. Das hielt mich zumindest für den Nachmittag fit, an dem wir im Nieselregen an dieser Mauer standen. Und ich muss sagen: sei Trockensteinmauern bauen so traditionell wie es will, ich fand es verdammt langweilig. Aber wir konnten eh nicht viel machen, weil ich schon halb drei wieder nach Haus gebracht wurde. Nun ja, es war halt Freitag und so hatte ich massig Zeit zum Packen.
Freitagabend: Auf nach Leeds
Dann ging es mit dem letzten Bus nach Ilkley, dem nächsten Bahnhof, eine Stunde entfernt. Noch ärgerlicher: ich hab meinen Notizblock verloren. Dafür hat mich der Busfahrer für drei Pence zu wenig mitfahren lassen, um keinen Schein wechseln zu müssen. Ich kam auch gerade rechtzeitig, um direkt in meinen Zug zu steigen und zack war ich bereits wieder in Leeds.
Wo ich erstmal etwas verloren ging, weil der richtige Busstopp bei bestem Willen nicht zu finden war. Das war ziemlich entnervend, da die Reisetasche wirklich ätzend schwer zu tragen war. Zum Glück sind die Leute dort ebenfalls sehr freundlich. Die ersten konnten mir zwar nicht viel helfen, aber als ich gerade frustriert vor einem Plan rumwunderte, tippte mich eine der Befragten auf die Schulter und zeigt mir den Weg, weil sie in dieselbe Gegend musste. Wann ist mir das das letzte Mal in Deutschland passiert? Ach ja, niemals.
Hungerhilfe
Im Viertel Chapel Allerton half man mir dann weiter, sodass ich kurz nach acht vor 13 Allerton Park stand. Ich hatte ja schon den leisen Verdacht gehabt, in der falschen Gegend zu sein, denn sie war wahnsinnig wohlhabend. Ein reicher Vorort mit riesigen Grundstücken auf denen gewaltige Häuser stehen.
Meine Adresse war ein vierstöckiges viktorianisches Haus mit Garten drum herum. In so etwas hab ich gewohnt. Dana ist mir gleich entgegen gestürzt gekommen und hat mich durchs Haus geführt. Dort wohnen nur sechs betreute geistig Behinderte und drei Europäische Freiwillige: Dana (Slowakei), Dorota (Polen) und – was keiner weiß, weil ihr Eintrag aus der Adressliste gelöscht wurde, Lisa (Deutschland). Außerdem lebt auf dem Gelände noch Dolores aus Spanien, eine Freiwillige vom letzten Jahr, die nun dort angestellt ist, wenn auch nur noch bis Juli.
So etwas gibt Hoffung. Die Freiwilligen leben in einer Wohnung unter dem Dach, wo mir ein eigener Raum gegeben wurde. Weil sie das Essen nicht selbst kaufen müssen, wurde mir außerdem der Kühlschrank zur freien Verfügung gestellt. Und auch, wenn ich mich als Gast immer zurück zu halten versuchen, habe ich aufgrund meines körperlichen Auszehrungszustandes vollen Nutzen daraus gezogen. Brot, Butter, Käse, mehr Käse, Fleisch drauf, Brot drüber, rein in den Mund.
Kulturelle Etiketten
Eine versuchte Konversation mit Lisa brachte mir die Limitierungen meines gesprochenen Deutschs wieder zu Bewusstsein. So sprachen wir alle Englisch miteinander, Lisa, Dorota, Dana und ihr auch anwesender Freund. Daneben waren auch gerade zwei Freundinnen von Dorota angekommen, die hier leben wollen. Sie haben wir nachts noch zu ihrem Hotel gebracht, wo die Empfangsdame unfreundlich wurde, sobald sie den polnischen Akzent hörte.
Wieder zurück hab ich mich noch eine Weile mit Dorota unterhalten, über die kulturellen Unterschiede unserer Länder. Statt allgemeinem Palaver geschah dies sogar an einem praktischen Beispiel, denn sie erzählte mir, dass ihre Freundinnen geschockt waren, dass ich als einziger Mann nicht sofort angeboten hatte, ihre Koffer zu tragen. Na ja, auch wenn mir die für uns altmodischen Gepflogenheiten in Polen bekannt waren, diesmal hab ich es einfach vergessen. Meine Polen hier haben mich aber auch niemals darauf hingewiesen.
Samstag: Vogel am Morgen, Kummer und Sorgen
Letzte Woche hatte ich aber auch gar kein Glück mit dem Schlafen. Zwar kam ich weit früher als in London ins Bett und hatte endlich auch eine wärmende Decke, dafür wurde ich Samstag gegen sechs von einem Vogel geweckt, der ausgerechnet direkt vor meinem Fenster singen musste.
Lisa verließ uns an diesem Tag Richtung Oxford. Nach einem langen Frühstück, bei dem ich Dorota mit meinen paar Worten Polnisch beeindrucken konnte, bin ich mit ihr dann auch hier in die Kirche gegangen. Diesmal eine methodistische, für einen Heimbewohner. Und ich war wirklich beeindruckt von der Predigt, die von einem äußerst gut sprechenden Pfarrer gehalten wurde.
Nachmittags hab ich mich mit der arbeitenden Dana auf den Weg in die Stadt gemacht, wohin sie zwei Hausbewohner mitnahm. Sie hat mir ein paar lohnende Sachen gezeigt bevor wir uns trennten und ich mich auf den Weg zu den Royal Armouries aufmachte.
Die Royal Armouries
Dummerweise hatte ich meinen Reiseführer vergessen. Und wo Leeds ohnehin nicht so als Touristenattraktion bekannt ist, war das Waffenmuseum die einzige mir bekannte Anlaufstelle von Bedeutung. Dort bin ich dann auch fast fünf Stunden lang geblieben, um wieder einmal zu sehen, wie Menschen innerhalb von 40.000 Jahren andere Menschen umbrachten. Ihr könnt Euch vorstellen, wie sich danach mein Magen – und vor allem meine Beine – wieder anfühlten. Ersteres konnte ich mit etwas Fish&Chips bekämpfen, das Zweite mit etwas klassischem Sitzen zwischen lauter Kindern in einem Starbucks.
Abends wollten entweder Dana oder Dorota in einen Pub gehen, nur wussten sie immer noch nicht wer und wann. Also hab ich mich erstmal auf den Weg zurück gemacht. Vorher aber hab ich noch etwas Geld ausgegeben, diesmal für Smetanas „Mein Vaterland“. Das mit „Die Moldau“. Was ich mir dann beim Abendessen anhörte. Ziemlich kitschig, zugegeben. Und eigentlich mag ich vor allem die ersten zwei Minuten. Überhaupt ist das erste Drittel das Beste an Flüssen.
Zukunftspessimismus
Davon abgesehen hab ich mich lange mit Dorota unterhalten, die weit offener als auf den Trainings erschien, wo sie auf mich einen ziemlich strengen und religiösen Eindruck machte. Letzteres ist sie auch aber eben nicht, also so religiös.
Wie mit Joanna habe ich mit ihr vor allem über die fehlenden Perspektiven in Polen gesprochen. Sie hat ziemlich frustriert davon gesprochen, dass sie wahrscheinlich als studierte Reinigungskraft enden wird. Was, leider Gottes, ja tatsächlich allzu oft vorkommt. Und wie herrlich man sich die gegenseitigen Vorurteile um die Ohren hauen kann. Außerdem hat sie mir, wie auch Oktawia, meinen starken Akzent am Anfang bestätigt.
Im Allgemeinen sind die Freiwilligen dort unten übrigens nicht besonders glücklich mit Leeds. Zum Teil wegen der Engländer, zum Teil wegen der vielen Immigranten, zum Teil weil man nicht besonders viel machen kann. Ihre Arbeitszeigen sind übrigens irre. Normalerweise müssen sie acht Stunden pro Tag arbeiten, was fair ist. Aber an den Wochenenden stehen 13 Stunden pro Schicht an. Auch, wenn das mit einem zusätzlichen freien Tag vergütet wird: ich wusste nicht, dass so etwas legal ist in Europa.
Mit Dorota und Dolores ging es dann am Abend in einen Pub, wo wir wirklich viel Spaß hatten. Weit mehr, als ich erwartet hatte. Was für das gesamte Wochenende gilt. Wahnsinn, aber Dolores – ausgerechnet die Spanierin in unserer Mitte – hat kein Problem mit den englischen Frauen.
Sunday afternoon, not a lot to do...
Sonntag, gut, hab ich mehr weniger vorbei ziehen lassen. Morgens hab ich erstmal aus Versehen die sich von ihrer Wochenendeschicht erholende Dana mit Musik aus dem Bett katapultiert. Es ist aber auch zu schön, zum Frühstück auf ihrem kleinen Balkon in 20 Meter Höhe zu stehen, die Aussicht zu genießen und Musik zu hören.
Wenn ich so stehe und daran denke, dass es nur noch drei Monate, nur noch 12 Wochen sind, wird mir schlecht. An diesem Tag waren meine Pub-Kameraden dran mit arbeiten und ich hab mich nur zu einem kleinen Spaziergang in einem nahen Park aufgemacht, bis es anfing etwas zu regnen. Zurück im Haus hatte man gerade Mittag bereitet, sogar für mich. Danach ist Dana auf in die Stadt, weshalb ich mich schon einmal verabschiedet habe.
Mein Plan war, mit Dorota und Dolores auf einen Spaziergang zu gehen. Aber da es natürlich anfing zu regnen wurde daraus nichts. Tja, einen Nachmittag vertrödelt, aber dafür richtig angenehm. Bis ich dann gegen sechs gehen musste. Zumindest hab ich es diesmal geschafft, ein Foto von Dorota zu schießen.
Ich hab die Zeit dort wirklich genossen, selten habe ich mich so gut aufgenommen und integriert gefühlt. Momente wie diese machen es mir so schwer, wieder abzutreten. Wann habe ich zu Hause jemals soviel Gastfreundschaft, soviel ehrliches Interesse erlebt? Außerdem konnte ich zum ersten Mal aus erster Hand erleben, was andere Freiwillige so machen. Ärgerlich war nur wieder der Weg nach Hause. Denn ausgerechnet als ich aus dem Bus in Easington stieg, fing es an zu gießen. Und ich konnte mit meiner bleiernen Tasche nicht einmal rennen.
Das war also mein Arbeitseinsatz. Eine ganze Woche, kein Wunder dass es so lang geworden ist.
Restthemen
Was gibt es sonst noch so von mir? Tja ich arbeite wieder auf meiner einsamen Farm, wo das Wetter sich einfach nicht entscheiden kann. Heute war es wundervoll, ein Privileg hier arbeiten zu dürfen. Aber das ist es ja immer. Wenn man am Abend aus dem Haus tritt, wird man umhüllt von warmer, duftender Abendluft.
Vor drei Wochen hab ich wieder einmal die Möglichkeiten dieses Landes genießen können, Leute aus der halben Welt zu treffen. Das war an einem Gibside-Wochenende. Freitag bin ich erstmal über Mitra gestolpert, eine Iranerin, der ich das letzte Mal im Cluny kurz vor Weihnachten begegnet bin. Saß da auf einmal im Intermezzo Café, als ich mich davor mit meiner schweren Tasche zur Bushaltestelle abmühte. Am nächsten Tag auf Gibside selbst traf ich eine neue, leider nur zeitweilige Kollegin. Das war Natalia, eine griechische Kunst-Philosophie-Kulturschutz-Studentin.
Dafür liebe ich dieses Land. Hier ist es nicht nur möglich, sondern selbstverständlich solche Menschen zu treffen. Außerdem werd ich endlich auf die Farne Islands kommen, mit einer offiziellen National-Trust-Besuchsgruppe, darauf freu ich mich jetzt auch.
Ach ja, und Liverpool haben die Champions League gewonnen. Ich hab das Spiel zum Abendessen gesehen, nur dummerweise bei jedem Tor gerade auf meinen Teller geschaut. Habt Ihr eigentlich gemerkt, dass ich ein paar neue Fotos online habe?
Geschmacksfrage
Vorgestern hab ich dann noch etwas sehr, sehr Cooles gesehen. Rons Kühe erwarten ja im Moment alle Kälber und Dienstag war es für eine soweit. Leider haben wir die eigentliche Geburt verpasst und dann war das Kalb auch noch tot. Aber trotzdem war es äußerst interessant, ehrlich. Nicht besonders ästhetisch, wie es so an einem Traktor hing, zugegeben.
Dann gingen Ron und ein Kollege auch noch daran, es zu häuten. Yummieh! Aber das alles aus gutem, wenn auch unappetitlichem Grund: die Haut wurde einem anderen Waisenkalb übergezogen und der Mutter untergeschoben, die es des Geruchs wegen auch akzeptiert hat. Jetzt hoffe ich, noch eine erfolgreiche Geburt miterleben zu können. Ich fand das alles richtig faszinierend und sogar lustig. Aber in der Beziehung hab ich ja ohnehin meinen eigenen Geschmack.
Jetzt bin ich erstmal auf meinem ersten Urlaub. Morgen kommen meine Eltern nach Newcastle, mit denen werd ich eine Woche verbringen. Ich mein, ich könnt mir sinnvollere Wege vorstellen, als eine der letzten Wochen hier mit einem Stück Heimat zu verbringen. Aber zumindest können wir am ersten Wochenende Hanni mitnehmen und ein wenig bezahlter Urlaub wird auch nicht schlecht sein. Aber wieso soll ich mich um die erste Übernachtung kümmern? Hab so etwas doch noch nie gemacht. Allein verreisen ist soviel einfacher…